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Lange, Helene: Die Frauen und das politische Leben. Berlin, 1909.

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Fiktion festhalten läßt, daß die Vertretung der Frau ihm
zukomme und von ihm auch durchgeführt werden könne, dieser
tiefere Grund liegt doch in der Jahrtausende alten Gewöhnung
an das Mundium, in der Gewöhnung daran, die Welt als seine
Welt zu betrachten, deren Ausgestaltung einzig von seinem Wunsch
und Willen abhängt und in die die Frau sich hineinzufinden habe.
Diese Auffassung hat ja am naivsten ein heute ganz Vergessener
vertreten, der einstmals so viel genannte Hofrat Albert in
seinem 1895 erschienenen Buch "Die Frauen und das Studium
der Medizin". Wenn er darin die Welt, wie sie heute steht, mit
all ihren intellektuellen und technischen Errungenschaften als
Männerwerk bezeichnet, so ist ihm das Recht dazu nicht ab-
zusprechen, sobald man nur die äußere Gestaltung ins Auge faßt
und die tief in die Erde greifenden Wurzeln außer acht läßt.
Aber wenn er dann mit dem "Es ist alles recht gut" des
Schöpfers auf diese Welt hinweist, so dürfte sich doch der Wider-
spruch auch in den eigenen Reihen regen. Alkoholismus,
Prostitution, sittliches und soziales Elend in mannigfachster
Form sind die großen dunklen Flecke auf diesem Bilde, die
jedem in die Augen fallen müssen. Aber auch abgesehen von
diesen großen Schäden - es ist doch auffallend, wie einmütig
gerade die führenden Geister in unserm Volke in der Über-
zeugung sind, daß wir trotz alles materiellen Aufstiegs noch
keine eigentliche Kultur haben. Jn den Osternummern
der Frankfurter Zeitung haben sich eine Reihe von Kultur-
kämpfern, Politiker, Künstler, Dichter und Philosophen zu der
Frage nach der Zukunft unserer Kultur geäußert und ziemlich
einstimmig ausgesprochen, daß wir um eine Kultur, die wir
noch nicht besitzen, kämpfen müssen. Vielleicht ist auch anderen
Frauen, die diese Reihe interessanter und bedeutsamer Äußerungen
lasen, dabei der Gedanke gekommen, daß so manches, was da
vermißt, so manches, was als kulturpolitische Aufgabe der
Zukunft bezeichnet wird, vielleicht doch durch eine bessere Aus-
nutzung des weiblichen Faktors geschaffen werden könnte.
Eine Ausnutzung, die darin bestehen würde, daß man den
Frauen an der Kulturpolitik einen selbständigeren, bewußteren,

Fiktion festhalten läßt, daß die Vertretung der Frau ihm
zukomme und von ihm auch durchgeführt werden könne, dieser
tiefere Grund liegt doch in der Jahrtausende alten Gewöhnung
an das Mundium, in der Gewöhnung daran, die Welt als seine
Welt zu betrachten, deren Ausgestaltung einzig von seinem Wunsch
und Willen abhängt und in die die Frau sich hineinzufinden habe.
Diese Auffassung hat ja am naivsten ein heute ganz Vergessener
vertreten, der einstmals so viel genannte Hofrat Albert in
seinem 1895 erschienenen Buch „Die Frauen und das Studium
der Medizin“. Wenn er darin die Welt, wie sie heute steht, mit
all ihren intellektuellen und technischen Errungenschaften als
Männerwerk bezeichnet, so ist ihm das Recht dazu nicht ab-
zusprechen, sobald man nur die äußere Gestaltung ins Auge faßt
und die tief in die Erde greifenden Wurzeln außer acht läßt.
Aber wenn er dann mit dem „Es ist alles recht gut“ des
Schöpfers auf diese Welt hinweist, so dürfte sich doch der Wider-
spruch auch in den eigenen Reihen regen. Alkoholismus,
Prostitution, sittliches und soziales Elend in mannigfachster
Form sind die großen dunklen Flecke auf diesem Bilde, die
jedem in die Augen fallen müssen. Aber auch abgesehen von
diesen großen Schäden – es ist doch auffallend, wie einmütig
gerade die führenden Geister in unserm Volke in der Über-
zeugung sind, daß wir trotz alles materiellen Aufstiegs noch
keine eigentliche Kultur haben. Jn den Osternummern
der Frankfurter Zeitung haben sich eine Reihe von Kultur-
kämpfern, Politiker, Künstler, Dichter und Philosophen zu der
Frage nach der Zukunft unserer Kultur geäußert und ziemlich
einstimmig ausgesprochen, daß wir um eine Kultur, die wir
noch nicht besitzen, kämpfen müssen. Vielleicht ist auch anderen
Frauen, die diese Reihe interessanter und bedeutsamer Äußerungen
lasen, dabei der Gedanke gekommen, daß so manches, was da
vermißt, so manches, was als kulturpolitische Aufgabe der
Zukunft bezeichnet wird, vielleicht doch durch eine bessere Aus-
nutzung des weiblichen Faktors geschaffen werden könnte.
Eine Ausnutzung, die darin bestehen würde, daß man den
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[18/0024] Fiktion festhalten läßt, daß die Vertretung der Frau ihm zukomme und von ihm auch durchgeführt werden könne, dieser tiefere Grund liegt doch in der Jahrtausende alten Gewöhnung an das Mundium, in der Gewöhnung daran, die Welt als seine Welt zu betrachten, deren Ausgestaltung einzig von seinem Wunsch und Willen abhängt und in die die Frau sich hineinzufinden habe. Diese Auffassung hat ja am naivsten ein heute ganz Vergessener vertreten, der einstmals so viel genannte Hofrat Albert in seinem 1895 erschienenen Buch „Die Frauen und das Studium der Medizin“. Wenn er darin die Welt, wie sie heute steht, mit all ihren intellektuellen und technischen Errungenschaften als Männerwerk bezeichnet, so ist ihm das Recht dazu nicht ab- zusprechen, sobald man nur die äußere Gestaltung ins Auge faßt und die tief in die Erde greifenden Wurzeln außer acht läßt. Aber wenn er dann mit dem „Es ist alles recht gut“ des Schöpfers auf diese Welt hinweist, so dürfte sich doch der Wider- spruch auch in den eigenen Reihen regen. Alkoholismus, Prostitution, sittliches und soziales Elend in mannigfachster Form sind die großen dunklen Flecke auf diesem Bilde, die jedem in die Augen fallen müssen. Aber auch abgesehen von diesen großen Schäden – es ist doch auffallend, wie einmütig gerade die führenden Geister in unserm Volke in der Über- zeugung sind, daß wir trotz alles materiellen Aufstiegs noch keine eigentliche Kultur haben. Jn den Osternummern der Frankfurter Zeitung haben sich eine Reihe von Kultur- kämpfern, Politiker, Künstler, Dichter und Philosophen zu der Frage nach der Zukunft unserer Kultur geäußert und ziemlich einstimmig ausgesprochen, daß wir um eine Kultur, die wir noch nicht besitzen, kämpfen müssen. Vielleicht ist auch anderen Frauen, die diese Reihe interessanter und bedeutsamer Äußerungen lasen, dabei der Gedanke gekommen, daß so manches, was da vermißt, so manches, was als kulturpolitische Aufgabe der Zukunft bezeichnet wird, vielleicht doch durch eine bessere Aus- nutzung des weiblichen Faktors geschaffen werden könnte. Eine Ausnutzung, die darin bestehen würde, daß man den Frauen an der Kulturpolitik einen selbständigeren, bewußteren,

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2022-03-24T10:53:44Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt, Dennis Dietrich: Bearbeitung der digitalen Edition. (2022-03-24T10:53:44Z)

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Zitationshilfe: Lange, Helene: Die Frauen und das politische Leben. Berlin, 1909, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_frauen_1909/24>, abgerufen am 29.03.2024.