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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882.

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§. 97. Die ordentliche streitige Gerichtsbarkeit.
aufgestellt und die Gränzen bezeichnet, bis zu denen sich das öf-
fentliche
Recht erstreckt; insoweit dient die Gesammtheit der
Reichsgesetzgebung negativ zur Feststellung des Begriffes der bür-
gerlichen Rechtssache; das Reich hat andererseits auch positiv
durch eine sehr umfangreiche Privatrechtsgesetzgebung, z. B. das
Handelsgesetzbuch und seine Ergänzungen, die Wechselordnung
u. s. w., einen Kreis von Rechtsverhältnissen fixirt, welche "bürger-
lich" sind. Im Uebrigen aber ist es den Einzelstaaten und
ihrer Gesetzgebung überlassen, diejenigen Rechtsverhältnisse, welche
als öffentliche zu erachten und deshalb der Rechtssphäre der Indi-
viduen entrückt sind, zu bestimmen. Im Wesentlichen gehen die
verschiedenen Partikularrechte hierbei von gleichmäßigen Grund-
sätzen aus, die sich aus der Natur der Sache und aus der Gleich-
artigkeit der Lebensverhältnisse und Staatseinrichtungen ergeben,
eine volle Uebereinstimmung in der Abgränzung der bürgerlichen
Rechtsverhältnisse von denen des öffentlichen Rechts besteht aber
keineswegs.

b) Sowie der Begriff der bürgerlichen Rechtsstreitigkeit auf
den Gegensatz von Privatrecht und öffentlichem Recht hinweist, so
beruht der Begriff der Strafsache, der dem Begriff der öffent-
lichen Rechtsstreitigkeit untergeordnet ist, auf dem Gegensatz des
Strafrechts gegenüber der Administrativ- und Disciplinar-Zwangs-
gewalt und den zur Durchführung derselben gegebenen Mitteln.
Eine Rechtssache, bei welcher nicht die Anwendung eines Straf-
gesetzes in Frage steht und das Endziel des Verfahrens bildet,
ist keine "Strafsache". Hier ist die Gränze verhältnißmäßig sicherer
wie bei den bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten. Zum großen Theil
ist sie auch hier vom Reiche durch die Strafgesetzbücher und die
einzelnen Strafgesetze, sowie durch einzelne Verwaltungsgesetze ge-
zogen 1); zum andern Theil ist sie durch die Landes strafgesetz-
gebung bestimmt. Aber auch hier besteht keine vollständige Gleich-
heit des Rechts, da die Autonomie der Einzelstaaten auf dem ihr
überlassenen Gebiete den Kreis der staatlichen und gesellschaftlichen
Interessen, die durch Strafsatzungen geschützt werden, verschieden
abgegränzt hat.

3. Versagung des Rechtsweges. Wenngleich im

1) Vgl. Löwe Strafproz.O. S. 28 ff. (2. Aufl.)

§. 97. Die ordentliche ſtreitige Gerichtsbarkeit.
aufgeſtellt und die Gränzen bezeichnet, bis zu denen ſich das öf-
fentliche
Recht erſtreckt; inſoweit dient die Geſammtheit der
Reichsgeſetzgebung negativ zur Feſtſtellung des Begriffes der bür-
gerlichen Rechtsſache; das Reich hat andererſeits auch poſitiv
durch eine ſehr umfangreiche Privatrechtsgeſetzgebung, z. B. das
Handelsgeſetzbuch und ſeine Ergänzungen, die Wechſelordnung
u. ſ. w., einen Kreis von Rechtsverhältniſſen fixirt, welche „bürger-
lich“ ſind. Im Uebrigen aber iſt es den Einzelſtaaten und
ihrer Geſetzgebung überlaſſen, diejenigen Rechtsverhältniſſe, welche
als öffentliche zu erachten und deshalb der Rechtsſphäre der Indi-
viduen entrückt ſind, zu beſtimmen. Im Weſentlichen gehen die
verſchiedenen Partikularrechte hierbei von gleichmäßigen Grund-
ſätzen aus, die ſich aus der Natur der Sache und aus der Gleich-
artigkeit der Lebensverhältniſſe und Staatseinrichtungen ergeben,
eine volle Uebereinſtimmung in der Abgränzung der bürgerlichen
Rechtsverhältniſſe von denen des öffentlichen Rechts beſteht aber
keineswegs.

b) Sowie der Begriff der bürgerlichen Rechtsſtreitigkeit auf
den Gegenſatz von Privatrecht und öffentlichem Recht hinweiſt, ſo
beruht der Begriff der Strafſache, der dem Begriff der öffent-
lichen Rechtsſtreitigkeit untergeordnet iſt, auf dem Gegenſatz des
Strafrechts gegenüber der Adminiſtrativ- und Disciplinar-Zwangs-
gewalt und den zur Durchführung derſelben gegebenen Mitteln.
Eine Rechtsſache, bei welcher nicht die Anwendung eines Straf-
geſetzes in Frage ſteht und das Endziel des Verfahrens bildet,
iſt keine „Strafſache“. Hier iſt die Gränze verhältnißmäßig ſicherer
wie bei den bürgerlichen Rechtsſtreitigkeiten. Zum großen Theil
iſt ſie auch hier vom Reiche durch die Strafgeſetzbücher und die
einzelnen Strafgeſetze, ſowie durch einzelne Verwaltungsgeſetze ge-
zogen 1); zum andern Theil iſt ſie durch die Landes ſtrafgeſetz-
gebung beſtimmt. Aber auch hier beſteht keine vollſtändige Gleich-
heit des Rechts, da die Autonomie der Einzelſtaaten auf dem ihr
überlaſſenen Gebiete den Kreis der ſtaatlichen und geſellſchaftlichen
Intereſſen, die durch Strafſatzungen geſchützt werden, verſchieden
abgegränzt hat.

3. Verſagung des Rechtsweges. Wenngleich im

1) Vgl. Löwe Strafproz.O. S. 28 ff. (2. Aufl.)
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[30/0040] §. 97. Die ordentliche ſtreitige Gerichtsbarkeit. aufgeſtellt und die Gränzen bezeichnet, bis zu denen ſich das öf- fentliche Recht erſtreckt; inſoweit dient die Geſammtheit der Reichsgeſetzgebung negativ zur Feſtſtellung des Begriffes der bür- gerlichen Rechtsſache; das Reich hat andererſeits auch poſitiv durch eine ſehr umfangreiche Privatrechtsgeſetzgebung, z. B. das Handelsgeſetzbuch und ſeine Ergänzungen, die Wechſelordnung u. ſ. w., einen Kreis von Rechtsverhältniſſen fixirt, welche „bürger- lich“ ſind. Im Uebrigen aber iſt es den Einzelſtaaten und ihrer Geſetzgebung überlaſſen, diejenigen Rechtsverhältniſſe, welche als öffentliche zu erachten und deshalb der Rechtsſphäre der Indi- viduen entrückt ſind, zu beſtimmen. Im Weſentlichen gehen die verſchiedenen Partikularrechte hierbei von gleichmäßigen Grund- ſätzen aus, die ſich aus der Natur der Sache und aus der Gleich- artigkeit der Lebensverhältniſſe und Staatseinrichtungen ergeben, eine volle Uebereinſtimmung in der Abgränzung der bürgerlichen Rechtsverhältniſſe von denen des öffentlichen Rechts beſteht aber keineswegs. b) Sowie der Begriff der bürgerlichen Rechtsſtreitigkeit auf den Gegenſatz von Privatrecht und öffentlichem Recht hinweiſt, ſo beruht der Begriff der Strafſache, der dem Begriff der öffent- lichen Rechtsſtreitigkeit untergeordnet iſt, auf dem Gegenſatz des Strafrechts gegenüber der Adminiſtrativ- und Disciplinar-Zwangs- gewalt und den zur Durchführung derſelben gegebenen Mitteln. Eine Rechtsſache, bei welcher nicht die Anwendung eines Straf- geſetzes in Frage ſteht und das Endziel des Verfahrens bildet, iſt keine „Strafſache“. Hier iſt die Gränze verhältnißmäßig ſicherer wie bei den bürgerlichen Rechtsſtreitigkeiten. Zum großen Theil iſt ſie auch hier vom Reiche durch die Strafgeſetzbücher und die einzelnen Strafgeſetze, ſowie durch einzelne Verwaltungsgeſetze ge- zogen 1); zum andern Theil iſt ſie durch die Landes ſtrafgeſetz- gebung beſtimmt. Aber auch hier beſteht keine vollſtändige Gleich- heit des Rechts, da die Autonomie der Einzelſtaaten auf dem ihr überlaſſenen Gebiete den Kreis der ſtaatlichen und geſellſchaftlichen Intereſſen, die durch Strafſatzungen geſchützt werden, verſchieden abgegränzt hat. 3. Verſagung des Rechtsweges. Wenngleich im 1) Vgl. Löwe Strafproz.O. S. 28 ff. (2. Aufl.)

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht0302_1882/40>, abgerufen am 27.11.2024.