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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

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Von der Sprache an sich betrachtet.
werden, als eine Art von Vocalen ansieht, und sie Voi-
elles nazales
nennt. Da auch diese Art auszusprechen
die Mannichfaltigkeit in den Elementen der Sprache
vergrößert, so kann sie da, wo man auf die vielfältigste
Verschiedenheit der einfachen Laute oder Töne sieht,
ebenfalls mit in Betrachtung gezogen werden, zumal da
sie bey allen den 17 verschiedenen Vocalen (§. 74.)
möglich bleibt, weil sie nur in einer Abänderung des
Klanges oder in einer Modification desselben besteht.
Es gebraucht dabey auch keine besondere Zeichen. Denn
da die Modification bey allen einerley ist, so würde ein
Accent oder ander gleichgeltendes Zeichen dieselbe an
sich hinlänglich von der reinen und hellern Aussprache
eben derselben Vocalen unterscheiden.

§. 82. Die Aspiration bey dem h, und eben so auch
die Aussprache des r und s, hat mehrere Stuffen. Die
Türken aspiriren aus voller Kehle, die Schweizer merk-
lich stark, die Deutschen minder, die Franzosen und
Welschen fast unmerklich. Das s wird von einigen
mehr gelispelt, und viele stoßen an dem r dergestalt an,
daß es einen von dem gewöhnlichen r verschiedenen Laut
abgeben kann. Ueberhaupt lassen sich in dieser Absicht
auch die Fehler der Zunge zu Möglichkeiten der Aus-
sprache machen, weil eine biegsame Zunge sich, ehe sie
erhärtet, dazu gewöhnen kann.

§. 83. Jndessen, wenn wir die Sachen so nehmen,
wie sie sind, so finden wir hier die erste Grundlage zu
dem, was man die Art einer Sprache, Genius lin-
guae,
nennt. Denn von allen möglichen Combinatio-
nen der Buchstaben zu einer Sylbe nimmt jede wirkli-
che Sprache nur eine gewisse Anzahl für sich, und wer
nicht von Jugend auf sich an die Aussprache fremder
Sprachen gewöhnt, dem wird es in dem Alter mehr
oder minder unmöglich, und diese Unmöglichkeit dehnt
sich auch auf die todten Sprachen aus, weil jede Nation

diesel-
D 2

Von der Sprache an ſich betrachtet.
werden, als eine Art von Vocalen anſieht, und ſie Voi-
elles nazales
nennt. Da auch dieſe Art auszuſprechen
die Mannichfaltigkeit in den Elementen der Sprache
vergroͤßert, ſo kann ſie da, wo man auf die vielfaͤltigſte
Verſchiedenheit der einfachen Laute oder Toͤne ſieht,
ebenfalls mit in Betrachtung gezogen werden, zumal da
ſie bey allen den 17 verſchiedenen Vocalen (§. 74.)
moͤglich bleibt, weil ſie nur in einer Abaͤnderung des
Klanges oder in einer Modification deſſelben beſteht.
Es gebraucht dabey auch keine beſondere Zeichen. Denn
da die Modification bey allen einerley iſt, ſo wuͤrde ein
Accent oder ander gleichgeltendes Zeichen dieſelbe an
ſich hinlaͤnglich von der reinen und hellern Ausſprache
eben derſelben Vocalen unterſcheiden.

§. 82. Die Aſpiration bey dem h, und eben ſo auch
die Ausſprache des r und s, hat mehrere Stuffen. Die
Tuͤrken aſpiriren aus voller Kehle, die Schweizer merk-
lich ſtark, die Deutſchen minder, die Franzoſen und
Welſchen faſt unmerklich. Das s wird von einigen
mehr geliſpelt, und viele ſtoßen an dem r dergeſtalt an,
daß es einen von dem gewoͤhnlichen r verſchiedenen Laut
abgeben kann. Ueberhaupt laſſen ſich in dieſer Abſicht
auch die Fehler der Zunge zu Moͤglichkeiten der Aus-
ſprache machen, weil eine biegſame Zunge ſich, ehe ſie
erhaͤrtet, dazu gewoͤhnen kann.

§. 83. Jndeſſen, wenn wir die Sachen ſo nehmen,
wie ſie ſind, ſo finden wir hier die erſte Grundlage zu
dem, was man die Art einer Sprache, Genius lin-
guae,
nennt. Denn von allen moͤglichen Combinatio-
nen der Buchſtaben zu einer Sylbe nimmt jede wirkli-
che Sprache nur eine gewiſſe Anzahl fuͤr ſich, und wer
nicht von Jugend auf ſich an die Ausſprache fremder
Sprachen gewoͤhnt, dem wird es in dem Alter mehr
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ſich auch auf die todten Sprachen aus, weil jede Nation

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[51/0057] Von der Sprache an ſich betrachtet. werden, als eine Art von Vocalen anſieht, und ſie Voi- elles nazales nennt. Da auch dieſe Art auszuſprechen die Mannichfaltigkeit in den Elementen der Sprache vergroͤßert, ſo kann ſie da, wo man auf die vielfaͤltigſte Verſchiedenheit der einfachen Laute oder Toͤne ſieht, ebenfalls mit in Betrachtung gezogen werden, zumal da ſie bey allen den 17 verſchiedenen Vocalen (§. 74.) moͤglich bleibt, weil ſie nur in einer Abaͤnderung des Klanges oder in einer Modification deſſelben beſteht. Es gebraucht dabey auch keine beſondere Zeichen. Denn da die Modification bey allen einerley iſt, ſo wuͤrde ein Accent oder ander gleichgeltendes Zeichen dieſelbe an ſich hinlaͤnglich von der reinen und hellern Ausſprache eben derſelben Vocalen unterſcheiden. §. 82. Die Aſpiration bey dem h, und eben ſo auch die Ausſprache des r und s, hat mehrere Stuffen. Die Tuͤrken aſpiriren aus voller Kehle, die Schweizer merk- lich ſtark, die Deutſchen minder, die Franzoſen und Welſchen faſt unmerklich. Das s wird von einigen mehr geliſpelt, und viele ſtoßen an dem r dergeſtalt an, daß es einen von dem gewoͤhnlichen r verſchiedenen Laut abgeben kann. Ueberhaupt laſſen ſich in dieſer Abſicht auch die Fehler der Zunge zu Moͤglichkeiten der Aus- ſprache machen, weil eine biegſame Zunge ſich, ehe ſie erhaͤrtet, dazu gewoͤhnen kann. §. 83. Jndeſſen, wenn wir die Sachen ſo nehmen, wie ſie ſind, ſo finden wir hier die erſte Grundlage zu dem, was man die Art einer Sprache, Genius lin- guae, nennt. Denn von allen moͤglichen Combinatio- nen der Buchſtaben zu einer Sylbe nimmt jede wirkli- che Sprache nur eine gewiſſe Anzahl fuͤr ſich, und wer nicht von Jugend auf ſich an die Ausſprache fremder Sprachen gewoͤhnt, dem wird es in dem Alter mehr oder minder unmoͤglich, und dieſe Unmoͤglichkeit dehnt ſich auch auf die todten Sprachen aus, weil jede Nation dieſel- D 2

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/57>, abgerufen am 23.11.2024.