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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

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Von dem psychologischen Schein.
(§. 74. seqq.). Besonders aber dienen uns die daher-
rührenden Begriffe als natürliche und genau passende
Zeichen von Eigenschaften der Körper, die nicht selbst
in die Sinnen fallen, sondern erst durch Schlüsse müs-
sen gefunden werden (§. 89. 82.). Sodann wie sich
uns auch immer die Körper nach ihrem Schein zeigen,
so findet sich der Begriff der Solidität, und daß es
Dinge sind, mit dabey, und in Ansehung des Auges
würde die Empfindung der Ausdehnung, Figur und
Bewegung wegfallen, wenn die Körper nicht durch
Licht und Farben sichtbar wären. So ist auch bey je-
den sichtbaren Handlungen Figur und Bewegung
sichtbar. Und in so ferne mengt sich in das Scheinbare
der Körperwelt immer viel Wahres mit ein, welches
ausgelesen und besonders betrachtet werden kann.

§. 97. Wir machen ferner in vielen Fällen aus dem
Schein, den uns die Körper zeigen, ein Hauptwerk.
Die Färbe- und Malerkunst, die Musik und der feinere
Theil der Kochkunst sind Proben davon. Jn dieser
Absicht hat auch der Schein, als Schein betrachtet, sei-
ne Grade, Verhältnisse, Harmonien und Annehmlich-
keiten. Ueberdieß sind die Theile des Scheins so mit
einander verbunden, daß man, wenigstens mittelst der
Erfahrung, von dem einen auf die andern schließen
kann. Und wo wir das Reale oder Wahre bereits
wissen, da giebt uns der Schein dasselbe und dessen
Grade an, weil sich die scheinbaren Grade nach den
wahren richten, so oft nichts organisches sich mit ein-
mengt. Endlich können wir auch in den meisten Fäl-
len aus der Aehnlichkeit des Scheins auf die Aehnlich-
keit der Eigenschaften schließen, die den Schein in un-
sern Sinnen veranlassen, so unbekannt uns ihre Stru-
ctur und Mechanismus noch seyn mag; wiewohl wir
diese Aehnlichkeit, ohne anderweitige Gründe zu haben,

nicht
S 3

Von dem pſychologiſchen Schein.
(§. 74. ſeqq.). Beſonders aber dienen uns die daher-
ruͤhrenden Begriffe als natuͤrliche und genau paſſende
Zeichen von Eigenſchaften der Koͤrper, die nicht ſelbſt
in die Sinnen fallen, ſondern erſt durch Schluͤſſe muͤſ-
ſen gefunden werden (§. 89. 82.). Sodann wie ſich
uns auch immer die Koͤrper nach ihrem Schein zeigen,
ſo findet ſich der Begriff der Soliditaͤt, und daß es
Dinge ſind, mit dabey, und in Anſehung des Auges
wuͤrde die Empfindung der Ausdehnung, Figur und
Bewegung wegfallen, wenn die Koͤrper nicht durch
Licht und Farben ſichtbar waͤren. So iſt auch bey je-
den ſichtbaren Handlungen Figur und Bewegung
ſichtbar. Und in ſo ferne mengt ſich in das Scheinbare
der Koͤrperwelt immer viel Wahres mit ein, welches
ausgeleſen und beſonders betrachtet werden kann.

§. 97. Wir machen ferner in vielen Faͤllen aus dem
Schein, den uns die Koͤrper zeigen, ein Hauptwerk.
Die Faͤrbe- und Malerkunſt, die Muſik und der feinere
Theil der Kochkunſt ſind Proben davon. Jn dieſer
Abſicht hat auch der Schein, als Schein betrachtet, ſei-
ne Grade, Verhaͤltniſſe, Harmonien und Annehmlich-
keiten. Ueberdieß ſind die Theile des Scheins ſo mit
einander verbunden, daß man, wenigſtens mittelſt der
Erfahrung, von dem einen auf die andern ſchließen
kann. Und wo wir das Reale oder Wahre bereits
wiſſen, da giebt uns der Schein daſſelbe und deſſen
Grade an, weil ſich die ſcheinbaren Grade nach den
wahren richten, ſo oft nichts organiſches ſich mit ein-
mengt. Endlich koͤnnen wir auch in den meiſten Faͤl-
len aus der Aehnlichkeit des Scheins auf die Aehnlich-
keit der Eigenſchaften ſchließen, die den Schein in un-
ſern Sinnen veranlaſſen, ſo unbekannt uns ihre Stru-
ctur und Mechaniſmus noch ſeyn mag; wiewohl wir
dieſe Aehnlichkeit, ohne anderweitige Gruͤnde zu haben,

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[277/0283] Von dem pſychologiſchen Schein. (§. 74. ſeqq.). Beſonders aber dienen uns die daher- ruͤhrenden Begriffe als natuͤrliche und genau paſſende Zeichen von Eigenſchaften der Koͤrper, die nicht ſelbſt in die Sinnen fallen, ſondern erſt durch Schluͤſſe muͤſ- ſen gefunden werden (§. 89. 82.). Sodann wie ſich uns auch immer die Koͤrper nach ihrem Schein zeigen, ſo findet ſich der Begriff der Soliditaͤt, und daß es Dinge ſind, mit dabey, und in Anſehung des Auges wuͤrde die Empfindung der Ausdehnung, Figur und Bewegung wegfallen, wenn die Koͤrper nicht durch Licht und Farben ſichtbar waͤren. So iſt auch bey je- den ſichtbaren Handlungen Figur und Bewegung ſichtbar. Und in ſo ferne mengt ſich in das Scheinbare der Koͤrperwelt immer viel Wahres mit ein, welches ausgeleſen und beſonders betrachtet werden kann. §. 97. Wir machen ferner in vielen Faͤllen aus dem Schein, den uns die Koͤrper zeigen, ein Hauptwerk. Die Faͤrbe- und Malerkunſt, die Muſik und der feinere Theil der Kochkunſt ſind Proben davon. Jn dieſer Abſicht hat auch der Schein, als Schein betrachtet, ſei- ne Grade, Verhaͤltniſſe, Harmonien und Annehmlich- keiten. Ueberdieß ſind die Theile des Scheins ſo mit einander verbunden, daß man, wenigſtens mittelſt der Erfahrung, von dem einen auf die andern ſchließen kann. Und wo wir das Reale oder Wahre bereits wiſſen, da giebt uns der Schein daſſelbe und deſſen Grade an, weil ſich die ſcheinbaren Grade nach den wahren richten, ſo oft nichts organiſches ſich mit ein- mengt. Endlich koͤnnen wir auch in den meiſten Faͤl- len aus der Aehnlichkeit des Scheins auf die Aehnlich- keit der Eigenſchaften ſchließen, die den Schein in un- ſern Sinnen veranlaſſen, ſo unbekannt uns ihre Stru- ctur und Mechaniſmus noch ſeyn mag; wiewohl wir dieſe Aehnlichkeit, ohne anderweitige Gruͤnde zu haben, nicht S 3

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/283>, abgerufen am 23.11.2024.