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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

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Von dem sinnlichen Schein.
seqq.) gesehen, wie ferne es uns hiebey noch dermalen
gelungen, wenigstens Vergleichungen der Grade des
Wahren mit den Graden des Scheins zu bestimmen,
und etwas von dem Mechanismo, so bey den Empfin-
dungen vorgeht, zu entdecken. So haben wir auch
(§. 58.) bey der Betrachtung des relativen Theiles des
Scheins angezeigt, in welchen Fällen derselbe etwas
Absolutes oder Natürliches hat, worauf die übrigen
Fälle, da der Schein durch die Umstände geändert wird,
bezogen werden müssen. Denn darauf hat man aller-
dings Achtung zu geben, wenn man den Schein, den
jeder Körper nach jeden Arten der Empfindungen an
sich hat, von den zufälligen Aenderungen unterscheiden
will, die nicht von dem Körper selbst, sondern von mit-
wirkenden Ursachen und Umständen herrühren.

§. 88. Wir müssen noch anmerken, daß es in An-
sehung der zweyten Classe leichter ist, die Sprache des
Scheins und des Wahren zu vermengen, und dadurch
Jrrthum und Verwirrung in unsere Erkenntniß zu
bringen, als bey der ersten Classe. Denn bey der zwey-
ten Classe kommen beyde Sprachen in den Worten über-
ein, weil die Begriffe der Ausdehnung, Solidität
und Beweglichkeit nebst ihren Modificationen die
Grundlage zu beyden sind. Hingegen so bald man ein-
mal weiß, daß die Begriffe der Farben, des Schal-
les,
etc. nur Bilder sind, unter welchen uns die Körper
ihre uns unempfindbare Structur und Mechanismus
vorstellen, so weiß man ein für allemal, daß diese Bil-
der schlechthin zu der Sprache des Scheins gehören,
welche hiebey von der wahren auch in den Worten ab-
geht. Es ist aber bey der ersten Classe leichter, einen
Schein mit dem andern zu verwechseln, weil eine Sache
den Schein der andern haben kann (§. 74. seqq.).

§. 89. Da bey den Körpern immer eine Eigenschaft,
Modificatiön, etc. zum Grunde liegt, welche durch die

Empfin-

Von dem ſinnlichen Schein.
ſeqq.) geſehen, wie ferne es uns hiebey noch dermalen
gelungen, wenigſtens Vergleichungen der Grade des
Wahren mit den Graden des Scheins zu beſtimmen,
und etwas von dem Mechanismo, ſo bey den Empfin-
dungen vorgeht, zu entdecken. So haben wir auch
(§. 58.) bey der Betrachtung des relativen Theiles des
Scheins angezeigt, in welchen Faͤllen derſelbe etwas
Abſolutes oder Natuͤrliches hat, worauf die uͤbrigen
Faͤlle, da der Schein durch die Umſtaͤnde geaͤndert wird,
bezogen werden muͤſſen. Denn darauf hat man aller-
dings Achtung zu geben, wenn man den Schein, den
jeder Koͤrper nach jeden Arten der Empfindungen an
ſich hat, von den zufaͤlligen Aenderungen unterſcheiden
will, die nicht von dem Koͤrper ſelbſt, ſondern von mit-
wirkenden Urſachen und Umſtaͤnden herruͤhren.

§. 88. Wir muͤſſen noch anmerken, daß es in An-
ſehung der zweyten Claſſe leichter iſt, die Sprache des
Scheins und des Wahren zu vermengen, und dadurch
Jrrthum und Verwirrung in unſere Erkenntniß zu
bringen, als bey der erſten Claſſe. Denn bey der zwey-
ten Claſſe kommen beyde Sprachen in den Worten uͤber-
ein, weil die Begriffe der Ausdehnung, Soliditaͤt
und Beweglichkeit nebſt ihren Modificationen die
Grundlage zu beyden ſind. Hingegen ſo bald man ein-
mal weiß, daß die Begriffe der Farben, des Schal-
les,
ꝛc. nur Bilder ſind, unter welchen uns die Koͤrper
ihre uns unempfindbare Structur und Mechaniſmus
vorſtellen, ſo weiß man ein fuͤr allemal, daß dieſe Bil-
der ſchlechthin zu der Sprache des Scheins gehoͤren,
welche hiebey von der wahren auch in den Worten ab-
geht. Es iſt aber bey der erſten Claſſe leichter, einen
Schein mit dem andern zu verwechſeln, weil eine Sache
den Schein der andern haben kann (§. 74. ſeqq.).

§. 89. Da bey den Koͤrpern immer eine Eigenſchaft,
Modificatioͤn, ꝛc. zum Grunde liegt, welche durch die

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[271/0277] Von dem ſinnlichen Schein. ſeqq.) geſehen, wie ferne es uns hiebey noch dermalen gelungen, wenigſtens Vergleichungen der Grade des Wahren mit den Graden des Scheins zu beſtimmen, und etwas von dem Mechanismo, ſo bey den Empfin- dungen vorgeht, zu entdecken. So haben wir auch (§. 58.) bey der Betrachtung des relativen Theiles des Scheins angezeigt, in welchen Faͤllen derſelbe etwas Abſolutes oder Natuͤrliches hat, worauf die uͤbrigen Faͤlle, da der Schein durch die Umſtaͤnde geaͤndert wird, bezogen werden muͤſſen. Denn darauf hat man aller- dings Achtung zu geben, wenn man den Schein, den jeder Koͤrper nach jeden Arten der Empfindungen an ſich hat, von den zufaͤlligen Aenderungen unterſcheiden will, die nicht von dem Koͤrper ſelbſt, ſondern von mit- wirkenden Urſachen und Umſtaͤnden herruͤhren. §. 88. Wir muͤſſen noch anmerken, daß es in An- ſehung der zweyten Claſſe leichter iſt, die Sprache des Scheins und des Wahren zu vermengen, und dadurch Jrrthum und Verwirrung in unſere Erkenntniß zu bringen, als bey der erſten Claſſe. Denn bey der zwey- ten Claſſe kommen beyde Sprachen in den Worten uͤber- ein, weil die Begriffe der Ausdehnung, Soliditaͤt und Beweglichkeit nebſt ihren Modificationen die Grundlage zu beyden ſind. Hingegen ſo bald man ein- mal weiß, daß die Begriffe der Farben, des Schal- les, ꝛc. nur Bilder ſind, unter welchen uns die Koͤrper ihre uns unempfindbare Structur und Mechaniſmus vorſtellen, ſo weiß man ein fuͤr allemal, daß dieſe Bil- der ſchlechthin zu der Sprache des Scheins gehoͤren, welche hiebey von der wahren auch in den Worten ab- geht. Es iſt aber bey der erſten Claſſe leichter, einen Schein mit dem andern zu verwechſeln, weil eine Sache den Schein der andern haben kann (§. 74. ſeqq.). §. 89. Da bey den Koͤrpern immer eine Eigenſchaft, Modificatioͤn, ꝛc. zum Grunde liegt, welche durch die Empfin-

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/277>, abgerufen am 23.11.2024.