Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite
Von dem sinnlichen Schein.

§. 40. Das Ohr ist ebenfalls wenigen Zufällen un-
terworfen, wenn man die Abwechslungen in dem schär-
fern und schwächern Gehöre, und das Ohrenläuten aus-
nimmt. Letzters läßt sich leicht erkennen, und allenfalls
kann man andere darum befragen. Und auf das, so
man nur halb oder mühsam hört, hat man nicht viel zu
achten, weil es unverständlich ist, und weil man dabey
leicht überhört. Demnach muß das Nachfragen die
Sache aufklären, oder wo es nicht angeht, thut man
besser, nichts daraus zu schließen, als Verdacht zu schö-
pfen, oder übelgehörtes nachzusagen.

§. 41. Hingegen hat das Gefühl der Wärme das
besonders, daß die Empfindung der innern Wärme des
Leibes sich in die Empfindung der äußern mit einmengt,
und folglich das Urtheil über beyde, und besonders über
die letztere, unzuverläßig macht. Da wir aber nun
Thermometer haben, so läßt sich der Grad der äußern
Wärme richtiger bestimmen, und der Grad der innern
kann darnach beurtheilt werden. Der Grundsatz dazu
ist, daß wir nicht den Grad der Wärme und Kälte selbst,
sondern nur den Grad der Erwärmung und Erkältung
der Gliedmaßen empfinden. So scheint uns die Tem-
peratur der Keller im Winter warm, im Sommer kalt
zu seyn, weil wir im Winter weniger, im Sommer mehr
Wärme mit in den Keller bringen, oder besser zu sagen,
weil der innere Zufluß der Wärme gegen die Fläche
des Leibes des Sommers geringer, des Winters größer
ist, als was in dem Keller weggeht.

§. 42. Die Grade der Empfindlichkeit des Gefühls
überhaupt richten sich nach der Feinheit, Auflebung und
Ermüdung der Empfindungsnerven. Wer zu härterer
Arbeit gewöhnt ist, rohere Speisen genießt, Wein oder
starkes Getränke häufiger zu sich genommen, und hin-
wiederum wem ein Glied entschlafen ist, ist unem-
pfindlicher. So können auch andere stärkere Empfin-

dungen
Lamb. Organon II B. Q
Von dem ſinnlichen Schein.

§. 40. Das Ohr iſt ebenfalls wenigen Zufaͤllen un-
terworfen, wenn man die Abwechslungen in dem ſchaͤr-
fern und ſchwaͤchern Gehoͤre, und das Ohrenlaͤuten aus-
nimmt. Letzters laͤßt ſich leicht erkennen, und allenfalls
kann man andere darum befragen. Und auf das, ſo
man nur halb oder muͤhſam hoͤrt, hat man nicht viel zu
achten, weil es unverſtaͤndlich iſt, und weil man dabey
leicht uͤberhoͤrt. Demnach muß das Nachfragen die
Sache aufklaͤren, oder wo es nicht angeht, thut man
beſſer, nichts daraus zu ſchließen, als Verdacht zu ſchoͤ-
pfen, oder uͤbelgehoͤrtes nachzuſagen.

§. 41. Hingegen hat das Gefuͤhl der Waͤrme das
beſonders, daß die Empfindung der innern Waͤrme des
Leibes ſich in die Empfindung der aͤußern mit einmengt,
und folglich das Urtheil uͤber beyde, und beſonders uͤber
die letztere, unzuverlaͤßig macht. Da wir aber nun
Thermometer haben, ſo laͤßt ſich der Grad der aͤußern
Waͤrme richtiger beſtimmen, und der Grad der innern
kann darnach beurtheilt werden. Der Grundſatz dazu
iſt, daß wir nicht den Grad der Waͤrme und Kaͤlte ſelbſt,
ſondern nur den Grad der Erwaͤrmung und Erkaͤltung
der Gliedmaßen empfinden. So ſcheint uns die Tem-
peratur der Keller im Winter warm, im Sommer kalt
zu ſeyn, weil wir im Winter weniger, im Sommer mehr
Waͤrme mit in den Keller bringen, oder beſſer zu ſagen,
weil der innere Zufluß der Waͤrme gegen die Flaͤche
des Leibes des Sommers geringer, des Winters groͤßer
iſt, als was in dem Keller weggeht.

§. 42. Die Grade der Empfindlichkeit des Gefuͤhls
uͤberhaupt richten ſich nach der Feinheit, Auflebung und
Ermuͤdung der Empfindungsnerven. Wer zu haͤrterer
Arbeit gewoͤhnt iſt, rohere Speiſen genießt, Wein oder
ſtarkes Getraͤnke haͤufiger zu ſich genommen, und hin-
wiederum wem ein Glied entſchlafen iſt, iſt unem-
pfindlicher. So koͤnnen auch andere ſtaͤrkere Empfin-

dungen
Lamb. Organon II B. Q
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0247" n="241"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Von dem &#x017F;innlichen Schein.</hi> </fw><lb/>
          <p>§. 40. Das Ohr i&#x017F;t ebenfalls wenigen Zufa&#x0364;llen un-<lb/>
terworfen, wenn man die Abwechslungen in dem &#x017F;cha&#x0364;r-<lb/>
fern und &#x017F;chwa&#x0364;chern Geho&#x0364;re, und das Ohrenla&#x0364;uten aus-<lb/>
nimmt. Letzters la&#x0364;ßt &#x017F;ich leicht erkennen, und allenfalls<lb/>
kann man andere darum befragen. Und auf das, &#x017F;o<lb/>
man nur halb oder mu&#x0364;h&#x017F;am ho&#x0364;rt, hat man nicht viel zu<lb/>
achten, weil es unver&#x017F;ta&#x0364;ndlich i&#x017F;t, und weil man dabey<lb/>
leicht u&#x0364;berho&#x0364;rt. Demnach muß das Nachfragen die<lb/>
Sache aufkla&#x0364;ren, oder wo es nicht angeht, thut man<lb/>
be&#x017F;&#x017F;er, nichts daraus zu &#x017F;chließen, als Verdacht zu &#x017F;cho&#x0364;-<lb/>
pfen, oder u&#x0364;belgeho&#x0364;rtes nachzu&#x017F;agen.</p><lb/>
          <p>§. 41. Hingegen hat das Gefu&#x0364;hl der Wa&#x0364;rme das<lb/>
be&#x017F;onders, daß die Empfindung der innern Wa&#x0364;rme des<lb/>
Leibes &#x017F;ich in die Empfindung der a&#x0364;ußern mit einmengt,<lb/>
und folglich das Urtheil u&#x0364;ber beyde, und be&#x017F;onders u&#x0364;ber<lb/>
die letztere, unzuverla&#x0364;ßig macht. Da wir aber nun<lb/>
Thermometer haben, &#x017F;o la&#x0364;ßt &#x017F;ich der Grad der a&#x0364;ußern<lb/>
Wa&#x0364;rme richtiger be&#x017F;timmen, und der Grad der innern<lb/>
kann darnach beurtheilt werden. Der Grund&#x017F;atz dazu<lb/>
i&#x017F;t, daß wir nicht den Grad der Wa&#x0364;rme und Ka&#x0364;lte &#x017F;elb&#x017F;t,<lb/>
&#x017F;ondern nur den Grad der Erwa&#x0364;rmung und Erka&#x0364;ltung<lb/>
der Gliedmaßen empfinden. So &#x017F;cheint uns die Tem-<lb/>
peratur der Keller im Winter warm, im Sommer kalt<lb/>
zu &#x017F;eyn, weil wir im Winter weniger, im Sommer mehr<lb/>
Wa&#x0364;rme mit in den Keller bringen, oder be&#x017F;&#x017F;er zu &#x017F;agen,<lb/>
weil der innere Zufluß der Wa&#x0364;rme gegen die Fla&#x0364;che<lb/>
des Leibes des Sommers geringer, des Winters gro&#x0364;ßer<lb/>
i&#x017F;t, als was in dem Keller weggeht.</p><lb/>
          <p>§. 42. Die Grade der Empfindlichkeit des Gefu&#x0364;hls<lb/>
u&#x0364;berhaupt richten &#x017F;ich nach der Feinheit, Auflebung und<lb/>
Ermu&#x0364;dung der Empfindungsnerven. Wer zu ha&#x0364;rterer<lb/>
Arbeit gewo&#x0364;hnt i&#x017F;t, rohere Spei&#x017F;en genießt, Wein oder<lb/>
&#x017F;tarkes Getra&#x0364;nke ha&#x0364;ufiger zu &#x017F;ich genommen, und hin-<lb/>
wiederum wem ein Glied <hi rendition="#fr">ent&#x017F;chlafen</hi> i&#x017F;t, i&#x017F;t unem-<lb/>
pfindlicher. So ko&#x0364;nnen auch andere &#x017F;ta&#x0364;rkere Empfin-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Lamb. Organon <hi rendition="#aq">II</hi> B. Q</fw><fw place="bottom" type="catch">dungen</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[241/0247] Von dem ſinnlichen Schein. §. 40. Das Ohr iſt ebenfalls wenigen Zufaͤllen un- terworfen, wenn man die Abwechslungen in dem ſchaͤr- fern und ſchwaͤchern Gehoͤre, und das Ohrenlaͤuten aus- nimmt. Letzters laͤßt ſich leicht erkennen, und allenfalls kann man andere darum befragen. Und auf das, ſo man nur halb oder muͤhſam hoͤrt, hat man nicht viel zu achten, weil es unverſtaͤndlich iſt, und weil man dabey leicht uͤberhoͤrt. Demnach muß das Nachfragen die Sache aufklaͤren, oder wo es nicht angeht, thut man beſſer, nichts daraus zu ſchließen, als Verdacht zu ſchoͤ- pfen, oder uͤbelgehoͤrtes nachzuſagen. §. 41. Hingegen hat das Gefuͤhl der Waͤrme das beſonders, daß die Empfindung der innern Waͤrme des Leibes ſich in die Empfindung der aͤußern mit einmengt, und folglich das Urtheil uͤber beyde, und beſonders uͤber die letztere, unzuverlaͤßig macht. Da wir aber nun Thermometer haben, ſo laͤßt ſich der Grad der aͤußern Waͤrme richtiger beſtimmen, und der Grad der innern kann darnach beurtheilt werden. Der Grundſatz dazu iſt, daß wir nicht den Grad der Waͤrme und Kaͤlte ſelbſt, ſondern nur den Grad der Erwaͤrmung und Erkaͤltung der Gliedmaßen empfinden. So ſcheint uns die Tem- peratur der Keller im Winter warm, im Sommer kalt zu ſeyn, weil wir im Winter weniger, im Sommer mehr Waͤrme mit in den Keller bringen, oder beſſer zu ſagen, weil der innere Zufluß der Waͤrme gegen die Flaͤche des Leibes des Sommers geringer, des Winters groͤßer iſt, als was in dem Keller weggeht. §. 42. Die Grade der Empfindlichkeit des Gefuͤhls uͤberhaupt richten ſich nach der Feinheit, Auflebung und Ermuͤdung der Empfindungsnerven. Wer zu haͤrterer Arbeit gewoͤhnt iſt, rohere Speiſen genießt, Wein oder ſtarkes Getraͤnke haͤufiger zu ſich genommen, und hin- wiederum wem ein Glied entſchlafen iſt, iſt unem- pfindlicher. So koͤnnen auch andere ſtaͤrkere Empfin- dungen Lamb. Organon II B. Q

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/247
Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/247>, abgerufen am 23.11.2024.