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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

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Von dem sinnlichen Schein.
gleichen läßt, zeigt uns, daß jede lichte und beleuchtete
Objecte sich darinn abmalen, und ein gleiches Gemälde
findet sich auch auf dem Augennetze. Bis dahin kom-
men folglich die von den Objecten in das Auge fallende
Lichtstralen, so, daß wir eigentlich nicht die Objecte, son-
dern dieses kleine Gemälde oder den Eindruck der Licht-
stralen empfinden. Demnach wird die weiße Farbe
nicht so fast der Mauer, als den Lichtstralen, die sie zu-
rücke wirft, zugeschrieben werden können, und der Mauer
bleibt nichts, als daß sie eine Structur in ihren klein-
sten Theilen habe, die das Licht, so wie es auffällt, zu-
rück wirft, und nach genauern Versuchen nicht einmal
alles. Die Lichtstralen bringen die Gesichtsnerven in
Bewegung, und diese erweckt in uns den Begriff der
Farbe der Mauer, oder eines jeden sichtbaren Gegen-
standes. Ob die Lichtstralen an sich die Farbe haben,
ist eine Frage, die nicht gemacht werden kann, weil sie
die Objecte sichtbar machen, an sich aber nicht sichtbar
sind. Wir können demnach den Begriff der Farben
weder den Objecten noch dem Lichte zueignen, sondern
er gehört in das Gedankenreich, und wird durch die
Structur der Objecte und die daherrührenden Modi-
ficationen der Lichtstralen nur veranlaßt. Wenn wir
also sagen: die Mauer ist weiß, eine Rose ist roth etc.
so reden wir die Sprache des Scheins, und gebrauchen
sie Abkürzungsweise. Denn sonst müßten wir sagen:
die Objecte werfen die Lichtstralen so zurücke, daß uns
z. E. die Mauer weiß, die Rose roth etc. zu seyn scheint,
oder die Begriffe dieser Farben in uns erregt werden.

§. 65. Diese Betrachtung dehnt sich auf die übri-
gen vorhin (§. 63.) angeführten Begriffe aus. Jn
Ansehung des Schalls ist sie noch offenbarer. Die Luft
ist zur Fortpflanzung desselben nothwendig. Jn dem
tönenden Körper bemerkt man nur eine zitternde Be-
wegung, welche Undulationen in der Luft hervorbringt,

und

Von dem ſinnlichen Schein.
gleichen laͤßt, zeigt uns, daß jede lichte und beleuchtete
Objecte ſich darinn abmalen, und ein gleiches Gemaͤlde
findet ſich auch auf dem Augennetze. Bis dahin kom-
men folglich die von den Objecten in das Auge fallende
Lichtſtralen, ſo, daß wir eigentlich nicht die Objecte, ſon-
dern dieſes kleine Gemaͤlde oder den Eindruck der Licht-
ſtralen empfinden. Demnach wird die weiße Farbe
nicht ſo faſt der Mauer, als den Lichtſtralen, die ſie zu-
ruͤcke wirft, zugeſchrieben werden koͤnnen, und der Mauer
bleibt nichts, als daß ſie eine Structur in ihren klein-
ſten Theilen habe, die das Licht, ſo wie es auffaͤllt, zu-
ruͤck wirft, und nach genauern Verſuchen nicht einmal
alles. Die Lichtſtralen bringen die Geſichtsnerven in
Bewegung, und dieſe erweckt in uns den Begriff der
Farbe der Mauer, oder eines jeden ſichtbaren Gegen-
ſtandes. Ob die Lichtſtralen an ſich die Farbe haben,
iſt eine Frage, die nicht gemacht werden kann, weil ſie
die Objecte ſichtbar machen, an ſich aber nicht ſichtbar
ſind. Wir koͤnnen demnach den Begriff der Farben
weder den Objecten noch dem Lichte zueignen, ſondern
er gehoͤrt in das Gedankenreich, und wird durch die
Structur der Objecte und die daherruͤhrenden Modi-
ficationen der Lichtſtralen nur veranlaßt. Wenn wir
alſo ſagen: die Mauer iſt weiß, eine Roſe iſt roth ꝛc.
ſo reden wir die Sprache des Scheins, und gebrauchen
ſie Abkuͤrzungsweiſe. Denn ſonſt muͤßten wir ſagen:
die Objecte werfen die Lichtſtralen ſo zuruͤcke, daß uns
z. E. die Mauer weiß, die Roſe roth ꝛc. zu ſeyn ſcheint,
oder die Begriffe dieſer Farben in uns erregt werden.

§. 65. Dieſe Betrachtung dehnt ſich auf die uͤbri-
gen vorhin (§. 63.) angefuͤhrten Begriffe aus. Jn
Anſehung des Schalls iſt ſie noch offenbarer. Die Luft
iſt zur Fortpflanzung deſſelben nothwendig. Jn dem
toͤnenden Koͤrper bemerkt man nur eine zitternde Be-
wegung, welche Undulationen in der Luft hervorbringt,

und
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[255/0261] Von dem ſinnlichen Schein. gleichen laͤßt, zeigt uns, daß jede lichte und beleuchtete Objecte ſich darinn abmalen, und ein gleiches Gemaͤlde findet ſich auch auf dem Augennetze. Bis dahin kom- men folglich die von den Objecten in das Auge fallende Lichtſtralen, ſo, daß wir eigentlich nicht die Objecte, ſon- dern dieſes kleine Gemaͤlde oder den Eindruck der Licht- ſtralen empfinden. Demnach wird die weiße Farbe nicht ſo faſt der Mauer, als den Lichtſtralen, die ſie zu- ruͤcke wirft, zugeſchrieben werden koͤnnen, und der Mauer bleibt nichts, als daß ſie eine Structur in ihren klein- ſten Theilen habe, die das Licht, ſo wie es auffaͤllt, zu- ruͤck wirft, und nach genauern Verſuchen nicht einmal alles. Die Lichtſtralen bringen die Geſichtsnerven in Bewegung, und dieſe erweckt in uns den Begriff der Farbe der Mauer, oder eines jeden ſichtbaren Gegen- ſtandes. Ob die Lichtſtralen an ſich die Farbe haben, iſt eine Frage, die nicht gemacht werden kann, weil ſie die Objecte ſichtbar machen, an ſich aber nicht ſichtbar ſind. Wir koͤnnen demnach den Begriff der Farben weder den Objecten noch dem Lichte zueignen, ſondern er gehoͤrt in das Gedankenreich, und wird durch die Structur der Objecte und die daherruͤhrenden Modi- ficationen der Lichtſtralen nur veranlaßt. Wenn wir alſo ſagen: die Mauer iſt weiß, eine Roſe iſt roth ꝛc. ſo reden wir die Sprache des Scheins, und gebrauchen ſie Abkuͤrzungsweiſe. Denn ſonſt muͤßten wir ſagen: die Objecte werfen die Lichtſtralen ſo zuruͤcke, daß uns z. E. die Mauer weiß, die Roſe roth ꝛc. zu ſeyn ſcheint, oder die Begriffe dieſer Farben in uns erregt werden. §. 65. Dieſe Betrachtung dehnt ſich auf die uͤbri- gen vorhin (§. 63.) angefuͤhrten Begriffe aus. Jn Anſehung des Schalls iſt ſie noch offenbarer. Die Luft iſt zur Fortpflanzung deſſelben nothwendig. Jn dem toͤnenden Koͤrper bemerkt man nur eine zitternde Be- wegung, welche Undulationen in der Luft hervorbringt, und

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/261>, abgerufen am 23.11.2024.