Lange, Joachim: Apostolisches Licht und Recht. Bd. 1. Halle, 1729.Erklärung des ersten Briefs Pauli Cap. 2, v. 15. [Spaltenumbruch]
kehrten, auch selbst in ihrem Exempel zeigen, daßsie solches so gar nicht fassen und approbiren, daß sie es vielmal noch dazu gar verspotten und ver- lästern, ja für ein irriges Wesen halten und aus- schreyen. Damit denn solche blosse Buchstäbler bey allem ihrem grossen Vorrathe theologischer Gelehrsamkeit, wie ihren fleischlichen Sinn, al- so auch ihre grosse Blindheit, gleich den alten Pharisäern, leider deutlich genug an den Tag legen. 6. Es ist demnach aus diesem Orte gantz offenbar, daß kein Unbekehrter eine wahre, das ist, geistliche, lebendige und seligma- chende Erkäntniß GOttes und göttlicher Dinge hat. Denn er ist nur ein bloß natürlicher, dem geistlichen und geistlich gesinneten Menschen entgegen gesetzter, Mensch: wie denn unsere sym- bolischen Bücher die Worte: der natürliche Mensch, mit allen andern Interpretibus gar recht von unbekehrten, und das Wort der geist- liche von bekehrten Leuten auslegen. Siehe p. m. 656. 676. Da nun diese nichts vernehmen, ja nichts vernehmen können, was des Geistes GOttes ist: wie können sie denn immermehr für erleuchtet gehalten werden? So gilt auch der Schluß keines weges, wenn man sagen wol- te: Dieser unbekehrte und ärgerlich lebende Leh- rer hat gleichwol eine grosse Erkäntniß GOttes und göttlicher Dinge, darum ist er kein natürli- cher Mensch, und darum kan auch ein unbekehr- ter wahrhaftig erleuchtet seyn. Denn, wie schon zuvor gedacht, ist seine Erkäntniß nicht rechter Art, oder geistlich und lebendig, auch gläubig; sondern nur bloß buchstäblich und historisch, auch bloß natürlich in Ansehung dessen, daß er sie nur mit bloß natürlichen Kräften durch bloß natürliche Mittel, aus dem auch eine natürliche Deutlichkeit habenden Buchstaben, oder buch- stäblichen Verstande der Heil. Schrift gefasset hat; und dabey ist sie von solcher Beschaffenheit, daß ein damit auch wohlversehener Mensch fast alle Lehren und Wahrheiten, welche auf ein rechtes Kraft- und Kern-Christenthum wider die leeren Blätter und Hülsen des Heuchelwesens gehen, für verdächtig, ja für thöricht und für ir- rig hält: wie solches schon gedachter Massen die Erfahrung leider gnugsam lehret. Und wenn ein solcher Mensch noch selig wird, so wird er so gar nicht durch solche seine Erkäntniß selig, daß er vielmehr erkennen muß, wie daß er sich zuvor dadurch selbst betrogen, und sich von allen practi- schen Wahrheiten falsche Ideen gemachet, daher er in der Ordnung wahrer Bekehrung und Er- neuerung zu einer gantz andern Einsicht kömmt, ob gleich dabey die theoretischen Wahrheiten, so fern sie nicht nach der Erkäntniß eines Unbekehr- ten, sondern als Glaubens-Lehren betrachtet wer- den, an sich Wahrheiten sind und bleiben, es mag sie ein Bekehrter oder Unbekehrter ausspre- chen. V. 15. Der geistliche aber (der in der Ordnung Anmerckungen. 1. Daß gläubige Christen alles, was in die- ser Unvollkommenheit statt findet, und also nach dem innern Zustand geistlich richten oder beur- theilen, aber hingegen von den Gottlosen nicht selbst recht beurtheilet werden können, hat diese Ursache: Sie selbst haben theils vor ihrer Bekehrung in eben solchem Zustande sich befunden, theils aber, wo sie schon in ihrem Tauf-Bunde stehen geblieben, haben sie doch an der Erb-Sünde noch eben das böse principium actionum, oder den Grund der Handelungen, in sich, das die Unbekehrten in sich haben, ob es gleich in ihnen nicht herrschet, wie in jenen. Und also können sie leider aus eigner Erfahrung, was den Stand der Sünden überhaupt betrift, von dem verkehrten innerlichen Zustande der Unbe- kehrten, da er sich durch so viele Merckmale deut- lich genug zu erkennen giebet, gar wohl urtheilen, und kennen also solche Menschen besser, als sie sich selbst kennen; sie können ihnen auch ihren bösen Grund dergestalt aufdecken, daß jene wol meinen solten, es müste ihnen iemand diß und jenes gesa- get haben. Hingegen aber können die Unbe- kehrten von den Wiedergebohrnen, zumal von ihrem innern Zustande, sich gar keinen richtigen, geschweige geistlichen Begrif machen, und eben so wenig können sie ein richtiges und geistliches Urtheil von ihnen fällen. Davon die Ursache diese ist, daß sie mit ihnen nicht in gleichem prin- cipio oder Zustande stehen, und von ihrem statu keine Erfahrung haben. Daher denn nicht zu verwundern ist, daß sie von den rechtschafnen und GOtt ergebnen Seelen so übel urtheilen: zumal wenn zu der Blindheit des Verstandes im Urtheil, wie zu geschehen pfleget, auch die Bos- heit des verkehrten Willens kömmt. 2. Daß fromme Kinder GOttes gedachter massen alles, und darunter insonderheit auch den innern Zustand der Gottlosen erkennen und geist- lich beurtheilen, sie aber hingegen von diesen nicht wieder richtig erkant werden können; darinnen äussert sich schon zum voraus die königliche Wür- de, nach welcher sie dermaleins gleichsam als Beysitzer des grossen Richter-Stuhls ihres Hei- landes, Mitrichter der Welt seyn werden. 1 Cor. 5, 2. 3. Man kan aus diesem und dem vorher- gehenden Verse erkennen, wie ungeschickt ein unbekehrter und fleischlich gesinnter Lehrer zum Amte des Geistes und insonderheit zur wahren Beurtheilung des geistlichen Seelen-Zustandes seinen Zuhörern sey. Hält er sich nun vermö- ge seiner verleitenden Eigen-Liebe und buchstäb- lichen Erkäntniß von GOtt und göttlichen Din- gen für schon bekehret, und für einen, der in der Ordnung der Erneuerung stehet: so siehet er auch alle seine unbekehrte Zuhörer, die äusserlich nicht
Erklaͤrung des erſten Briefs Pauli Cap. 2, v. 15. [Spaltenumbruch]
kehrten, auch ſelbſt in ihrem Exempel zeigen, daßſie ſolches ſo gar nicht faſſen und approbiren, daß ſie es vielmal noch dazu gar verſpotten und ver- laͤſtern, ja fuͤr ein irriges Weſen halten und aus- ſchreyen. Damit denn ſolche bloſſe Buchſtaͤbler bey allem ihrem groſſen Vorrathe theologiſcher Gelehrſamkeit, wie ihren fleiſchlichen Sinn, al- ſo auch ihre groſſe Blindheit, gleich den alten Phariſaͤern, leider deutlich genug an den Tag legen. 6. Es iſt demnach aus dieſem Orte gantz offenbar, daß kein Unbekehrter eine wahre, das iſt, geiſtliche, lebendige und ſeligma- chende Erkaͤntniß GOttes und goͤttlicher Dinge hat. Denn er iſt nur ein bloß natuͤrlicher, dem geiſtlichen und geiſtlich geſinneten Menſchen entgegen geſetzter, Menſch: wie denn unſere ſym- boliſchen Buͤcher die Worte: der natuͤrliche Menſch, mit allen andern Interpretibus gar recht von unbekehrten, und das Wort der geiſt- liche von bekehrten Leuten auslegen. Siehe p. m. 656. 676. Da nun dieſe nichts vernehmen, ja nichts vernehmen koͤnnen, was des Geiſtes GOttes iſt: wie koͤnnen ſie denn immermehr fuͤr erleuchtet gehalten werden? So gilt auch der Schluß keines weges, wenn man ſagen wol- te: Dieſer unbekehrte und aͤrgerlich lebende Leh- rer hat gleichwol eine groſſe Erkaͤntniß GOttes und goͤttlicher Dinge, darum iſt er kein natuͤrli- cher Menſch, und darum kan auch ein unbekehr- ter wahrhaftig erleuchtet ſeyn. Denn, wie ſchon zuvor gedacht, iſt ſeine Erkaͤntniß nicht rechter Art, oder geiſtlich und lebendig, auch glaͤubig; ſondern nur bloß buchſtaͤblich und hiſtoriſch, auch bloß natuͤrlich in Anſehung deſſen, daß er ſie nur mit bloß natuͤrlichen Kraͤften durch bloß natuͤrliche Mittel, aus dem auch eine natuͤrliche Deutlichkeit habenden Buchſtaben, oder buch- ſtaͤblichen Verſtande der Heil. Schrift gefaſſet hat; und dabey iſt ſie von ſolcher Beſchaffenheit, daß ein damit auch wohlverſehener Menſch faſt alle Lehren und Wahrheiten, welche auf ein rechtes Kraft- und Kern-Chriſtenthum wider die leeren Blaͤtter und Huͤlſen des Heuchelweſens gehen, fuͤr verdaͤchtig, ja fuͤr thoͤricht und fuͤr ir- rig haͤlt: wie ſolches ſchon gedachter Maſſen die Erfahrung leider gnugſam lehret. Und wenn ein ſolcher Menſch noch ſelig wird, ſo wird er ſo gar nicht durch ſolche ſeine Erkaͤntniß ſelig, daß er vielmehr erkennen muß, wie daß er ſich zuvor dadurch ſelbſt betrogen, und ſich von allen practi- ſchen Wahrheiten falſche Ideen gemachet, daher er in der Ordnung wahrer Bekehrung und Er- neuerung zu einer gantz andern Einſicht koͤmmt, ob gleich dabey die theoretiſchen Wahrheiten, ſo fern ſie nicht nach der Erkaͤntniß eines Unbekehr- ten, ſondern als Glaubens-Lehren betrachtet wer- den, an ſich Wahrheiten ſind und bleiben, es mag ſie ein Bekehrter oder Unbekehrter ausſpre- chen. V. 15. Der geiſtliche aber (der in der Ordnung Anmerckungen. 1. Daß glaͤubige Chriſten alles, was in die- ſer Unvollkommenheit ſtatt findet, und alſo nach dem innern Zuſtand geiſtlich richten oder beur- theilen, aber hingegen von den Gottloſen nicht ſelbſt recht beurtheilet werden koͤnnen, hat dieſe Urſache: Sie ſelbſt haben theils vor ihrer Bekehrung in eben ſolchem Zuſtande ſich befunden, theils aber, wo ſie ſchon in ihrem Tauf-Bunde ſtehen geblieben, haben ſie doch an der Erb-Suͤnde noch eben das boͤſe principium actionum, oder den Grund der Handelungen, in ſich, das die Unbekehrten in ſich haben, ob es gleich in ihnen nicht herrſchet, wie in jenen. Und alſo koͤnnen ſie leider aus eigner Erfahrung, was den Stand der Suͤnden uͤberhaupt betrift, von dem verkehrten innerlichen Zuſtande der Unbe- kehrten, da er ſich durch ſo viele Merckmale deut- lich genug zu erkennen giebet, gar wohl urtheilen, und kennen alſo ſolche Menſchen beſſer, als ſie ſich ſelbſt kennen; ſie koͤnnen ihnen auch ihren boͤſen Grund dergeſtalt aufdecken, daß jene wol meinen ſolten, es muͤſte ihnen iemand diß und jenes geſa- get haben. Hingegen aber koͤnnen die Unbe- kehrten von den Wiedergebohrnen, zumal von ihrem innern Zuſtande, ſich gar keinen richtigen, geſchweige geiſtlichen Begrif machen, und eben ſo wenig koͤnnen ſie ein richtiges und geiſtliches Urtheil von ihnen faͤllen. Davon die Urſache dieſe iſt, daß ſie mit ihnen nicht in gleichem prin- cipio oder Zuſtande ſtehen, und von ihrem ſtatu keine Erfahrung haben. Daher denn nicht zu verwundern iſt, daß ſie von den rechtſchafnen und GOtt ergebnen Seelen ſo uͤbel urtheilen: zumal wenn zu der Blindheit des Verſtandes im Urtheil, wie zu geſchehen pfleget, auch die Bos- heit des verkehrten Willens koͤmmt. 2. Daß fromme Kinder GOttes gedachter maſſen alles, und darunter inſonderheit auch den innern Zuſtand der Gottloſen erkennen und geiſt- lich beurtheilen, ſie aber hingegen von dieſen nicht wieder richtig erkant werden koͤnnen; darinnen aͤuſſert ſich ſchon zum voraus die koͤnigliche Wuͤr- de, nach welcher ſie dermaleins gleichſam als Beyſitzer des groſſen Richter-Stuhls ihres Hei- landes, Mitrichter der Welt ſeyn werden. 1 Cor. 5, 2. 3. Man kan aus dieſem und dem vorher- gehenden Verſe erkennen, wie ungeſchickt ein unbekehrter und fleiſchlich geſinnter Lehrer zum Amte des Geiſtes und inſonderheit zur wahren Beurtheilung des geiſtlichen Seelen-Zuſtandes ſeinen Zuhoͤrern ſey. Haͤlt er ſich nun vermoͤ- ge ſeiner verleitenden Eigen-Liebe und buchſtaͤb- lichen Erkaͤntniß von GOtt und goͤttlichen Din- gen fuͤr ſchon bekehret, und fuͤr einen, der in der Ordnung der Erneuerung ſtehet: ſo ſiehet er auch alle ſeine unbekehrte Zuhoͤrer, die aͤuſſerlich nicht
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Erklaͤrung des erſten Briefs Pauli Cap. 2, v. 15.
kehrten, auch ſelbſt in ihrem Exempel zeigen, daß
ſie ſolches ſo gar nicht faſſen und approbiren, daß
ſie es vielmal noch dazu gar verſpotten und ver-
laͤſtern, ja fuͤr ein irriges Weſen halten und aus-
ſchreyen. Damit denn ſolche bloſſe Buchſtaͤbler
bey allem ihrem groſſen Vorrathe theologiſcher
Gelehrſamkeit, wie ihren fleiſchlichen Sinn, al-
ſo auch ihre groſſe Blindheit, gleich den alten
Phariſaͤern, leider deutlich genug an den Tag
legen.
6. Es iſt demnach aus dieſem Orte gantz
offenbar, daß kein Unbekehrter eine wahre,
das iſt, geiſtliche, lebendige und ſeligma-
chende Erkaͤntniß GOttes und goͤttlicher
Dinge hat. Denn er iſt nur ein bloß natuͤrlicher,
dem geiſtlichen und geiſtlich geſinneten Menſchen
entgegen geſetzter, Menſch: wie denn unſere ſym-
boliſchen Buͤcher die Worte: der natuͤrliche
Menſch, mit allen andern Interpretibus gar
recht von unbekehrten, und das Wort der geiſt-
liche von bekehrten Leuten auslegen. Siehe p.
m. 656. 676. Da nun dieſe nichts vernehmen,
ja nichts vernehmen koͤnnen, was des Geiſtes
GOttes iſt: wie koͤnnen ſie denn immermehr
fuͤr erleuchtet gehalten werden? So gilt auch
der Schluß keines weges, wenn man ſagen wol-
te: Dieſer unbekehrte und aͤrgerlich lebende Leh-
rer hat gleichwol eine groſſe Erkaͤntniß GOttes
und goͤttlicher Dinge, darum iſt er kein natuͤrli-
cher Menſch, und darum kan auch ein unbekehr-
ter wahrhaftig erleuchtet ſeyn. Denn, wie ſchon
zuvor gedacht, iſt ſeine Erkaͤntniß nicht rechter
Art, oder geiſtlich und lebendig, auch glaͤubig;
ſondern nur bloß buchſtaͤblich und hiſtoriſch,
auch bloß natuͤrlich in Anſehung deſſen, daß er
ſie nur mit bloß natuͤrlichen Kraͤften durch bloß
natuͤrliche Mittel, aus dem auch eine natuͤrliche
Deutlichkeit habenden Buchſtaben, oder buch-
ſtaͤblichen Verſtande der Heil. Schrift gefaſſet
hat; und dabey iſt ſie von ſolcher Beſchaffenheit,
daß ein damit auch wohlverſehener Menſch faſt
alle Lehren und Wahrheiten, welche auf ein
rechtes Kraft- und Kern-Chriſtenthum wider die
leeren Blaͤtter und Huͤlſen des Heuchelweſens
gehen, fuͤr verdaͤchtig, ja fuͤr thoͤricht und fuͤr ir-
rig haͤlt: wie ſolches ſchon gedachter Maſſen die
Erfahrung leider gnugſam lehret. Und wenn
ein ſolcher Menſch noch ſelig wird, ſo wird er ſo
gar nicht durch ſolche ſeine Erkaͤntniß ſelig, daß
er vielmehr erkennen muß, wie daß er ſich zuvor
dadurch ſelbſt betrogen, und ſich von allen practi-
ſchen Wahrheiten falſche Ideen gemachet, daher
er in der Ordnung wahrer Bekehrung und Er-
neuerung zu einer gantz andern Einſicht koͤmmt,
ob gleich dabey die theoretiſchen Wahrheiten, ſo
fern ſie nicht nach der Erkaͤntniß eines Unbekehr-
ten, ſondern als Glaubens-Lehren betrachtet wer-
den, an ſich Wahrheiten ſind und bleiben, es mag
ſie ein Bekehrter oder Unbekehrter ausſpre-
chen.
V. 15.
Der geiſtliche aber (der in der Ordnung
der wahren Bekehrung von dem Heiligen Geiſte
erleuchtete) richtet (erkennet und beurtheilet
im goͤttlichen Lichte) alles, (was in der Heil.
Schrift geoffenbaret, und ſonderlich was darin-
nen zur Seligkeit noͤthig iſt, beurtheilet er alſo,
daß er eine kraͤftige Uberzeugung davon hat)
und wird von niemand (der den Geiſt GOt-
tes nicht hat) gerichtet (oder recht erkant und
beurtheilet, und iſt daher ſo vielem falſchen Ur-
theil unterworfen.)
Anmerckungen.
1. Daß glaͤubige Chriſten alles, was in die-
ſer Unvollkommenheit ſtatt findet, und alſo nach
dem innern Zuſtand geiſtlich richten oder beur-
theilen, aber hingegen von den Gottloſen
nicht ſelbſt recht beurtheilet werden koͤnnen,
hat dieſe Urſache: Sie ſelbſt haben theils vor
ihrer Bekehrung in eben ſolchem Zuſtande ſich
befunden, theils aber, wo ſie ſchon in ihrem
Tauf-Bunde ſtehen geblieben, haben ſie doch an
der Erb-Suͤnde noch eben das boͤſe principium
actionum, oder den Grund der Handelungen, in
ſich, das die Unbekehrten in ſich haben, ob es
gleich in ihnen nicht herrſchet, wie in jenen. Und
alſo koͤnnen ſie leider aus eigner Erfahrung, was
den Stand der Suͤnden uͤberhaupt betrift, von
dem verkehrten innerlichen Zuſtande der Unbe-
kehrten, da er ſich durch ſo viele Merckmale deut-
lich genug zu erkennen giebet, gar wohl urtheilen,
und kennen alſo ſolche Menſchen beſſer, als ſie ſich
ſelbſt kennen; ſie koͤnnen ihnen auch ihren boͤſen
Grund dergeſtalt aufdecken, daß jene wol meinen
ſolten, es muͤſte ihnen iemand diß und jenes geſa-
get haben. Hingegen aber koͤnnen die Unbe-
kehrten von den Wiedergebohrnen, zumal von
ihrem innern Zuſtande, ſich gar keinen richtigen,
geſchweige geiſtlichen Begrif machen, und eben
ſo wenig koͤnnen ſie ein richtiges und geiſtliches
Urtheil von ihnen faͤllen. Davon die Urſache
dieſe iſt, daß ſie mit ihnen nicht in gleichem prin-
cipio oder Zuſtande ſtehen, und von ihrem ſtatu
keine Erfahrung haben. Daher denn nicht zu
verwundern iſt, daß ſie von den rechtſchafnen
und GOtt ergebnen Seelen ſo uͤbel urtheilen:
zumal wenn zu der Blindheit des Verſtandes im
Urtheil, wie zu geſchehen pfleget, auch die Bos-
heit des verkehrten Willens koͤmmt.
2. Daß fromme Kinder GOttes gedachter
maſſen alles, und darunter inſonderheit auch den
innern Zuſtand der Gottloſen erkennen und geiſt-
lich beurtheilen, ſie aber hingegen von dieſen nicht
wieder richtig erkant werden koͤnnen; darinnen
aͤuſſert ſich ſchon zum voraus die koͤnigliche Wuͤr-
de, nach welcher ſie dermaleins gleichſam als
Beyſitzer des groſſen Richter-Stuhls ihres Hei-
landes, Mitrichter der Welt ſeyn werden. 1 Cor.
5, 2.
3. Man kan aus dieſem und dem vorher-
gehenden Verſe erkennen, wie ungeſchickt ein
unbekehrter und fleiſchlich geſinnter Lehrer zum
Amte des Geiſtes und inſonderheit zur wahren
Beurtheilung des geiſtlichen Seelen-Zuſtandes
ſeinen Zuhoͤrern ſey. Haͤlt er ſich nun vermoͤ-
ge ſeiner verleitenden Eigen-Liebe und buchſtaͤb-
lichen Erkaͤntniß von GOtt und goͤttlichen Din-
gen fuͤr ſchon bekehret, und fuͤr einen, der in der
Ordnung der Erneuerung ſtehet: ſo ſiehet er
auch alle ſeine unbekehrte Zuhoͤrer, die aͤuſſerlich
nicht
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