Dagegen ist nun unverkennbar der folgende Abschnitt von Siegfrieds Jugend und Fahrt nach Burgund in ei- nem weit älteren Stile keck und schroff gearbeitet. Das Lied gibt sich auch selbst als ein einzelnes durch einen ei- genen Anfang und Schluß (Z. 565 -- 568), durch eine neue Einführung Kriemhildens (Z. 185 -- 200), endlich darin, daß es in Burgund nur Günther, Gernot, Hagen und Ort- win, aber nicht Giselher und die Übrigen kennt. Eine an- deren Liedern sehr geläufige Manier der Erzählung zeigt sich nur in einer Stelle (Z. 81):Ich sageu von dem degene, wie schöne der wart, die ich gerade deshalb gern dem Ordner zuschreiben möchte, wie sie denn auch der Besorger der Sanct-Galler Recen- sion als ein fremdes Stück ausstieß. Hingegen findet sich eine ganz eigenthümliche Manier des Ausdrucks in zwei Zeilen von Ortwin (Z. 334. 486): Rich unde küne moht' er vil wol sin 57). Er mohte Hagenen swestersun von Tronege vil wol sin. Die Beziehungen auf Künftiges gehen überall nur bis auf Siegfrieds Vermählung mit Kriemhilden (Z. 188. 196. 200. 525), wenn auch der Schluß auf sein späteres Schicksal deutet: Davon im sit vil liebe und ouch vil leide geschach. Das ahnungsvolle Weinen bei Siegfrieds Abschied von Xanten (Z. 285 -- 292) scheint hier, eben weil es sonst noch öfter vorkommt, und sich die Stelle durch einen Mit- telreim auszeichnet, ein Zusatz des Ordners zu sein, dem überhaupt in diesem Abschnitte, wo der Sanct-Galler
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Dagegen iſt nun unverkennbar der folgende Abſchnitt von Siegfrieds Jugend und Fahrt nach Burgund in ei- nem weit älteren Stile keck und ſchroff gearbeitet. Das Lied gibt ſich auch ſelbſt als ein einzelnes durch einen ei- genen Anfang und Schluß (Z. 565 — 568), durch eine neue Einführung Kriemhildens (Z. 185 — 200), endlich darin, daß es in Burgund nur Günther, Gernot, Hagen und Ort- win, aber nicht Giſelher und die Übrigen kennt. Eine an- deren Liedern ſehr geläufige Manier der Erzählung zeigt ſich nur in einer Stelle (Z. 81):Ich ſageu̓ von dem degene, wie ſchöne der wart, die ich gerade deshalb gern dem Ordner zuſchreiben möchte, wie ſie denn auch der Beſorger der Sanct-Galler Recen- ſion als ein fremdes Stück ausſtieß. Hingegen findet ſich eine ganz eigenthümliche Manier des Ausdrucks in zwei Zeilen von Ortwin (Z. 334. 486): Rich unde küne moht’ er vil wol ſin 57). Er mohte Hagenen ſweſterſun von Tronege vil wol ſin. Die Beziehungen auf Künftiges gehen überall nur bis auf Siegfrieds Vermählung mit Kriemhilden (Z. 188. 196. 200. 525), wenn auch der Schluß auf ſein ſpäteres Schickſal deutet: Davon im ſit vil liebe und oͧch vil leide geſchach. Das ahnungsvolle Weinen bei Siegfrieds Abſchied von Xanten (Z. 285 — 292) ſcheint hier, eben weil es ſonſt noch öfter vorkommt, und ſich die Stelle durch einen Mit- telreim auszeichnet, ein Zuſatz des Ordners zu ſein, dem überhaupt in dieſem Abſchnitte, wo der Sanct-Galler
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Dagegen iſt nun unverkennbar der folgende Abſchnitt
von Siegfrieds Jugend und Fahrt nach Burgund in ei-
nem weit älteren Stile keck und ſchroff gearbeitet. Das
Lied gibt ſich auch ſelbſt als ein einzelnes durch einen ei-
genen Anfang und Schluß (Z. 565 — 568), durch eine neue
Einführung Kriemhildens (Z. 185 — 200), endlich darin,
daß es in Burgund nur Günther, Gernot, Hagen und Ort-
win, aber nicht Giſelher und die Übrigen kennt. Eine an-
deren Liedern ſehr geläufige Manier der Erzählung zeigt
ſich nur in einer Stelle (Z. 81):Ich ſageu̓ von dem degene, wie ſchöne der wart,
die ich gerade deshalb gern dem Ordner zuſchreiben möchte,
wie ſie denn auch der Beſorger der Sanct-Galler Recen-
ſion als ein fremdes Stück ausſtieß. Hingegen findet ſich
eine ganz eigenthümliche Manier des Ausdrucks in zwei
Zeilen von Ortwin (Z. 334. 486):
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Er mohte Hagenen ſweſterſun von Tronege vil wol
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Die Beziehungen auf Künftiges gehen überall nur bis auf
Siegfrieds Vermählung mit Kriemhilden (Z. 188. 196. 200.
525), wenn auch der Schluß auf ſein ſpäteres Schickſal
deutet:
Davon im ſit vil liebe und oͧch vil leide geſchach.
Das ahnungsvolle Weinen bei Siegfrieds Abſchied von
Xanten (Z. 285 — 292) ſcheint hier, eben weil es ſonſt
noch öfter vorkommt, und ſich die Stelle durch einen Mit-
telreim auszeichnet, ein Zuſatz des Ordners zu ſein, dem
überhaupt in dieſem Abſchnitte, wo der Sanct-Galler
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Lachmann, Karl: Über die ursprüngliche Gestalt des Gedichts von der Nibelungen Noth. Berlin, 1816, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lachmann_nibelungen_1816/79>, abgerufen am 07.07.2024.
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