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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

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III. Hauptstück.


Drittes Hauptstück.
Von
dem psychologischen Schein.

§. 95.

Wir sind in vorhergehendem Hauptstücke bey dem
unmittelbar von den äußern Sinnen herrühren-
den Schein stehen geblieben, und haben denselben an
sich betrachtet, ohne noch zu sehen, wieferne die dadurch
veranlaßten Begriffe sich auch ihrem Schein nach in
das abstractere Gedankenreich einmengen, oder wieferne
selbst auch die äußern Sinnen Quellen und Ursachen
des psychologischen Scheins sind, zu dessen Unter-
suchung wir nun fortschreiten werden. Die Erörterung
dieser Frage wird um desto erheblicher, weil die von den
Sinnen herrührenden Begriffe die Grundlage und der
Anfang zu unserer abstracten Erkenntniß sind. Und da
ist allerdings zu vermuthen, daß sich der sinnliche Schein
auch in diese einmenge, und darinn das Scheinbare mit
dem Wahren vermische. Ueberdieß läuft bald in allem,
was wir von Körpern und der Körperwelt reden, die
Sprache des Scheins und die wahre Sprache durch
einander, theils weil erstere zur Abkürzung dient, theils
weil wir letztere noch lange nicht durchaus wissen. Die
Frage ist demnach, wieferne dessen uneracht wahre
Verhältnisse bestimmt werden können, und wieferne
selbst der Schein uns zu richtigen abstracten Begriffen
führe?

§. 96. Ueber diese Frage können wir nun verschie-
dene zu ihrer Auflösung dienende Anmerkungen machen.
Einmal macht uns der sinnliche Schein die Körper
kenntlich, und zwar desto genauer, je vollständiger er ist,

(§. 74.
III. Hauptſtuͤck.


Drittes Hauptſtuͤck.
Von
dem pſychologiſchen Schein.

§. 95.

Wir ſind in vorhergehendem Hauptſtuͤcke bey dem
unmittelbar von den aͤußern Sinnen herruͤhren-
den Schein ſtehen geblieben, und haben denſelben an
ſich betrachtet, ohne noch zu ſehen, wieferne die dadurch
veranlaßten Begriffe ſich auch ihrem Schein nach in
das abſtractere Gedankenreich einmengen, oder wieferne
ſelbſt auch die aͤußern Sinnen Quellen und Urſachen
des pſychologiſchen Scheins ſind, zu deſſen Unter-
ſuchung wir nun fortſchreiten werden. Die Eroͤrterung
dieſer Frage wird um deſto erheblicher, weil die von den
Sinnen herruͤhrenden Begriffe die Grundlage und der
Anfang zu unſerer abſtracten Erkenntniß ſind. Und da
iſt allerdings zu vermuthen, daß ſich der ſinnliche Schein
auch in dieſe einmenge, und darinn das Scheinbare mit
dem Wahren vermiſche. Ueberdieß laͤuft bald in allem,
was wir von Koͤrpern und der Koͤrperwelt reden, die
Sprache des Scheins und die wahre Sprache durch
einander, theils weil erſtere zur Abkuͤrzung dient, theils
weil wir letztere noch lange nicht durchaus wiſſen. Die
Frage iſt demnach, wieferne deſſen uneracht wahre
Verhaͤltniſſe beſtimmt werden koͤnnen, und wieferne
ſelbſt der Schein uns zu richtigen abſtracten Begriffen
fuͤhre?

§. 96. Ueber dieſe Frage koͤnnen wir nun verſchie-
dene zu ihrer Aufloͤſung dienende Anmerkungen machen.
Einmal macht uns der ſinnliche Schein die Koͤrper
kenntlich, und zwar deſto genauer, je vollſtaͤndiger er iſt,

(§. 74.
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[276/0282] III. Hauptſtuͤck. Drittes Hauptſtuͤck. Von dem pſychologiſchen Schein. §. 95. Wir ſind in vorhergehendem Hauptſtuͤcke bey dem unmittelbar von den aͤußern Sinnen herruͤhren- den Schein ſtehen geblieben, und haben denſelben an ſich betrachtet, ohne noch zu ſehen, wieferne die dadurch veranlaßten Begriffe ſich auch ihrem Schein nach in das abſtractere Gedankenreich einmengen, oder wieferne ſelbſt auch die aͤußern Sinnen Quellen und Urſachen des pſychologiſchen Scheins ſind, zu deſſen Unter- ſuchung wir nun fortſchreiten werden. Die Eroͤrterung dieſer Frage wird um deſto erheblicher, weil die von den Sinnen herruͤhrenden Begriffe die Grundlage und der Anfang zu unſerer abſtracten Erkenntniß ſind. Und da iſt allerdings zu vermuthen, daß ſich der ſinnliche Schein auch in dieſe einmenge, und darinn das Scheinbare mit dem Wahren vermiſche. Ueberdieß laͤuft bald in allem, was wir von Koͤrpern und der Koͤrperwelt reden, die Sprache des Scheins und die wahre Sprache durch einander, theils weil erſtere zur Abkuͤrzung dient, theils weil wir letztere noch lange nicht durchaus wiſſen. Die Frage iſt demnach, wieferne deſſen uneracht wahre Verhaͤltniſſe beſtimmt werden koͤnnen, und wieferne ſelbſt der Schein uns zu richtigen abſtracten Begriffen fuͤhre? §. 96. Ueber dieſe Frage koͤnnen wir nun verſchie- dene zu ihrer Aufloͤſung dienende Anmerkungen machen. Einmal macht uns der ſinnliche Schein die Koͤrper kenntlich, und zwar deſto genauer, je vollſtaͤndiger er iſt, (§. 74.

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/282>, abgerufen am 23.11.2024.