Grade derselben, die bey solchen Untersuchungen gefun- den werden, in einem ungleich engern Verstande mo- ralisch genennt werden können. Die Gewißheit hie- bey ist a posteriori, und eben dadurch von der geome- trischen verschieden, demnach schon in diesem Verstande moralisch (§. 249.). Sie ist es aber auch, weil sie auf die Moralität der Handlungen, auf die Bestimmung und Versicherung derselben geht.
§. 254. Die Bestimmung der Ursachen von Ver- änderungen in der Welt, wo uns die unmittelbare Em- pfindung nur die letzteren angiebt, imgleichen die Be- stimmung der Folgen der Veränderungen, die sich nicht so unmittelbar in ihren Verbindungen empfinden las- sen, geben noch eine Art der moralischen Gewißheit und ihrer Grade, welche aus der Gewißheit der Empfindun- gen und Schlüsse zusammengesetzt ist, und wobey die Vordersätze der Schlüsse, und besonders die Obersätze, selbst aus der Erfahrung müssen hergenommen werden (§. 252.). Wir haben die Art, wie wir dabey theils zu Wahrscheinlichkeiten, theils zur Gewißheit gelangen, bereits oben (§. 162. seqq.) beschrieben, und führen sie hier nur an, um die Abzählung vollständiger zu machen.
§. 255. Bey den vier bisher erwähnten Arten der Gewißheit (§. 251. seqq.) haben wir noch immer vor- ausgesetzt, daß, wenn wir den Stoff dazu auch nicht aus den ihnen eigenen Quellen haben, dennoch die Ge- wißheit oder Wahrscheinlichkeit selbst daher rühre. Was dieses sagen will, wollen wir durch Beyspiele er- läutern. So ist es z. E. möglich, einen geometrischen Satz durch die Erfahrung zu finden, und seine Allge- meinheit durch Jnduction zu beweisen. Auf diese Art hat Fermat viele merkwürdige Eigenschaften der Zah- len gefunden, und Harriot brachte eben so seine Re- gel von der Anzahl wahrer und falscher Wurzeln einer
alge-
Von dem Wahrſcheinlichen.
Grade derſelben, die bey ſolchen Unterſuchungen gefun- den werden, in einem ungleich engern Verſtande mo- raliſch genennt werden koͤnnen. Die Gewißheit hie- bey iſt a poſteriori, und eben dadurch von der geome- triſchen verſchieden, demnach ſchon in dieſem Verſtande moraliſch (§. 249.). Sie iſt es aber auch, weil ſie auf die Moralitaͤt der Handlungen, auf die Beſtimmung und Verſicherung derſelben geht.
§. 254. Die Beſtimmung der Urſachen von Ver- aͤnderungen in der Welt, wo uns die unmittelbare Em- pfindung nur die letzteren angiebt, imgleichen die Be- ſtimmung der Folgen der Veraͤnderungen, die ſich nicht ſo unmittelbar in ihren Verbindungen empfinden laſ- ſen, geben noch eine Art der moraliſchen Gewißheit und ihrer Grade, welche aus der Gewißheit der Empfindun- gen und Schluͤſſe zuſammengeſetzt iſt, und wobey die Vorderſaͤtze der Schluͤſſe, und beſonders die Oberſaͤtze, ſelbſt aus der Erfahrung muͤſſen hergenommen werden (§. 252.). Wir haben die Art, wie wir dabey theils zu Wahrſcheinlichkeiten, theils zur Gewißheit gelangen, bereits oben (§. 162. ſeqq.) beſchrieben, und fuͤhren ſie hier nur an, um die Abzaͤhlung vollſtaͤndiger zu machen.
§. 255. Bey den vier bisher erwaͤhnten Arten der Gewißheit (§. 251. ſeqq.) haben wir noch immer vor- ausgeſetzt, daß, wenn wir den Stoff dazu auch nicht aus den ihnen eigenen Quellen haben, dennoch die Ge- wißheit oder Wahrſcheinlichkeit ſelbſt daher ruͤhre. Was dieſes ſagen will, wollen wir durch Beyſpiele er- laͤutern. So iſt es z. E. moͤglich, einen geometriſchen Satz durch die Erfahrung zu finden, und ſeine Allge- meinheit durch Jnduction zu beweiſen. Auf dieſe Art hat Fermat viele merkwuͤrdige Eigenſchaften der Zah- len gefunden, und Harriot brachte eben ſo ſeine Re- gel von der Anzahl wahrer und falſcher Wurzeln einer
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Von dem Wahrſcheinlichen.
Grade derſelben, die bey ſolchen Unterſuchungen gefun-
den werden, in einem ungleich engern Verſtande mo-
raliſch genennt werden koͤnnen. Die Gewißheit hie-
bey iſt a poſteriori, und eben dadurch von der geome-
triſchen verſchieden, demnach ſchon in dieſem Verſtande
moraliſch (§. 249.). Sie iſt es aber auch, weil ſie auf
die Moralitaͤt der Handlungen, auf die Beſtimmung
und Verſicherung derſelben geht.
§. 254. Die Beſtimmung der Urſachen von Ver-
aͤnderungen in der Welt, wo uns die unmittelbare Em-
pfindung nur die letzteren angiebt, imgleichen die Be-
ſtimmung der Folgen der Veraͤnderungen, die ſich nicht
ſo unmittelbar in ihren Verbindungen empfinden laſ-
ſen, geben noch eine Art der moraliſchen Gewißheit und
ihrer Grade, welche aus der Gewißheit der Empfindun-
gen und Schluͤſſe zuſammengeſetzt iſt, und wobey die
Vorderſaͤtze der Schluͤſſe, und beſonders die Oberſaͤtze,
ſelbſt aus der Erfahrung muͤſſen hergenommen werden
(§. 252.). Wir haben die Art, wie wir dabey theils zu
Wahrſcheinlichkeiten, theils zur Gewißheit gelangen,
bereits oben (§. 162. ſeqq.) beſchrieben, und fuͤhren
ſie hier nur an, um die Abzaͤhlung vollſtaͤndiger zu
machen.
§. 255. Bey den vier bisher erwaͤhnten Arten der
Gewißheit (§. 251. ſeqq.) haben wir noch immer vor-
ausgeſetzt, daß, wenn wir den Stoff dazu auch nicht
aus den ihnen eigenen Quellen haben, dennoch die Ge-
wißheit oder Wahrſcheinlichkeit ſelbſt daher ruͤhre.
Was dieſes ſagen will, wollen wir durch Beyſpiele er-
laͤutern. So iſt es z. E. moͤglich, einen geometriſchen
Satz durch die Erfahrung zu finden, und ſeine Allge-
meinheit durch Jnduction zu beweiſen. Auf dieſe Art
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len gefunden, und Harriot brachte eben ſo ſeine Re-
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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 411. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/417>, abgerufen am 16.02.2025.
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