Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite

Vorrede.
dem Realen entgegen gesetzt wird. Jndessen
ist es immer auch ein Jrrthum, wenn man das,
was eine Sache zu seyn scheint, mit dem ver-
wechselt, was sie wirklich ist: und hinwiederum
glaubt man Jrrthümer, sofern sie wahr zu seyn
scheinen. Jch habe daher das Wort Schein
mit jeden Bedeutungen beybehalten, und eben
so viele besondere Arten daraus gemacht, und
selbst auch dem Wahrscheinlichen ein Haupt-
stück gewiedmet, und seine Arten und Quellen,
und die Gründe zur Berechnung desselben ange-
geben. Die genauere Entwicklung der ver-
schiedenen Arten der völligen Gewißheit, ihr
Unterschied von derjenigen, die ich tumultua-
risch nenne, und der Unterschied von dem bloß
Wahrscheinlichen, so bey allen Arten vorkom-
men kann; die Anzeige, woher es komme, daß
man leicht das Gewisse mit dem Wahrscheinli-
chen vermengt, und bestimmte Sätze in wahr-
scheinliche verwandelt, und dadurch sich selbst
den Weg zur Gewißheit versperrt; die nähere
Anzeige, bey jeden Arten wahrscheinlicher Be-
weise zu finden, wo es fehle, oder was man
noch hinzusetzen oder worauf man sehen müsse,
um zum völligen Gewissen zu gelangen; die
Bestimmung der Vieldeutigkeit der Ausdrücke:
moralische Gewißheit und moralische
Beweise
etc. Alles dieses kann ich denen zur
Beurtheilung und Untersuchung überlassen,
wie ferne sie mit mir einig seyn werden, die
außer der Geometrie bald keine völlige Gewiß-

heit

Vorrede.
dem Realen entgegen geſetzt wird. Jndeſſen
iſt es immer auch ein Jrrthum, wenn man das,
was eine Sache zu ſeyn ſcheint, mit dem ver-
wechſelt, was ſie wirklich iſt: und hinwiederum
glaubt man Jrrthuͤmer, ſofern ſie wahr zu ſeyn
ſcheinen. Jch habe daher das Wort Schein
mit jeden Bedeutungen beybehalten, und eben
ſo viele beſondere Arten daraus gemacht, und
ſelbſt auch dem Wahrſcheinlichen ein Haupt-
ſtuͤck gewiedmet, und ſeine Arten und Quellen,
und die Gruͤnde zur Berechnung deſſelben ange-
geben. Die genauere Entwicklung der ver-
ſchiedenen Arten der voͤlligen Gewißheit, ihr
Unterſchied von derjenigen, die ich tumultua-
riſch nenne, und der Unterſchied von dem bloß
Wahrſcheinlichen, ſo bey allen Arten vorkom-
men kann; die Anzeige, woher es komme, daß
man leicht das Gewiſſe mit dem Wahrſcheinli-
chen vermengt, und beſtimmte Saͤtze in wahr-
ſcheinliche verwandelt, und dadurch ſich ſelbſt
den Weg zur Gewißheit verſperrt; die naͤhere
Anzeige, bey jeden Arten wahrſcheinlicher Be-
weiſe zu finden, wo es fehle, oder was man
noch hinzuſetzen oder worauf man ſehen muͤſſe,
um zum voͤlligen Gewiſſen zu gelangen; die
Beſtimmung der Vieldeutigkeit der Ausdruͤcke:
moraliſche Gewißheit und moraliſche
Beweiſe
ꝛc. Alles dieſes kann ich denen zur
Beurtheilung und Unterſuchung uͤberlaſſen,
wie ferne ſie mit mir einig ſeyn werden, die
außer der Geometrie bald keine voͤllige Gewiß-

heit
<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0018"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Vorrede</hi>.</hi></fw><lb/>
dem <hi rendition="#fr">Realen</hi> entgegen ge&#x017F;etzt wird. Jnde&#x017F;&#x017F;en<lb/>
i&#x017F;t es immer auch ein Jrrthum, wenn man das,<lb/>
was eine Sache zu &#x017F;eyn &#x017F;cheint, mit dem ver-<lb/>
wech&#x017F;elt, was &#x017F;ie wirklich i&#x017F;t: und hinwiederum<lb/>
glaubt man Jrrthu&#x0364;mer, &#x017F;ofern &#x017F;ie wahr zu &#x017F;eyn<lb/><hi rendition="#fr">&#x017F;cheinen.</hi> Jch habe daher das Wort <hi rendition="#fr">Schein</hi><lb/>
mit jeden Bedeutungen beybehalten, und eben<lb/>
&#x017F;o viele be&#x017F;ondere Arten daraus gemacht, und<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t auch dem <hi rendition="#fr">Wahr&#x017F;cheinlichen</hi> ein Haupt-<lb/>
&#x017F;tu&#x0364;ck gewiedmet, und &#x017F;eine Arten und Quellen,<lb/>
und die Gru&#x0364;nde zur Berechnung de&#x017F;&#x017F;elben ange-<lb/>
geben. Die genauere Entwicklung der ver-<lb/>
&#x017F;chiedenen Arten der vo&#x0364;lligen Gewißheit, ihr<lb/>
Unter&#x017F;chied von derjenigen, die ich tumultua-<lb/>
ri&#x017F;ch nenne, und der Unter&#x017F;chied von dem bloß<lb/>
Wahr&#x017F;cheinlichen, &#x017F;o bey allen Arten vorkom-<lb/>
men kann; die Anzeige, woher es komme, daß<lb/>
man leicht das Gewi&#x017F;&#x017F;e mit dem Wahr&#x017F;cheinli-<lb/>
chen vermengt, und be&#x017F;timmte Sa&#x0364;tze in wahr-<lb/>
&#x017F;cheinliche verwandelt, und dadurch &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
den Weg zur Gewißheit ver&#x017F;perrt; die na&#x0364;here<lb/>
Anzeige, bey jeden Arten wahr&#x017F;cheinlicher Be-<lb/>
wei&#x017F;e zu finden, wo es fehle, oder was man<lb/>
noch hinzu&#x017F;etzen oder worauf man &#x017F;ehen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e,<lb/>
um zum vo&#x0364;lligen Gewi&#x017F;&#x017F;en zu gelangen; die<lb/>
Be&#x017F;timmung der Vieldeutigkeit der Ausdru&#x0364;cke:<lb/><hi rendition="#fr">morali&#x017F;che Gewißheit</hi> und <hi rendition="#fr">morali&#x017F;che<lb/>
Bewei&#x017F;e</hi> &#xA75B;c. Alles die&#x017F;es kann ich denen zur<lb/>
Beurtheilung und Unter&#x017F;uchung u&#x0364;berla&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
wie ferne &#x017F;ie mit mir einig &#x017F;eyn werden, die<lb/>
außer der Geometrie bald keine vo&#x0364;llige Gewiß-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">heit</fw><lb/></p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[0018] Vorrede. dem Realen entgegen geſetzt wird. Jndeſſen iſt es immer auch ein Jrrthum, wenn man das, was eine Sache zu ſeyn ſcheint, mit dem ver- wechſelt, was ſie wirklich iſt: und hinwiederum glaubt man Jrrthuͤmer, ſofern ſie wahr zu ſeyn ſcheinen. Jch habe daher das Wort Schein mit jeden Bedeutungen beybehalten, und eben ſo viele beſondere Arten daraus gemacht, und ſelbſt auch dem Wahrſcheinlichen ein Haupt- ſtuͤck gewiedmet, und ſeine Arten und Quellen, und die Gruͤnde zur Berechnung deſſelben ange- geben. Die genauere Entwicklung der ver- ſchiedenen Arten der voͤlligen Gewißheit, ihr Unterſchied von derjenigen, die ich tumultua- riſch nenne, und der Unterſchied von dem bloß Wahrſcheinlichen, ſo bey allen Arten vorkom- men kann; die Anzeige, woher es komme, daß man leicht das Gewiſſe mit dem Wahrſcheinli- chen vermengt, und beſtimmte Saͤtze in wahr- ſcheinliche verwandelt, und dadurch ſich ſelbſt den Weg zur Gewißheit verſperrt; die naͤhere Anzeige, bey jeden Arten wahrſcheinlicher Be- weiſe zu finden, wo es fehle, oder was man noch hinzuſetzen oder worauf man ſehen muͤſſe, um zum voͤlligen Gewiſſen zu gelangen; die Beſtimmung der Vieldeutigkeit der Ausdruͤcke: moraliſche Gewißheit und moraliſche Beweiſe ꝛc. Alles dieſes kann ich denen zur Beurtheilung und Unterſuchung uͤberlaſſen, wie ferne ſie mit mir einig ſeyn werden, die außer der Geometrie bald keine voͤllige Gewiß- heit

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/18
Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/18>, abgerufen am 21.11.2024.