den kann, ein Zeugniß abzulegen. Die Pflicht eines Gerichts, einer Requisition zu genügen, schließt nicht die Pflicht des Einzelnen in sich, zur Erledigung dieser Requisition mitzuwirken, und verleiht dem Gericht nicht die Befugniß einen Zwang auszuüben, der in den Gesetzen nicht begründet ist. Im Falle der berechtigten Zeug- nißverweigerung würde daher das requirirte Gericht dem Ersuchen dadurch genügen, daß es die Zeugnißverweigerung constatirt.
Was nun die erwähnte Bestimmung des Rechtshülfe-Gesetzes anlangt, so bezieht sich dieselbe gar nicht auf den objektiven Umfang der Zeugenpflicht, sondern auf den subjektiven, d. h. auf den Kreis der verpflichteten Personen. Der Schwerpunkt der Rechtsvorschrift liegt in den Worten: "auch wenn er einem andern Bundesstaate angehört." Das Gesetz verfügt, daß jeder Deutsche nicht blos den Gerichten des Staates, welchem er angehört, sondern allen Gerichten im ganzen Bundesgebiet gegenüber zeugenpflichtig ist; aber es sagt nicht, daß jeder Deutsche in unbedingter und unbeschränkter Weise zeugenpflichtig ist. Das Rechtshülfe-Gesetz ließ vielmehr in dieser Beziehung die Landesgesetze unberührt und hat dies in unzweifelhafter Weise ausgesprochen, indem es der er- wähnten Bestimmung den Satz beifügte: "Diese Vorschrift findet keine Anwendung auf Personen, welche nach dem am Wohnsitze derselben geltenden Rechte nicht verbunden sind, persönlich vor Gericht zu erscheinen oder in der betreffenden Sache Zeug- niß abzulegen." Soweit demnach objektiv eine Zeugenpflicht nach den Partikularrechten nicht bestanden hat, ist eine solche auch durch das Rechtshülfegesetz nicht eingeführt worden. Außerdem ist nicht zu übersehen, daß sich dieses Gesetz überhaupt nur auf bürgerliche Rechtsstreitigkeiten und Strafsachen bezieht und neben den Anordnungen des Gerichtsverfassungsgesetzes und der drei Reichsprozeßordnungen nur noch für diejenigen bürgerlichen Rechts- streitigkeiten und Strafsachen, welche nicht zur "ordentlichen" strei- tigen Gerichtsbarkeit gehören, in Geltung steht, aber nicht auf Verwaltungssachen anwendbar ist.
6. Nach diesen Erörterungen ist nun auch die ziemlich schwie- rige Frage zu entscheiden, ob im Disciplinar-Verfahren gegen Beamte eine erzwingbare Zeugnißpflicht besteht und in welchem Umfange. Hier ist zunächst der Gedanke abzuweisen, daß die Vor- schriften der Civilprozeß-Ordnung analoge Anwendung finden
§. 105. Die Zeugenpflicht.
den kann, ein Zeugniß abzulegen. Die Pflicht eines Gerichts, einer Requiſition zu genügen, ſchließt nicht die Pflicht des Einzelnen in ſich, zur Erledigung dieſer Requiſition mitzuwirken, und verleiht dem Gericht nicht die Befugniß einen Zwang auszuüben, der in den Geſetzen nicht begründet iſt. Im Falle der berechtigten Zeug- nißverweigerung würde daher das requirirte Gericht dem Erſuchen dadurch genügen, daß es die Zeugnißverweigerung conſtatirt.
Was nun die erwähnte Beſtimmung des Rechtshülfe-Geſetzes anlangt, ſo bezieht ſich dieſelbe gar nicht auf den objektiven Umfang der Zeugenpflicht, ſondern auf den ſubjektiven, d. h. auf den Kreis der verpflichteten Perſonen. Der Schwerpunkt der Rechtsvorſchrift liegt in den Worten: „auch wenn er einem andern Bundesſtaate angehört.“ Das Geſetz verfügt, daß jeder Deutſche nicht blos den Gerichten des Staates, welchem er angehört, ſondern allen Gerichten im ganzen Bundesgebiet gegenüber zeugenpflichtig iſt; aber es ſagt nicht, daß jeder Deutſche in unbedingter und unbeſchränkter Weiſe zeugenpflichtig iſt. Das Rechtshülfe-Geſetz ließ vielmehr in dieſer Beziehung die Landesgeſetze unberührt und hat dies in unzweifelhafter Weiſe ausgeſprochen, indem es der er- wähnten Beſtimmung den Satz beifügte: „Dieſe Vorſchrift findet keine Anwendung auf Perſonen, welche nach dem am Wohnſitze derſelben geltenden Rechte nicht verbunden ſind, perſönlich vor Gericht zu erſcheinen oder in der betreffenden Sache Zeug- niß abzulegen.“ Soweit demnach objektiv eine Zeugenpflicht nach den Partikularrechten nicht beſtanden hat, iſt eine ſolche auch durch das Rechtshülfegeſetz nicht eingeführt worden. Außerdem iſt nicht zu überſehen, daß ſich dieſes Geſetz überhaupt nur auf bürgerliche Rechtsſtreitigkeiten und Strafſachen bezieht und neben den Anordnungen des Gerichtsverfaſſungsgeſetzes und der drei Reichsprozeßordnungen nur noch für diejenigen bürgerlichen Rechts- ſtreitigkeiten und Strafſachen, welche nicht zur „ordentlichen“ ſtrei- tigen Gerichtsbarkeit gehören, in Geltung ſteht, aber nicht auf Verwaltungsſachen anwendbar iſt.
6. Nach dieſen Erörterungen iſt nun auch die ziemlich ſchwie- rige Frage zu entſcheiden, ob im Disciplinar-Verfahren gegen Beamte eine erzwingbare Zeugnißpflicht beſteht und in welchem Umfange. Hier iſt zunächſt der Gedanke abzuweiſen, daß die Vor- ſchriften der Civilprozeß-Ordnung analoge Anwendung finden
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§. 105. Die Zeugenpflicht.
den kann, ein Zeugniß abzulegen. Die Pflicht eines Gerichts, einer
Requiſition zu genügen, ſchließt nicht die Pflicht des Einzelnen in
ſich, zur Erledigung dieſer Requiſition mitzuwirken, und verleiht
dem Gericht nicht die Befugniß einen Zwang auszuüben, der in
den Geſetzen nicht begründet iſt. Im Falle der berechtigten Zeug-
nißverweigerung würde daher das requirirte Gericht dem Erſuchen
dadurch genügen, daß es die Zeugnißverweigerung conſtatirt.
Was nun die erwähnte Beſtimmung des Rechtshülfe-Geſetzes
anlangt, ſo bezieht ſich dieſelbe gar nicht auf den objektiven
Umfang der Zeugenpflicht, ſondern auf den ſubjektiven, d. h.
auf den Kreis der verpflichteten Perſonen. Der Schwerpunkt der
Rechtsvorſchrift liegt in den Worten: „auch wenn er einem andern
Bundesſtaate angehört.“ Das Geſetz verfügt, daß jeder Deutſche
nicht blos den Gerichten des Staates, welchem er angehört, ſondern
allen Gerichten im ganzen Bundesgebiet gegenüber zeugenpflichtig
iſt; aber es ſagt nicht, daß jeder Deutſche in unbedingter und
unbeſchränkter Weiſe zeugenpflichtig iſt. Das Rechtshülfe-Geſetz
ließ vielmehr in dieſer Beziehung die Landesgeſetze unberührt und
hat dies in unzweifelhafter Weiſe ausgeſprochen, indem es der er-
wähnten Beſtimmung den Satz beifügte: „Dieſe Vorſchrift findet
keine Anwendung auf Perſonen, welche nach dem am Wohnſitze
derſelben geltenden Rechte nicht verbunden ſind, perſönlich vor
Gericht zu erſcheinen oder in der betreffenden Sache Zeug-
niß abzulegen.“ Soweit demnach objektiv eine Zeugenpflicht
nach den Partikularrechten nicht beſtanden hat, iſt eine ſolche auch
durch das Rechtshülfegeſetz nicht eingeführt worden. Außerdem
iſt nicht zu überſehen, daß ſich dieſes Geſetz überhaupt nur auf
bürgerliche Rechtsſtreitigkeiten und Strafſachen bezieht und neben
den Anordnungen des Gerichtsverfaſſungsgeſetzes und der drei
Reichsprozeßordnungen nur noch für diejenigen bürgerlichen Rechts-
ſtreitigkeiten und Strafſachen, welche nicht zur „ordentlichen“ ſtrei-
tigen Gerichtsbarkeit gehören, in Geltung ſteht, aber nicht auf
Verwaltungsſachen anwendbar iſt.
6. Nach dieſen Erörterungen iſt nun auch die ziemlich ſchwie-
rige Frage zu entſcheiden, ob im Disciplinar-Verfahren gegen
Beamte eine erzwingbare Zeugnißpflicht beſteht und in welchem
Umfange. Hier iſt zunächſt der Gedanke abzuweiſen, daß die Vor-
ſchriften der Civilprozeß-Ordnung analoge Anwendung finden
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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht0302_1882/172>, abgerufen am 15.08.2024.
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