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Lange, Helene: Das Endziel der Frauenbewegung. Berlin, 1904.

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Man hat in den Kreisen der Frauenbewegung selbst in den
letzten Jahren öfter die Ansicht ausgesprochen, daß in der allgemeinen
theoretischen Erörterung der Frauenfrage nun genug geschehen sei,
und daß es jetzt nur darauf ankommen müsse, ihre Spezialgebiete
mit Sachkunde und Energie zu bearbeiten, im einzelnen zu verwirk-
lichen, was man im großen erreichen will. Jn dieser Ansicht liegt
zweifellos ein Stück Wahrheit. Aber sie hat auch ihr Bedenkliches.
Je mehr die Arbeit der Frauenbewegung sich spezialisiert, je mehr
ihre Trägerinnen sich auf Einzelgebiete verteilen, um so größer ist
die Gefahr, daß sie die Fühlung unter einander verlieren, und daß
das, was schließlich im einzelnen geleistet wird, doch dem Ganzen
nicht mehr dient. Darum, meine ich, ist es immer wieder not-
wendig, die breite Fülle unserer Einzelarbeit durch die Jdeen zu-
sammenzufassen, die in der Frauenbewegung einen einheitlichen geschicht-
lichen Werdeprozeß erkennen lassen. Und ein Augenblick, wie der
heutige, da das imposante Bild dieser Leistungen in buntem Wechsel
an uns vorübergezogen ist, legt es uns besonders nahe, ehe wir
uns trennen, noch einmal still zu stehen und zu fragen: Wohin führt
all dies Schaffen und Ringen, was ist das Endziel der Frauen-
bewegung?

Die besonderen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse, unter
denen sich die Frauenbewegung bei uns und in manchen anderen
Ländern entwickelt hat, verleiten heute dazu, sie lediglich auf wirtschaft-
liche Ursachen zurückzuführen und sie nur im Zusammenhang mit
diesen Ursachen zu erfassen. Jm Hinblick auf das Endziel der Frauen-
bewegung würde sich aus dieser rein materialistischen Betrachtung
der Schluß ergeben - ein Schluß, der in der Tat vielfach gezogen

Man hat in den Kreisen der Frauenbewegung selbst in den
letzten Jahren öfter die Ansicht ausgesprochen, daß in der allgemeinen
theoretischen Erörterung der Frauenfrage nun genug geschehen sei,
und daß es jetzt nur darauf ankommen müsse, ihre Spezialgebiete
mit Sachkunde und Energie zu bearbeiten, im einzelnen zu verwirk-
lichen, was man im großen erreichen will. Jn dieser Ansicht liegt
zweifellos ein Stück Wahrheit. Aber sie hat auch ihr Bedenkliches.
Je mehr die Arbeit der Frauenbewegung sich spezialisiert, je mehr
ihre Trägerinnen sich auf Einzelgebiete verteilen, um so größer ist
die Gefahr, daß sie die Fühlung unter einander verlieren, und daß
das, was schließlich im einzelnen geleistet wird, doch dem Ganzen
nicht mehr dient. Darum, meine ich, ist es immer wieder not-
wendig, die breite Fülle unserer Einzelarbeit durch die Jdeen zu-
sammenzufassen, die in der Frauenbewegung einen einheitlichen geschicht-
lichen Werdeprozeß erkennen lassen. Und ein Augenblick, wie der
heutige, da das imposante Bild dieser Leistungen in buntem Wechsel
an uns vorübergezogen ist, legt es uns besonders nahe, ehe wir
uns trennen, noch einmal still zu stehen und zu fragen: Wohin führt
all dies Schaffen und Ringen, was ist das Endziel der Frauen-
bewegung?

Die besonderen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse, unter
denen sich die Frauenbewegung bei uns und in manchen anderen
Ländern entwickelt hat, verleiten heute dazu, sie lediglich auf wirtschaft-
liche Ursachen zurückzuführen und sie nur im Zusammenhang mit
diesen Ursachen zu erfassen. Jm Hinblick auf das Endziel der Frauen-
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der Schluß ergeben – ein Schluß, der in der Tat vielfach gezogen

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Zitationshilfe: Lange, Helene: Das Endziel der Frauenbewegung. Berlin, 1904, S. [3]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_endziel_1904/3>, abgerufen am 26.04.2024.