druck von einerley, oder von verschiedenen Sachen her- komme, oder ob er nur durch die Bewegung der Ner- ven in dem Sinne selbst verursacht werde? Letzteres wäre nur organischer Schein, von dem wir hier abstra- hiren. Ersteres aber zeigt an, daß wir aus der Jdenti- tät der Empfindung nicht so schlechthin auf die Jdenti- tät der Sache einen Schluß machen sollen, weil die Er- fahrung lehrt, daß verschiedene Sachen sich uns unter einerley Gestalt vorstellen können, zumal wenn wir von der Empfindung nur das nehmen, was wir uns davon bewußt sind.
§. 47. Ferner verstehen wir in angeführtem Grund- satz durch einerley Sinn, nicht nur dem Namen und der Art nach eben denselben. Denn es sind lange nicht alle Empfindungen mehrern Sinnen gemein, und die, so jedem Sinne eigen sind, können an sich schon nicht von andern verstanden werden, so wenig man eine Far- be hört, den Schall sieht, etc. Sondern wir nehmen hier die Jdentität des Sinnes viel strenger, und schlies- sen jede Aenderung aus, die in die Empfindung und ihre Grade einen Einfluß haben kann. So z. E. scheint ein Licht heller, wenn der Augenstern mehr offen ist. Es ist auch empfindlicher, wenn man aus dem Dunkeln ans Licht kömmt. Der Hunger würzt die Speisen, und wer gesalzen Wasser geköstet hat, wird das nicht gesal- zene, so er es gleich darauf trinkt, süß finden. Auf sol- che Umstände hat man allerdings zu merken, wenn man Empfindungen beurtheilen und mit einander vergleichen will. Sie müssen beyde male einerley seyn, oder wenn sie verschieden sind, muß man den Unterschied mit in die Rechnung ziehen. Ueberdieß werden auch die Sin- nen durch zu lang anhaltenden Gebrauch stumpf, und die Empfindlichkeit der Nerven schwächer. Man ge- wöhnt sich an eine Helligkeit, die anfangs blendete, wenn man sie länger anschaut, und sie scheint minder
helle.
II. Hauptſtuͤck.
druck von einerley, oder von verſchiedenen Sachen her- komme, oder ob er nur durch die Bewegung der Ner- ven in dem Sinne ſelbſt verurſacht werde? Letzteres waͤre nur organiſcher Schein, von dem wir hier abſtra- hiren. Erſteres aber zeigt an, daß wir aus der Jdenti- taͤt der Empfindung nicht ſo ſchlechthin auf die Jdenti- taͤt der Sache einen Schluß machen ſollen, weil die Er- fahrung lehrt, daß verſchiedene Sachen ſich uns unter einerley Geſtalt vorſtellen koͤnnen, zumal wenn wir von der Empfindung nur das nehmen, was wir uns davon bewußt ſind.
§. 47. Ferner verſtehen wir in angefuͤhrtem Grund- ſatz durch einerley Sinn, nicht nur dem Namen und der Art nach eben denſelben. Denn es ſind lange nicht alle Empfindungen mehrern Sinnen gemein, und die, ſo jedem Sinne eigen ſind, koͤnnen an ſich ſchon nicht von andern verſtanden werden, ſo wenig man eine Far- be hoͤrt, den Schall ſieht, ꝛc. Sondern wir nehmen hier die Jdentitaͤt des Sinnes viel ſtrenger, und ſchlieſ- ſen jede Aenderung aus, die in die Empfindung und ihre Grade einen Einfluß haben kann. So z. E. ſcheint ein Licht heller, wenn der Augenſtern mehr offen iſt. Es iſt auch empfindlicher, wenn man aus dem Dunkeln ans Licht koͤmmt. Der Hunger wuͤrzt die Speiſen, und wer geſalzen Waſſer gekoͤſtet hat, wird das nicht geſal- zene, ſo er es gleich darauf trinkt, ſuͤß finden. Auf ſol- che Umſtaͤnde hat man allerdings zu merken, wenn man Empfindungen beurtheilen und mit einander vergleichen will. Sie muͤſſen beyde male einerley ſeyn, oder wenn ſie verſchieden ſind, muß man den Unterſchied mit in die Rechnung ziehen. Ueberdieß werden auch die Sin- nen durch zu lang anhaltenden Gebrauch ſtumpf, und die Empfindlichkeit der Nerven ſchwaͤcher. Man ge- woͤhnt ſich an eine Helligkeit, die anfangs blendete, wenn man ſie laͤnger anſchaut, und ſie ſcheint minder
helle.
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II. Hauptſtuͤck.
druck von einerley, oder von verſchiedenen Sachen her-
komme, oder ob er nur durch die Bewegung der Ner-
ven in dem Sinne ſelbſt verurſacht werde? Letzteres
waͤre nur organiſcher Schein, von dem wir hier abſtra-
hiren. Erſteres aber zeigt an, daß wir aus der Jdenti-
taͤt der Empfindung nicht ſo ſchlechthin auf die Jdenti-
taͤt der Sache einen Schluß machen ſollen, weil die Er-
fahrung lehrt, daß verſchiedene Sachen ſich uns unter
einerley Geſtalt vorſtellen koͤnnen, zumal wenn wir von
der Empfindung nur das nehmen, was wir uns davon
bewußt ſind.
§. 47. Ferner verſtehen wir in angefuͤhrtem Grund-
ſatz durch einerley Sinn, nicht nur dem Namen und
der Art nach eben denſelben. Denn es ſind lange nicht
alle Empfindungen mehrern Sinnen gemein, und die,
ſo jedem Sinne eigen ſind, koͤnnen an ſich ſchon nicht
von andern verſtanden werden, ſo wenig man eine Far-
be hoͤrt, den Schall ſieht, ꝛc. Sondern wir nehmen
hier die Jdentitaͤt des Sinnes viel ſtrenger, und ſchlieſ-
ſen jede Aenderung aus, die in die Empfindung und
ihre Grade einen Einfluß haben kann. So z. E. ſcheint
ein Licht heller, wenn der Augenſtern mehr offen iſt.
Es iſt auch empfindlicher, wenn man aus dem Dunkeln
ans Licht koͤmmt. Der Hunger wuͤrzt die Speiſen, und
wer geſalzen Waſſer gekoͤſtet hat, wird das nicht geſal-
zene, ſo er es gleich darauf trinkt, ſuͤß finden. Auf ſol-
che Umſtaͤnde hat man allerdings zu merken, wenn man
Empfindungen beurtheilen und mit einander vergleichen
will. Sie muͤſſen beyde male einerley ſeyn, oder wenn
ſie verſchieden ſind, muß man den Unterſchied mit in
die Rechnung ziehen. Ueberdieß werden auch die Sin-
nen durch zu lang anhaltenden Gebrauch ſtumpf, und
die Empfindlichkeit der Nerven ſchwaͤcher. Man ge-
woͤhnt ſich an eine Helligkeit, die anfangs blendete,
wenn man ſie laͤnger anſchaut, und ſie ſcheint minder
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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/250>, abgerufen am 21.07.2024.
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