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Lange, Helene: Das Endziel der Frauenbewegung. Berlin, 1904.

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herrschaft des Jnstinktlebens. Dem geistlich gerichteten Asketen erschien
das Weib als das sündige Gefäß; dem, der sich unbefangen zu
seiner Menschlichkeit bekannte, immer doch vor allem als Geschlechts-
wesen, dessen Bestimmung in ihm ihren Mittelpunkt hatte. Auf der
einen Seite fragte man, ob sie eine Seele haben könne, auf der
andern Seite brachte der Sprichwörterschatz der Völker in unendlichen
Wendungen lange Haare und kurzen Verstand zusammen. Wie sollte
man dazu kommen, der Frau plötzlich eine soziale Stellung zu geben,
als sei ihre geistige Persönlichkeit dem Manne in jeder Hinsicht eben-
bürtig? So mächtig sich der voraussetzungslose Nationalismus gezeigt
hatte, als er die Jahrhunderte alten feudalen Herrschafts- und Dienst-
verhältnisse in Trümmer schlug - hier konnte ihm kein rascher Sieg
zufallen. Er konnte nicht mehr als einen Umbildungsprozeß einleiten,
der dieses letzte Stück Jnstinktleben allmählich vergeistigte.

Und so beginnt der Kampf, vielleicht der tiefgreifendste, den die
Menschheit gekannt hat. Es gibt kaum ein Lebensgebiet, das er in
seinem Verlauf nicht berührt hätte.



Zunächst waren es die wirtschaftlichen Umwälzungen, die diesem
Kampf einen breiten Schauplatz gaben. Sie schufen wieder eine
Frauennot, die wirtschaftliche Frauenfrage des 19. Jahrhunderts.
Und damit wurde der Kampf der Geister in den Lüften übertäubt
durch den rasch entbrennenden Konkurrenzkampf auf heiß umstrittener
Erde, in dem alle jene ideellen Ansprüche sich zu sehr realen Forde-
rungen verdichten mußten.

Es war selbstverständlich, daß sich hier, wo es um das nackte
Dasein ging, die Gegensätze ungeheuer verschärften. Massen von
Frauen waren plötzlich, auch ohne ihren Willen, in das öffentliche
Leben hinausgedrängt, sie hatten den wirtschaftlichen Mächten ihr
tägliches Brot abzuringen wie der Mann. Das Leben legte ihnen
seine Lasten und Pflichten auf, ohne Rücksicht auf ihr Geschlecht;
wollten sie nicht unterliegen, so mußten sie die gleichen Mittel haben,
diese Lasten zu bewältigen: Bildungs- und Berufsfreiheit, und schließlich
die öffentlichen Rechte, die im modernen Staatsleben mehr und mehr
auch das Mittel wirtschaftlicher Selbstbehauptung wurden. So prägte

herrschaft des Jnstinktlebens. Dem geistlich gerichteten Asketen erschien
das Weib als das sündige Gefäß; dem, der sich unbefangen zu
seiner Menschlichkeit bekannte, immer doch vor allem als Geschlechts-
wesen, dessen Bestimmung in ihm ihren Mittelpunkt hatte. Auf der
einen Seite fragte man, ob sie eine Seele haben könne, auf der
andern Seite brachte der Sprichwörterschatz der Völker in unendlichen
Wendungen lange Haare und kurzen Verstand zusammen. Wie sollte
man dazu kommen, der Frau plötzlich eine soziale Stellung zu geben,
als sei ihre geistige Persönlichkeit dem Manne in jeder Hinsicht eben-
bürtig? So mächtig sich der voraussetzungslose Nationalismus gezeigt
hatte, als er die Jahrhunderte alten feudalen Herrschafts- und Dienst-
verhältnisse in Trümmer schlug – hier konnte ihm kein rascher Sieg
zufallen. Er konnte nicht mehr als einen Umbildungsprozeß einleiten,
der dieses letzte Stück Jnstinktleben allmählich vergeistigte.

Und so beginnt der Kampf, vielleicht der tiefgreifendste, den die
Menschheit gekannt hat. Es gibt kaum ein Lebensgebiet, das er in
seinem Verlauf nicht berührt hätte.



Zunächst waren es die wirtschaftlichen Umwälzungen, die diesem
Kampf einen breiten Schauplatz gaben. Sie schufen wieder eine
Frauennot, die wirtschaftliche Frauenfrage des 19. Jahrhunderts.
Und damit wurde der Kampf der Geister in den Lüften übertäubt
durch den rasch entbrennenden Konkurrenzkampf auf heiß umstrittener
Erde, in dem alle jene ideellen Ansprüche sich zu sehr realen Forde-
rungen verdichten mußten.

Es war selbstverständlich, daß sich hier, wo es um das nackte
Dasein ging, die Gegensätze ungeheuer verschärften. Massen von
Frauen waren plötzlich, auch ohne ihren Willen, in das öffentliche
Leben hinausgedrängt, sie hatten den wirtschaftlichen Mächten ihr
tägliches Brot abzuringen wie der Mann. Das Leben legte ihnen
seine Lasten und Pflichten auf, ohne Rücksicht auf ihr Geschlecht;
wollten sie nicht unterliegen, so mußten sie die gleichen Mittel haben,
diese Lasten zu bewältigen: Bildungs- und Berufsfreiheit, und schließlich
die öffentlichen Rechte, die im modernen Staatsleben mehr und mehr
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[9/0009] herrschaft des Jnstinktlebens. Dem geistlich gerichteten Asketen erschien das Weib als das sündige Gefäß; dem, der sich unbefangen zu seiner Menschlichkeit bekannte, immer doch vor allem als Geschlechts- wesen, dessen Bestimmung in ihm ihren Mittelpunkt hatte. Auf der einen Seite fragte man, ob sie eine Seele haben könne, auf der andern Seite brachte der Sprichwörterschatz der Völker in unendlichen Wendungen lange Haare und kurzen Verstand zusammen. Wie sollte man dazu kommen, der Frau plötzlich eine soziale Stellung zu geben, als sei ihre geistige Persönlichkeit dem Manne in jeder Hinsicht eben- bürtig? So mächtig sich der voraussetzungslose Nationalismus gezeigt hatte, als er die Jahrhunderte alten feudalen Herrschafts- und Dienst- verhältnisse in Trümmer schlug – hier konnte ihm kein rascher Sieg zufallen. Er konnte nicht mehr als einen Umbildungsprozeß einleiten, der dieses letzte Stück Jnstinktleben allmählich vergeistigte. Und so beginnt der Kampf, vielleicht der tiefgreifendste, den die Menschheit gekannt hat. Es gibt kaum ein Lebensgebiet, das er in seinem Verlauf nicht berührt hätte. Zunächst waren es die wirtschaftlichen Umwälzungen, die diesem Kampf einen breiten Schauplatz gaben. Sie schufen wieder eine Frauennot, die wirtschaftliche Frauenfrage des 19. Jahrhunderts. Und damit wurde der Kampf der Geister in den Lüften übertäubt durch den rasch entbrennenden Konkurrenzkampf auf heiß umstrittener Erde, in dem alle jene ideellen Ansprüche sich zu sehr realen Forde- rungen verdichten mußten. Es war selbstverständlich, daß sich hier, wo es um das nackte Dasein ging, die Gegensätze ungeheuer verschärften. Massen von Frauen waren plötzlich, auch ohne ihren Willen, in das öffentliche Leben hinausgedrängt, sie hatten den wirtschaftlichen Mächten ihr tägliches Brot abzuringen wie der Mann. Das Leben legte ihnen seine Lasten und Pflichten auf, ohne Rücksicht auf ihr Geschlecht; wollten sie nicht unterliegen, so mußten sie die gleichen Mittel haben, diese Lasten zu bewältigen: Bildungs- und Berufsfreiheit, und schließlich die öffentlichen Rechte, die im modernen Staatsleben mehr und mehr auch das Mittel wirtschaftlicher Selbstbehauptung wurden. So prägte

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Zitationshilfe: Lange, Helene: Das Endziel der Frauenbewegung. Berlin, 1904, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_endziel_1904/9>, abgerufen am 29.03.2024.