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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

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V. Hauptstück.
algebraischen Gleichung a posteriori und gleichsam wie
durch die Erfahrung heraus. Ungeacht nun solche
Sätze gewiß sind, so ist die Gewißheit doch nicht geo-
metrisch, weil diese einen Beweis a priori, oder einen
eigentlich geometrischen Beweis fordert. Wieder-
um, wer den Euclid liest, und von der Wahrheit sei-
ner Sätze überzeugt wird, der glaubt sie mit geometri-
scher Gewißheit, nicht, weil Euclid sie ihm angiebt,
sondern weil er nach desselben Anleitung sich die Sache
selbst vorstellt. Die Samaritaner machten einen
ähnlichen Unterschied, wenn sie Joh. 4, 42. sagten: Wir
glauben nun fort nicht mehr um deiner Rede
willen; wir haben selber gehört und erkennt.

Denn was man selbst sieht und hört, darf man eben
nicht mehr bloß auf eines andern Aussage hin glauben,
weil man unmittelbarere Gründe hat. Wir gelan-
gen eben so a posteriori zu unsern Begriffen, weil un-
sere Erkenntniß bey den Sinnen anfängt. Dieß will
aber nicht sagen, daß sich unter diesen Begriffen nicht
solche finden sollten, die, nachdem wir sie einmal haben,
sodann für sich gedenkbar sind (Dianoiol. §. 657.).
Dieses aber macht, daß wir z. E. die Geometrie als ei-
ne Wissenschaft ansehen, die im strengsten Verstande
a priori ist, weil ihre Grundbegriffe einfach, und für
sich gedenkbar sind.

§. 256. Wir machen diese Anmerkungen, weil die
fünfte Art der Gewißheit, die wir nun betrachten wer-
den, immer mit einer der vorhin erwähnten vier Arten
verbunden ist. Sie geht nämlich auf jede Erkenntniß,
von deren Wahrheit wir nicht anders versichert sind,
als so fern wir wissen, daß andere davon versichert sind,
oder die wir schlechthin nur aus Nachrichten haben.
Sie beruht demnach auf der Glaubwürdigkeit an-
derer,
und soll sie = 1 oder vollständig seyn, so müs-
sen wir mit vollständiger Gewißheit wissen, daß sie sich

nicht

V. Hauptſtuͤck.
algebraiſchen Gleichung a poſteriori und gleichſam wie
durch die Erfahrung heraus. Ungeacht nun ſolche
Saͤtze gewiß ſind, ſo iſt die Gewißheit doch nicht geo-
metriſch, weil dieſe einen Beweis a priori, oder einen
eigentlich geometriſchen Beweis fordert. Wieder-
um, wer den Euclid lieſt, und von der Wahrheit ſei-
ner Saͤtze uͤberzeugt wird, der glaubt ſie mit geometri-
ſcher Gewißheit, nicht, weil Euclid ſie ihm angiebt,
ſondern weil er nach deſſelben Anleitung ſich die Sache
ſelbſt vorſtellt. Die Samaritaner machten einen
aͤhnlichen Unterſchied, wenn ſie Joh. 4, 42. ſagten: Wir
glauben nun fort nicht mehr um deiner Rede
willen; wir haben ſelber gehoͤrt und erkennt.

Denn was man ſelbſt ſieht und hoͤrt, darf man eben
nicht mehr bloß auf eines andern Ausſage hin glauben,
weil man unmittelbarere Gruͤnde hat. Wir gelan-
gen eben ſo a poſteriori zu unſern Begriffen, weil un-
ſere Erkenntniß bey den Sinnen anfaͤngt. Dieß will
aber nicht ſagen, daß ſich unter dieſen Begriffen nicht
ſolche finden ſollten, die, nachdem wir ſie einmal haben,
ſodann fuͤr ſich gedenkbar ſind (Dianoiol. §. 657.).
Dieſes aber macht, daß wir z. E. die Geometrie als ei-
ne Wiſſenſchaft anſehen, die im ſtrengſten Verſtande
a priori iſt, weil ihre Grundbegriffe einfach, und fuͤr
ſich gedenkbar ſind.

§. 256. Wir machen dieſe Anmerkungen, weil die
fuͤnfte Art der Gewißheit, die wir nun betrachten wer-
den, immer mit einer der vorhin erwaͤhnten vier Arten
verbunden iſt. Sie geht naͤmlich auf jede Erkenntniß,
von deren Wahrheit wir nicht anders verſichert ſind,
als ſo fern wir wiſſen, daß andere davon verſichert ſind,
oder die wir ſchlechthin nur aus Nachrichten haben.
Sie beruht demnach auf der Glaubwuͤrdigkeit an-
derer,
und ſoll ſie = 1 oder vollſtaͤndig ſeyn, ſo muͤſ-
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[412/0418] V. Hauptſtuͤck. algebraiſchen Gleichung a poſteriori und gleichſam wie durch die Erfahrung heraus. Ungeacht nun ſolche Saͤtze gewiß ſind, ſo iſt die Gewißheit doch nicht geo- metriſch, weil dieſe einen Beweis a priori, oder einen eigentlich geometriſchen Beweis fordert. Wieder- um, wer den Euclid lieſt, und von der Wahrheit ſei- ner Saͤtze uͤberzeugt wird, der glaubt ſie mit geometri- ſcher Gewißheit, nicht, weil Euclid ſie ihm angiebt, ſondern weil er nach deſſelben Anleitung ſich die Sache ſelbſt vorſtellt. Die Samaritaner machten einen aͤhnlichen Unterſchied, wenn ſie Joh. 4, 42. ſagten: Wir glauben nun fort nicht mehr um deiner Rede willen; wir haben ſelber gehoͤrt und erkennt. Denn was man ſelbſt ſieht und hoͤrt, darf man eben nicht mehr bloß auf eines andern Ausſage hin glauben, weil man unmittelbarere Gruͤnde hat. Wir gelan- gen eben ſo a poſteriori zu unſern Begriffen, weil un- ſere Erkenntniß bey den Sinnen anfaͤngt. Dieß will aber nicht ſagen, daß ſich unter dieſen Begriffen nicht ſolche finden ſollten, die, nachdem wir ſie einmal haben, ſodann fuͤr ſich gedenkbar ſind (Dianoiol. §. 657.). Dieſes aber macht, daß wir z. E. die Geometrie als ei- ne Wiſſenſchaft anſehen, die im ſtrengſten Verſtande a priori iſt, weil ihre Grundbegriffe einfach, und fuͤr ſich gedenkbar ſind. §. 256. Wir machen dieſe Anmerkungen, weil die fuͤnfte Art der Gewißheit, die wir nun betrachten wer- den, immer mit einer der vorhin erwaͤhnten vier Arten verbunden iſt. Sie geht naͤmlich auf jede Erkenntniß, von deren Wahrheit wir nicht anders verſichert ſind, als ſo fern wir wiſſen, daß andere davon verſichert ſind, oder die wir ſchlechthin nur aus Nachrichten haben. Sie beruht demnach auf der Glaubwuͤrdigkeit an- derer, und ſoll ſie = 1 oder vollſtaͤndig ſeyn, ſo muͤſ- ſen wir mit vollſtaͤndiger Gewißheit wiſſen, daß ſie ſich nicht

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 412. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/418>, abgerufen am 22.11.2024.