Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

§. 97. Die ordentliche streitige Gerichtsbarkeit.
nur gesprochen werden gegenüber dem Staate, nicht gegenüber
dem Kläger 1). Einer solchen Einlassungspflicht bedarf es aber
nicht, um den Verklagten der staatlichen Gerichtsbarkeit zu unter-
werfen; denn die letztere, welche mit der Staatsgewalt identisch ist,
ergreift die dem Staate unterworfenen Personen ohne ihren Willen
und ohne ihr Zuthun 2). Es gibt keine "Pflicht, sich der Staats-
gewalt zu unterwerfen", sondern nur einen Rechtszustand des Unter-
worfenseins unter die Staatsgewalt. In manchen Fällen gewährt
der Staat ja auch wenigstens provisorisch oder unter Vorbehalten
den verlangten Rechtsschutz auf einseitigen Vortrag des Klägers.
Regelmäßig aber läßt der Staat, bevor er über den Klageantrag
befindet, den Verklagten zur Vertheidigung und zur Erhebung des
Widerspruchs zu. Der letztere kann eine doppelte Richtung haben.
Er kann die staatsrechtliche Seite des Prozesses betreffen
d. h. darauf gegründet werden, daß der Verklagte der Gerichts-
barkeit des Staates nicht unterworfen sei oder daß dem Kläger
für den von ihm behaupteten Anspruch aus materiellen oder for-
mellen Gründen der Rechtsschutz des Staates nicht gewährt werden
dürfe u. s. w. Er kann aber auch die privatrechtliche Grundlage
der Klage betreffen d. h. denjenigen Anspruch des Klägers gegen
den Verklagten, für dessen Durchführung in der Klage die Staats-
hülfe verlangt wird. Alsdann ist zunächst festzustellen, ob der
Kläger den von ihm behaupteten Rechtsanspruch darzuthun ver-
mocht hat; diese Feststellung ist aber niemals das eigentliche End-
ziel des Prozesses; sie ist nur präparatorisch für die Hauptentschei-
dung, ob dem Kläger zur Durchführung seines Anspruches die
Macht des Staates zu leihen sei oder nicht. Die Gerichte sind
Verwalter der staatlichen Herrschermacht und ihre Urtheile
sind keine von Staatswegen ertheilten Rechtsgutachten oder Wahr-
sprüche, sondern Bethätigungen der Staatsgewalt. Dadurch,
daß der Staat durch das Gericht als sein Organ in der formellen
Weise des Urtheils den im Tenor bezeichneten Rechtsanspruch aner-

1) Es kann keine Verpflichtung des Verklagten existiren, "Recht zu geben,"
wie Wach in Grünhut's Zeitschr. Bd. VII. S. 171 in Uebereinstimmung mit
einer weit verbreiteten Anschauung sagt; denn Recht giebt nur der Staat;
der Verklagte dagegen giebt dasjenige, worauf sein dare facere praestare
oportere
geht, also Geld, Gut u. s. w.
2) Vgl. A. S. Schultze a. a. O. S. 147.

§. 97. Die ordentliche ſtreitige Gerichtsbarkeit.
nur geſprochen werden gegenüber dem Staate, nicht gegenüber
dem Kläger 1). Einer ſolchen Einlaſſungspflicht bedarf es aber
nicht, um den Verklagten der ſtaatlichen Gerichtsbarkeit zu unter-
werfen; denn die letztere, welche mit der Staatsgewalt identiſch iſt,
ergreift die dem Staate unterworfenen Perſonen ohne ihren Willen
und ohne ihr Zuthun 2). Es gibt keine „Pflicht, ſich der Staats-
gewalt zu unterwerfen“, ſondern nur einen Rechtszuſtand des Unter-
worfenſeins unter die Staatsgewalt. In manchen Fällen gewährt
der Staat ja auch wenigſtens proviſoriſch oder unter Vorbehalten
den verlangten Rechtsſchutz auf einſeitigen Vortrag des Klägers.
Regelmäßig aber läßt der Staat, bevor er über den Klageantrag
befindet, den Verklagten zur Vertheidigung und zur Erhebung des
Widerſpruchs zu. Der letztere kann eine doppelte Richtung haben.
Er kann die ſtaatsrechtliche Seite des Prozeſſes betreffen
d. h. darauf gegründet werden, daß der Verklagte der Gerichts-
barkeit des Staates nicht unterworfen ſei oder daß dem Kläger
für den von ihm behaupteten Anſpruch aus materiellen oder for-
mellen Gründen der Rechtsſchutz des Staates nicht gewährt werden
dürfe u. ſ. w. Er kann aber auch die privatrechtliche Grundlage
der Klage betreffen d. h. denjenigen Anſpruch des Klägers gegen
den Verklagten, für deſſen Durchführung in der Klage die Staats-
hülfe verlangt wird. Alsdann iſt zunächſt feſtzuſtellen, ob der
Kläger den von ihm behaupteten Rechtsanſpruch darzuthun ver-
mocht hat; dieſe Feſtſtellung iſt aber niemals das eigentliche End-
ziel des Prozeſſes; ſie iſt nur präparatoriſch für die Hauptentſchei-
dung, ob dem Kläger zur Durchführung ſeines Anſpruches die
Macht des Staates zu leihen ſei oder nicht. Die Gerichte ſind
Verwalter der ſtaatlichen Herrſchermacht und ihre Urtheile
ſind keine von Staatswegen ertheilten Rechtsgutachten oder Wahr-
ſprüche, ſondern Bethätigungen der Staatsgewalt. Dadurch,
daß der Staat durch das Gericht als ſein Organ in der formellen
Weiſe des Urtheils den im Tenor bezeichneten Rechtsanſpruch aner-

1) Es kann keine Verpflichtung des Verklagten exiſtiren, „Recht zu geben,“
wie Wach in Grünhut’s Zeitſchr. Bd. VII. S. 171 in Uebereinſtimmung mit
einer weit verbreiteten Anſchauung ſagt; denn Recht giebt nur der Staat;
der Verklagte dagegen giebt dasjenige, worauf ſein dare facere praestare
oportere
geht, alſo Geld, Gut u. ſ. w.
2) Vgl. A. S. Schultze a. a. O. S. 147.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0034" n="24"/><fw place="top" type="header">§. 97. Die ordentliche &#x017F;treitige Gerichtsbarkeit.</fw><lb/>
nur ge&#x017F;prochen werden gegenüber dem <hi rendition="#g">Staate</hi>, nicht gegenüber<lb/>
dem Kläger <note place="foot" n="1)">Es kann keine Verpflichtung des Verklagten exi&#x017F;tiren, &#x201E;Recht zu geben,&#x201C;<lb/>
wie <hi rendition="#g">Wach</hi> in Grünhut&#x2019;s Zeit&#x017F;chr. Bd. <hi rendition="#aq">VII.</hi> S. 171 in Ueberein&#x017F;timmung mit<lb/>
einer weit verbreiteten An&#x017F;chauung &#x017F;agt; denn <hi rendition="#g">Recht</hi> giebt nur der <hi rendition="#g">Staat</hi>;<lb/>
der Verklagte dagegen giebt dasjenige, worauf &#x017F;ein <hi rendition="#aq">dare facere praestare<lb/>
oportere</hi> geht, al&#x017F;o Geld, Gut u. &#x017F;. w.</note>. Einer &#x017F;olchen Einla&#x017F;&#x017F;ungspflicht bedarf es aber<lb/>
nicht, um den Verklagten der &#x017F;taatlichen Gerichtsbarkeit zu unter-<lb/>
werfen; denn die letztere, welche mit der Staatsgewalt identi&#x017F;ch i&#x017F;t,<lb/>
ergreift die dem Staate unterworfenen Per&#x017F;onen ohne ihren Willen<lb/>
und ohne ihr Zuthun <note place="foot" n="2)">Vgl. A. S. <hi rendition="#g">Schultze</hi> a. a. O. S. 147.</note>. Es gibt keine &#x201E;Pflicht, &#x017F;ich der Staats-<lb/>
gewalt zu unterwerfen&#x201C;, &#x017F;ondern nur einen Rechtszu&#x017F;tand des Unter-<lb/>
worfen&#x017F;eins unter die Staatsgewalt. In manchen Fällen gewährt<lb/>
der Staat ja auch wenig&#x017F;tens provi&#x017F;ori&#x017F;ch oder unter Vorbehalten<lb/>
den verlangten Rechts&#x017F;chutz auf <hi rendition="#g">ein&#x017F;eitigen</hi> Vortrag des Klägers.<lb/>
Regelmäßig aber läßt der Staat, bevor er über den Klageantrag<lb/>
befindet, den Verklagten zur Vertheidigung und zur Erhebung des<lb/>
Wider&#x017F;pruchs zu. Der letztere kann eine doppelte Richtung haben.<lb/>
Er kann die <hi rendition="#g">&#x017F;taatsrechtliche</hi> Seite des Proze&#x017F;&#x017F;es betreffen<lb/>
d. h. darauf gegründet werden, daß der Verklagte der Gerichts-<lb/>
barkeit des Staates nicht unterworfen &#x017F;ei oder daß dem Kläger<lb/>
für den von ihm behaupteten An&#x017F;pruch aus materiellen oder for-<lb/>
mellen Gründen der Rechts&#x017F;chutz des Staates nicht gewährt werden<lb/>
dürfe u. &#x017F;. w. Er kann aber auch die privatrechtliche Grundlage<lb/>
der Klage betreffen d. h. denjenigen An&#x017F;pruch des Klägers gegen<lb/>
den Verklagten, für de&#x017F;&#x017F;en Durchführung in der Klage die Staats-<lb/>
hülfe verlangt wird. Alsdann i&#x017F;t zunäch&#x017F;t fe&#x017F;tzu&#x017F;tellen, ob der<lb/>
Kläger den von ihm behaupteten Rechtsan&#x017F;pruch darzuthun ver-<lb/>
mocht hat; die&#x017F;e Fe&#x017F;t&#x017F;tellung i&#x017F;t aber niemals das eigentliche End-<lb/>
ziel des Proze&#x017F;&#x017F;es; &#x017F;ie i&#x017F;t nur präparatori&#x017F;ch für die Hauptent&#x017F;chei-<lb/>
dung, ob dem Kläger zur Durchführung &#x017F;eines An&#x017F;pruches die<lb/>
Macht des Staates zu leihen &#x017F;ei oder nicht. Die Gerichte &#x017F;ind<lb/>
Verwalter der &#x017F;taatlichen <hi rendition="#g">Herr&#x017F;chermacht</hi> und ihre Urtheile<lb/>
&#x017F;ind keine von Staatswegen ertheilten Rechtsgutachten oder Wahr-<lb/>
&#x017F;prüche, &#x017F;ondern Bethätigungen der Staat<hi rendition="#g">sgewalt</hi>. Dadurch,<lb/>
daß der Staat durch das Gericht als &#x017F;ein Organ in der formellen<lb/>
Wei&#x017F;e des Urtheils den im Tenor bezeichneten Rechtsan&#x017F;pruch aner-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[24/0034] §. 97. Die ordentliche ſtreitige Gerichtsbarkeit. nur geſprochen werden gegenüber dem Staate, nicht gegenüber dem Kläger 1). Einer ſolchen Einlaſſungspflicht bedarf es aber nicht, um den Verklagten der ſtaatlichen Gerichtsbarkeit zu unter- werfen; denn die letztere, welche mit der Staatsgewalt identiſch iſt, ergreift die dem Staate unterworfenen Perſonen ohne ihren Willen und ohne ihr Zuthun 2). Es gibt keine „Pflicht, ſich der Staats- gewalt zu unterwerfen“, ſondern nur einen Rechtszuſtand des Unter- worfenſeins unter die Staatsgewalt. In manchen Fällen gewährt der Staat ja auch wenigſtens proviſoriſch oder unter Vorbehalten den verlangten Rechtsſchutz auf einſeitigen Vortrag des Klägers. Regelmäßig aber läßt der Staat, bevor er über den Klageantrag befindet, den Verklagten zur Vertheidigung und zur Erhebung des Widerſpruchs zu. Der letztere kann eine doppelte Richtung haben. Er kann die ſtaatsrechtliche Seite des Prozeſſes betreffen d. h. darauf gegründet werden, daß der Verklagte der Gerichts- barkeit des Staates nicht unterworfen ſei oder daß dem Kläger für den von ihm behaupteten Anſpruch aus materiellen oder for- mellen Gründen der Rechtsſchutz des Staates nicht gewährt werden dürfe u. ſ. w. Er kann aber auch die privatrechtliche Grundlage der Klage betreffen d. h. denjenigen Anſpruch des Klägers gegen den Verklagten, für deſſen Durchführung in der Klage die Staats- hülfe verlangt wird. Alsdann iſt zunächſt feſtzuſtellen, ob der Kläger den von ihm behaupteten Rechtsanſpruch darzuthun ver- mocht hat; dieſe Feſtſtellung iſt aber niemals das eigentliche End- ziel des Prozeſſes; ſie iſt nur präparatoriſch für die Hauptentſchei- dung, ob dem Kläger zur Durchführung ſeines Anſpruches die Macht des Staates zu leihen ſei oder nicht. Die Gerichte ſind Verwalter der ſtaatlichen Herrſchermacht und ihre Urtheile ſind keine von Staatswegen ertheilten Rechtsgutachten oder Wahr- ſprüche, ſondern Bethätigungen der Staatsgewalt. Dadurch, daß der Staat durch das Gericht als ſein Organ in der formellen Weiſe des Urtheils den im Tenor bezeichneten Rechtsanſpruch aner- 1) Es kann keine Verpflichtung des Verklagten exiſtiren, „Recht zu geben,“ wie Wach in Grünhut’s Zeitſchr. Bd. VII. S. 171 in Uebereinſtimmung mit einer weit verbreiteten Anſchauung ſagt; denn Recht giebt nur der Staat; der Verklagte dagegen giebt dasjenige, worauf ſein dare facere praestare oportere geht, alſo Geld, Gut u. ſ. w. 2) Vgl. A. S. Schultze a. a. O. S. 147.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht0302_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht0302_1882/34
Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht0302_1882/34>, abgerufen am 27.11.2024.