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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764.

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Vorrede.

Betrachtungen von dieser Art veranlassen
sehr ungezwungen folgende vier Fragen:

1. Ob es dem menschlichen Verstande an
Kräften fehle, ohne so vieles Straucheln
auf dem Wege der Wahrheit sicher und
gewiß zu gehen?
2. Ob demselben die Wahrheit selbst nicht
kenntlich genug sey, um sie nicht so leicht
mit dem Jrrthum zu verwechseln?
3. Ob die Sprache, in die er die Wahrheit
einkleidet, durch Mißverstand, Unbe-
stimmtheit und Vieldeutigkeit sie unkennt-
licher und zweifelhafter mache, oder an-
dere Hindernisse in Weg lege?
4. Ob sich der Verstand durch den Schein
blenden lasse, ohne immer zu dem Wahren
durchdringen zu können?

Nach diesen vier Fragen entstehen auch vier
Wissenschaften, deren sich der menschliche Ver-
stand als eben so vieler Mittel und Werk-
zeuge
bedienen muß, wenn er mit Bewußtseyn
das Wahre als wahr erkennen, vortragen, und
von Jrrthum und Schein unterscheiden will.

Die erste ist die Dianoiologie, oder die Leh-
re von den Gesetzen, nach welchen sich der Ver-
stand im Denken richtet, und worinn die We-
ge bestimmt werden, die er zu gehen hat, wenn
er von Wahrheit zu Wahrheit fortschrei-
ten will.

Die andere ist die Alethiologie, oder die
Lehre von der Wahrheit, sofern sie dem Jrr-

thum
A 3
Vorrede.

Betrachtungen von dieſer Art veranlaſſen
ſehr ungezwungen folgende vier Fragen:

1. Ob es dem menſchlichen Verſtande an
Kraͤften fehle, ohne ſo vieles Straucheln
auf dem Wege der Wahrheit ſicher und
gewiß zu gehen?
2. Ob demſelben die Wahrheit ſelbſt nicht
kenntlich genug ſey, um ſie nicht ſo leicht
mit dem Jrrthum zu verwechſeln?
3. Ob die Sprache, in die er die Wahrheit
einkleidet, durch Mißverſtand, Unbe-
ſtimmtheit und Vieldeutigkeit ſie unkennt-
licher und zweifelhafter mache, oder an-
dere Hinderniſſe in Weg lege?
4. Ob ſich der Verſtand durch den Schein
blenden laſſe, ohne immer zu dem Wahren
durchdringen zu koͤnnen?

Nach dieſen vier Fragen entſtehen auch vier
Wiſſenſchaften, deren ſich der menſchliche Ver-
ſtand als eben ſo vieler Mittel und Werk-
zeuge
bedienen muß, wenn er mit Bewußtſeyn
das Wahre als wahr erkennen, vortragen, und
von Jrrthum und Schein unterſcheiden will.

Die erſte iſt die Dianoiologie, oder die Leh-
re von den Geſetzen, nach welchen ſich der Ver-
ſtand im Denken richtet, und worinn die We-
ge beſtimmt werden, die er zu gehen hat, wenn
er von Wahrheit zu Wahrheit fortſchrei-
ten will.

Die andere iſt die Alethiologie, oder die
Lehre von der Wahrheit, ſofern ſie dem Jrr-

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[0009] Vorrede. Betrachtungen von dieſer Art veranlaſſen ſehr ungezwungen folgende vier Fragen: 1. Ob es dem menſchlichen Verſtande an Kraͤften fehle, ohne ſo vieles Straucheln auf dem Wege der Wahrheit ſicher und gewiß zu gehen? 2. Ob demſelben die Wahrheit ſelbſt nicht kenntlich genug ſey, um ſie nicht ſo leicht mit dem Jrrthum zu verwechſeln? 3. Ob die Sprache, in die er die Wahrheit einkleidet, durch Mißverſtand, Unbe- ſtimmtheit und Vieldeutigkeit ſie unkennt- licher und zweifelhafter mache, oder an- dere Hinderniſſe in Weg lege? 4. Ob ſich der Verſtand durch den Schein blenden laſſe, ohne immer zu dem Wahren durchdringen zu koͤnnen? Nach dieſen vier Fragen entſtehen auch vier Wiſſenſchaften, deren ſich der menſchliche Ver- ſtand als eben ſo vieler Mittel und Werk- zeuge bedienen muß, wenn er mit Bewußtſeyn das Wahre als wahr erkennen, vortragen, und von Jrrthum und Schein unterſcheiden will. Die erſte iſt die Dianoiologie, oder die Leh- re von den Geſetzen, nach welchen ſich der Ver- ſtand im Denken richtet, und worinn die We- ge beſtimmt werden, die er zu gehen hat, wenn er von Wahrheit zu Wahrheit fortſchrei- ten will. Die andere iſt die Alethiologie, oder die Lehre von der Wahrheit, ſofern ſie dem Jrr- thum A 3

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/9>, abgerufen am 24.11.2024.