Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite

III. Hauptstück.
oder angehängt, zwischeneingeschoben oder ganz abge-
sondert, und ihre Ordnung ist theils an sich, theils dem
Sprachgebrauche nach, nicht gleichgültig. Wir sagen:
igkeit, ichtheit, lichkeit, keitlich, barung, barlich,
barkeit, barlichkeit, barschaft, schaftlich, thüm-
lich, etc. unver, verun, unab, unum, herab, her-
unter, unzu, unent, verur, einver,
etc. Warum
aber vielmehr diese als eine andere Ordnung und Ver-
bindung der Ableitungstheilchen statt habe, muß in der
vorhin (§. 129.) erwähnten Theorie der deutschen
Sprache, und ihrer charakteristischen Einrichtung, unter-
sucht werden.

§. 136. Die Sprache sängt in Benennung der
Dinge bey Empfindungen der äußerlichen Sinnen
an, und sie benennt nicht so fast die Dinge selbst, als
ihr Bild oder den Eindruck, den sie in die Sinne ma-
chen. Dieser Weg ist von demjenigen nicht verschie-
den, nach welchem wir von Jugend auf zu unserer Er-
kenntniß gelangen, und er konnte auch von den ersten
Urhebern der Sprachen nicht anders genommen wer-
den. Die Folge, die wir hieraus ziehen, ist, daß man
in der Zergliederung eines Wortes, welches einen nicht
sinnlichen, sondern abstracten Begriff vorstellt, immer
auf einen sinnlichen Begriff kommen wird, so oft näm-
lich das Wort abgeleitet ist, oder eine Wortforschung
zuläßt.

§. 137. Die Hauptfrage aber, die hiebey vorkömmt,
ist diese: Ob die Körperwelt, aus welcher wir die Wör-
ter nehmen, von gleichem Umfange mit der Jntellectu-
alwelt oder mit dem Reiche der abstracten Begriffe
sey; so, daß wenn man alles Aehnliche und Verschie-
dene in der Körperwelt benennt hat, man durch bloße.
Metaphern alle Begriffe der Jntellectualwelt, und über-
haupt alle abstracte Begriffe ausdrücken könne? Denn
wäre dieses, so ist klar, daß man bey Erfindung einer

wissen-

III. Hauptſtuͤck.
oder angehaͤngt, zwiſcheneingeſchoben oder ganz abge-
ſondert, und ihre Ordnung iſt theils an ſich, theils dem
Sprachgebrauche nach, nicht gleichguͤltig. Wir ſagen:
igkeit, ichtheit, lichkeit, keitlich, barung, barlich,
barkeit, barlichkeit, barſchaft, ſchaftlich, thuͤm-
lich, ꝛc. unver, verun, unab, unum, herab, her-
unter, unzu, unent, verur, einver,
ꝛc. Warum
aber vielmehr dieſe als eine andere Ordnung und Ver-
bindung der Ableitungstheilchen ſtatt habe, muß in der
vorhin (§. 129.) erwaͤhnten Theorie der deutſchen
Sprache, und ihrer charakteriſtiſchen Einrichtung, unter-
ſucht werden.

§. 136. Die Sprache ſaͤngt in Benennung der
Dinge bey Empfindungen der aͤußerlichen Sinnen
an, und ſie benennt nicht ſo faſt die Dinge ſelbſt, als
ihr Bild oder den Eindruck, den ſie in die Sinne ma-
chen. Dieſer Weg iſt von demjenigen nicht verſchie-
den, nach welchem wir von Jugend auf zu unſerer Er-
kenntniß gelangen, und er konnte auch von den erſten
Urhebern der Sprachen nicht anders genommen wer-
den. Die Folge, die wir hieraus ziehen, iſt, daß man
in der Zergliederung eines Wortes, welches einen nicht
ſinnlichen, ſondern abſtracten Begriff vorſtellt, immer
auf einen ſinnlichen Begriff kommen wird, ſo oft naͤm-
lich das Wort abgeleitet iſt, oder eine Wortforſchung
zulaͤßt.

§. 137. Die Hauptfrage aber, die hiebey vorkoͤmmt,
iſt dieſe: Ob die Koͤrperwelt, aus welcher wir die Woͤr-
ter nehmen, von gleichem Umfange mit der Jntellectu-
alwelt oder mit dem Reiche der abſtracten Begriffe
ſey; ſo, daß wenn man alles Aehnliche und Verſchie-
dene in der Koͤrperwelt benennt hat, man durch bloße.
Metaphern alle Begriffe der Jntellectualwelt, und uͤber-
haupt alle abſtracte Begriffe ausdruͤcken koͤnne? Denn
waͤre dieſes, ſo iſt klar, daß man bey Erfindung einer

wiſſen-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0088" n="82"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">III.</hi> Haupt&#x017F;tu&#x0364;ck.</hi></fw><lb/>
oder angeha&#x0364;ngt, zwi&#x017F;cheneinge&#x017F;choben oder ganz abge-<lb/>
&#x017F;ondert, und ihre Ordnung i&#x017F;t theils an &#x017F;ich, theils dem<lb/>
Sprachgebrauche nach, nicht gleichgu&#x0364;ltig. Wir &#x017F;agen:<lb/><hi rendition="#fr">igkeit, ichtheit, lichkeit, keitlich, barung, barlich,<lb/>
barkeit, barlichkeit, bar&#x017F;chaft, &#x017F;chaftlich, thu&#x0364;m-<lb/>
lich, &#xA75B;c. unver, verun, unab, unum, herab, her-<lb/>
unter, unzu, unent, verur, einver,</hi> &#xA75B;c. Warum<lb/>
aber vielmehr die&#x017F;e als eine andere Ordnung und Ver-<lb/>
bindung der Ableitungstheilchen &#x017F;tatt habe, muß in der<lb/>
vorhin (§. 129.) erwa&#x0364;hnten Theorie der deut&#x017F;chen<lb/>
Sprache, und ihrer charakteri&#x017F;ti&#x017F;chen Einrichtung, unter-<lb/>
&#x017F;ucht werden.</p><lb/>
          <p>§. 136. Die Sprache &#x017F;a&#x0364;ngt in Benennung der<lb/>
Dinge bey <hi rendition="#fr">Empfindungen</hi> der a&#x0364;ußerlichen Sinnen<lb/>
an, und &#x017F;ie benennt nicht &#x017F;o fa&#x017F;t die Dinge &#x017F;elb&#x017F;t, als<lb/>
ihr Bild oder den Eindruck, den &#x017F;ie in die Sinne ma-<lb/>
chen. Die&#x017F;er Weg i&#x017F;t von demjenigen nicht ver&#x017F;chie-<lb/>
den, nach welchem wir von Jugend auf zu un&#x017F;erer Er-<lb/>
kenntniß gelangen, und er konnte auch von den er&#x017F;ten<lb/>
Urhebern der Sprachen nicht anders genommen wer-<lb/>
den. Die Folge, die wir hieraus ziehen, i&#x017F;t, daß man<lb/>
in der Zergliederung eines Wortes, welches einen nicht<lb/>
&#x017F;innlichen, &#x017F;ondern ab&#x017F;tracten Begriff vor&#x017F;tellt, immer<lb/>
auf einen &#x017F;innlichen Begriff kommen wird, &#x017F;o oft na&#x0364;m-<lb/>
lich das Wort abgeleitet i&#x017F;t, oder eine Wortfor&#x017F;chung<lb/>
zula&#x0364;ßt.</p><lb/>
          <p>§. 137. Die Hauptfrage aber, die hiebey vorko&#x0364;mmt,<lb/>
i&#x017F;t die&#x017F;e: Ob die Ko&#x0364;rperwelt, aus welcher wir die Wo&#x0364;r-<lb/>
ter nehmen, von gleichem Umfange mit der Jntellectu-<lb/>
alwelt oder mit dem Reiche der ab&#x017F;tracten Begriffe<lb/>
&#x017F;ey; &#x017F;o, daß wenn man alles Aehnliche und Ver&#x017F;chie-<lb/>
dene in der Ko&#x0364;rperwelt benennt hat, man durch bloße.<lb/>
Metaphern alle Begriffe der Jntellectualwelt, und u&#x0364;ber-<lb/>
haupt alle ab&#x017F;tracte Begriffe ausdru&#x0364;cken ko&#x0364;nne? Denn<lb/>
wa&#x0364;re die&#x017F;es, &#x017F;o i&#x017F;t klar, daß man bey Erfindung einer<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">wi&#x017F;&#x017F;en-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[82/0088] III. Hauptſtuͤck. oder angehaͤngt, zwiſcheneingeſchoben oder ganz abge- ſondert, und ihre Ordnung iſt theils an ſich, theils dem Sprachgebrauche nach, nicht gleichguͤltig. Wir ſagen: igkeit, ichtheit, lichkeit, keitlich, barung, barlich, barkeit, barlichkeit, barſchaft, ſchaftlich, thuͤm- lich, ꝛc. unver, verun, unab, unum, herab, her- unter, unzu, unent, verur, einver, ꝛc. Warum aber vielmehr dieſe als eine andere Ordnung und Ver- bindung der Ableitungstheilchen ſtatt habe, muß in der vorhin (§. 129.) erwaͤhnten Theorie der deutſchen Sprache, und ihrer charakteriſtiſchen Einrichtung, unter- ſucht werden. §. 136. Die Sprache ſaͤngt in Benennung der Dinge bey Empfindungen der aͤußerlichen Sinnen an, und ſie benennt nicht ſo faſt die Dinge ſelbſt, als ihr Bild oder den Eindruck, den ſie in die Sinne ma- chen. Dieſer Weg iſt von demjenigen nicht verſchie- den, nach welchem wir von Jugend auf zu unſerer Er- kenntniß gelangen, und er konnte auch von den erſten Urhebern der Sprachen nicht anders genommen wer- den. Die Folge, die wir hieraus ziehen, iſt, daß man in der Zergliederung eines Wortes, welches einen nicht ſinnlichen, ſondern abſtracten Begriff vorſtellt, immer auf einen ſinnlichen Begriff kommen wird, ſo oft naͤm- lich das Wort abgeleitet iſt, oder eine Wortforſchung zulaͤßt. §. 137. Die Hauptfrage aber, die hiebey vorkoͤmmt, iſt dieſe: Ob die Koͤrperwelt, aus welcher wir die Woͤr- ter nehmen, von gleichem Umfange mit der Jntellectu- alwelt oder mit dem Reiche der abſtracten Begriffe ſey; ſo, daß wenn man alles Aehnliche und Verſchie- dene in der Koͤrperwelt benennt hat, man durch bloße. Metaphern alle Begriffe der Jntellectualwelt, und uͤber- haupt alle abſtracte Begriffe ausdruͤcken koͤnne? Denn waͤre dieſes, ſo iſt klar, daß man bey Erfindung einer wiſſen-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/88
Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/88>, abgerufen am 23.11.2024.