Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite

Von dem moralischen Schein.
und die Vernunft unbrauchbarer zu machen. Bey ei-
nigen macht die Empfindung der Verschiedenheiten, bey
andern aber die Empfindung der Aehnlichkeiten der
Dinge stärkern Eindruk. Bey einigen ist das Objective
in den Empfindungen lauterer, bey andern aber mit
dem Subjectiven (§. 100.) mehr untermengt. Solche
Unterschiede finden sich ebenfalls in Ansehung der |Af-
fecten, Triebe, und Kräften des Leibes. Wir werden
aber den erst angegebenen Schattenriß der Theorie die-
ser Unterschiede aus gleichem Grunde, wie oben (§. 101.)
nicht weiter fortsetzen, weil sie noch viel zu weit zurücke
bleibt, sondern auch hier statt der wirkenden Ursachen
in dem Leibe und dem Gehirne die Wirkungen betrach-
ten, und ihren Einfluß in den Schein der Dinge
untersuchen.

§. 136. Das erste, das sich uns hiebey anbeut, ist
der Unterschied, den wir zu machen haben, ob die Seele
sich leidend oder thätig verhalte. Ersteres ist, wenn
sie die Emfindungen annimmt, und da mengt sich das
Angenehme und das Widrige mit ein, es mag nun
von dem Grade oder von der Art der Empfindung her-
rühren. Letzteres aber findet statt, wenn die Kräfte, die
von dem Willen abhängen, gebraucht werden, und da
findet sich das Mühsamere und das Leichtere.
Beydes aber ist hinwiederum mit dem Angenehmen
und Widrigen verbunden. Den Einfluß, den diese
gedoppelte Verbindung auf den Charakter eines jeden
Menschen hat, haben wir bereits oben (§. 18.) ange-
zeigt. Ueberhaupt betrachtet ist das Mühsame widrig,
das Leichte aber angenehm. Und dieses findet vornehm-
lich statt, wo jemand das Leichte und Mühsame zum
Maaßstabe des Angenehmen und Widrigen macht, oder
dieses schlechthin nur nach jenem schätzt. Hingegen fin-
det sich die Sache auch umgekehrt, daß man nämlich
dem Angenehmen die Mühe aufopfert, und das Leichte

fahren
U 2

Von dem moraliſchen Schein.
und die Vernunft unbrauchbarer zu machen. Bey ei-
nigen macht die Empfindung der Verſchiedenheiten, bey
andern aber die Empfindung der Aehnlichkeiten der
Dinge ſtaͤrkern Eindruk. Bey einigen iſt das Objective
in den Empfindungen lauterer, bey andern aber mit
dem Subjectiven (§. 100.) mehr untermengt. Solche
Unterſchiede finden ſich ebenfalls in Anſehung der |Af-
fecten, Triebe, und Kraͤften des Leibes. Wir werden
aber den erſt angegebenen Schattenriß der Theorie die-
ſer Unterſchiede aus gleichem Grunde, wie oben (§. 101.)
nicht weiter fortſetzen, weil ſie noch viel zu weit zuruͤcke
bleibt, ſondern auch hier ſtatt der wirkenden Urſachen
in dem Leibe und dem Gehirne die Wirkungen betrach-
ten, und ihren Einfluß in den Schein der Dinge
unterſuchen.

§. 136. Das erſte, das ſich uns hiebey anbeut, iſt
der Unterſchied, den wir zu machen haben, ob die Seele
ſich leidend oder thaͤtig verhalte. Erſteres iſt, wenn
ſie die Emfindungen annimmt, und da mengt ſich das
Angenehme und das Widrige mit ein, es mag nun
von dem Grade oder von der Art der Empfindung her-
ruͤhren. Letzteres aber findet ſtatt, wenn die Kraͤfte, die
von dem Willen abhaͤngen, gebraucht werden, und da
findet ſich das Muͤhſamere und das Leichtere.
Beydes aber iſt hinwiederum mit dem Angenehmen
und Widrigen verbunden. Den Einfluß, den dieſe
gedoppelte Verbindung auf den Charakter eines jeden
Menſchen hat, haben wir bereits oben (§. 18.) ange-
zeigt. Ueberhaupt betrachtet iſt das Muͤhſame widrig,
das Leichte aber angenehm. Und dieſes findet vornehm-
lich ſtatt, wo jemand das Leichte und Muͤhſame zum
Maaßſtabe des Angenehmen und Widrigen macht, oder
dieſes ſchlechthin nur nach jenem ſchaͤtzt. Hingegen fin-
det ſich die Sache auch umgekehrt, daß man naͤmlich
dem Angenehmen die Muͤhe aufopfert, und das Leichte

fahren
U 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0313" n="307"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Von dem morali&#x017F;chen Schein.</hi></fw><lb/>
und die Vernunft unbrauchbarer zu machen. Bey ei-<lb/>
nigen macht die Empfindung der Ver&#x017F;chiedenheiten, bey<lb/>
andern aber die Empfindung der Aehnlichkeiten der<lb/>
Dinge &#x017F;ta&#x0364;rkern Eindruk. Bey einigen i&#x017F;t das Objective<lb/>
in den Empfindungen lauterer, bey andern aber mit<lb/>
dem Subjectiven (§. 100.) mehr untermengt. Solche<lb/>
Unter&#x017F;chiede finden &#x017F;ich ebenfalls in An&#x017F;ehung der |Af-<lb/>
fecten, Triebe, und Kra&#x0364;ften des Leibes. Wir werden<lb/>
aber den er&#x017F;t angegebenen Schattenriß der Theorie die-<lb/>
&#x017F;er Unter&#x017F;chiede aus gleichem Grunde, wie oben (§. 101.)<lb/>
nicht weiter fort&#x017F;etzen, weil &#x017F;ie noch viel zu weit zuru&#x0364;cke<lb/>
bleibt, &#x017F;ondern auch hier &#x017F;tatt der wirkenden Ur&#x017F;achen<lb/>
in dem Leibe und dem Gehirne die Wirkungen betrach-<lb/>
ten, und ihren Einfluß in den Schein der Dinge<lb/>
unter&#x017F;uchen.</p><lb/>
          <p>§. 136. Das er&#x017F;te, das &#x017F;ich uns hiebey anbeut, i&#x017F;t<lb/>
der Unter&#x017F;chied, den wir zu machen haben, ob die Seele<lb/>
&#x017F;ich <hi rendition="#fr">leidend</hi> oder <hi rendition="#fr">tha&#x0364;tig</hi> verhalte. Er&#x017F;teres i&#x017F;t, wenn<lb/>
&#x017F;ie die Emfindungen annimmt, und da mengt &#x017F;ich das<lb/><hi rendition="#fr">Angenehme</hi> und das <hi rendition="#fr">Widrige</hi> mit ein, es mag nun<lb/>
von dem Grade oder von der Art der Empfindung her-<lb/>
ru&#x0364;hren. Letzteres aber findet &#x017F;tatt, wenn die Kra&#x0364;fte, die<lb/>
von dem Willen abha&#x0364;ngen, gebraucht werden, und da<lb/>
findet &#x017F;ich das <hi rendition="#fr">Mu&#x0364;h&#x017F;amere</hi> und das <hi rendition="#fr">Leichtere.</hi><lb/>
Beydes aber i&#x017F;t hinwiederum mit dem <hi rendition="#fr">Angenehmen</hi><lb/>
und <hi rendition="#fr">Widrigen</hi> verbunden. Den Einfluß, den die&#x017F;e<lb/>
gedoppelte Verbindung auf den Charakter eines jeden<lb/>
Men&#x017F;chen hat, haben wir bereits oben (§. 18.) ange-<lb/>
zeigt. Ueberhaupt betrachtet i&#x017F;t das Mu&#x0364;h&#x017F;ame widrig,<lb/>
das Leichte aber angenehm. Und die&#x017F;es findet vornehm-<lb/>
lich &#x017F;tatt, wo jemand das Leichte und Mu&#x0364;h&#x017F;ame zum<lb/>
Maaß&#x017F;tabe des Angenehmen und Widrigen macht, oder<lb/>
die&#x017F;es &#x017F;chlechthin nur nach jenem &#x017F;cha&#x0364;tzt. Hingegen fin-<lb/>
det &#x017F;ich die Sache auch umgekehrt, daß man na&#x0364;mlich<lb/>
dem Angenehmen die Mu&#x0364;he aufopfert, und das Leichte<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">U 2</fw><fw place="bottom" type="catch">fahren</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[307/0313] Von dem moraliſchen Schein. und die Vernunft unbrauchbarer zu machen. Bey ei- nigen macht die Empfindung der Verſchiedenheiten, bey andern aber die Empfindung der Aehnlichkeiten der Dinge ſtaͤrkern Eindruk. Bey einigen iſt das Objective in den Empfindungen lauterer, bey andern aber mit dem Subjectiven (§. 100.) mehr untermengt. Solche Unterſchiede finden ſich ebenfalls in Anſehung der |Af- fecten, Triebe, und Kraͤften des Leibes. Wir werden aber den erſt angegebenen Schattenriß der Theorie die- ſer Unterſchiede aus gleichem Grunde, wie oben (§. 101.) nicht weiter fortſetzen, weil ſie noch viel zu weit zuruͤcke bleibt, ſondern auch hier ſtatt der wirkenden Urſachen in dem Leibe und dem Gehirne die Wirkungen betrach- ten, und ihren Einfluß in den Schein der Dinge unterſuchen. §. 136. Das erſte, das ſich uns hiebey anbeut, iſt der Unterſchied, den wir zu machen haben, ob die Seele ſich leidend oder thaͤtig verhalte. Erſteres iſt, wenn ſie die Emfindungen annimmt, und da mengt ſich das Angenehme und das Widrige mit ein, es mag nun von dem Grade oder von der Art der Empfindung her- ruͤhren. Letzteres aber findet ſtatt, wenn die Kraͤfte, die von dem Willen abhaͤngen, gebraucht werden, und da findet ſich das Muͤhſamere und das Leichtere. Beydes aber iſt hinwiederum mit dem Angenehmen und Widrigen verbunden. Den Einfluß, den dieſe gedoppelte Verbindung auf den Charakter eines jeden Menſchen hat, haben wir bereits oben (§. 18.) ange- zeigt. Ueberhaupt betrachtet iſt das Muͤhſame widrig, das Leichte aber angenehm. Und dieſes findet vornehm- lich ſtatt, wo jemand das Leichte und Muͤhſame zum Maaßſtabe des Angenehmen und Widrigen macht, oder dieſes ſchlechthin nur nach jenem ſchaͤtzt. Hingegen fin- det ſich die Sache auch umgekehrt, daß man naͤmlich dem Angenehmen die Muͤhe aufopfert, und das Leichte fahren U 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/313
Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/313>, abgerufen am 23.11.2024.