Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

§. 105. Die Zeugenpflicht.
auf Anordnung des Civil- oder Strafgerichts vor demselben zum
Zwecke seiner Vernehmung als Zeuge zu erscheinen, auch wenn er
einem andern Bundesstaate angehört." Würde diese Bestimmung
in der That die Bedeutung haben, daß man verpflichtet ist, jeder
Anordnung eines Gerichts, sich als Zeuge vernehmen zu lassen,
nachzukommen, so wäre die Zeugenpflicht ihrem Umfange nach eine
unbeschränkte und nur an die formelle Voraussetzung gebunden,
daß ihre Erfüllung durch ein Gericht geltend gemacht werde.
Mit andern Worten: jede Behörde irgend welcher Art könnte in
allen Angelegenheiten, gleichviel was sie betreffen, jeden Deut-
schen zur Zeugenaussage zwingen, indem sie sich zu diesem Behufe
an das zuständige Gericht wendet und dasselbe um die Verneh-
mung des Zeugen ersucht. Die vorstehend unter Ziff. 4 aufge-
führten Fälle wären nur einzelne Anwendungen eines ganz allge-
meinen Prinzips des öffentlichen Rechts. In dieser Beziehung ist
nun aber -- bevor auf den wirklichen Sinn des citirten Gesetzes
eingegangen wird -- ein Punkt hervorzuheben, der in der Pra-
xis selbst von den angesehensten Gerichtshöfen öfters übersehen
worden ist. Man muß nämlich unterscheiden zwischen der Pflicht
der Gerichte, einem Ersuchen anderer Behörden zu genügen, und
der Pflicht des Unterthanen zur Ablegung des Zeugnisses. Es ist
im Allgemeinen davon auszugehen, daß sich alle Behörden eines
Staates gegenseitig zu helfen und zu unterstützen haben und daß
sie nicht befugt sind, amtliche Ersuchen zurückzuweisen, wofern die-
selben nicht die Vornahme einer in den Gesetzen verbotenen oder
ihre Zuständigkeit überschreitenden Handlung ihnen zumuthen. Dies
gilt von den Gerichten nicht minder wie von anderen Behörden.
Wenn daher irgend eine Behörde in irgend einer Angelegenheit
die eidliche Vernehmung eines Zeugen für erforderlich erachtet, so
steht Nichts im Wege, das zuständige Gericht um diese Verneh-
mung zu ersuchen und das letztere wird dieses Ersuchen der Regel
nach nicht ablehnen dürfen, vorausgesetzt, daß der bezeichnete Zeuge
bereit ist, eine eidliche Aussage zu machen. Auch wer nicht ver-
pflichtet ist, sich vernehmen zu lassen, wird ja in sehr vielen Fällen
dennoch sein Zeugniß nicht verweigern und die Funktion des er-
suchten Gerichts besteht darin, dieses Zeugniß in eine authentische
und beweisfähige Form zu bringen. Ganz verschieden davon ist
aber die Frage, ob Jemand wider seinen Willen gezwungen wer-

Laband, Reichsstaatsrecht. III. 2. 11

§. 105. Die Zeugenpflicht.
auf Anordnung des Civil- oder Strafgerichts vor demſelben zum
Zwecke ſeiner Vernehmung als Zeuge zu erſcheinen, auch wenn er
einem andern Bundesſtaate angehört.“ Würde dieſe Beſtimmung
in der That die Bedeutung haben, daß man verpflichtet iſt, jeder
Anordnung eines Gerichts, ſich als Zeuge vernehmen zu laſſen,
nachzukommen, ſo wäre die Zeugenpflicht ihrem Umfange nach eine
unbeſchränkte und nur an die formelle Vorausſetzung gebunden,
daß ihre Erfüllung durch ein Gericht geltend gemacht werde.
Mit andern Worten: jede Behörde irgend welcher Art könnte in
allen Angelegenheiten, gleichviel was ſie betreffen, jeden Deut-
ſchen zur Zeugenausſage zwingen, indem ſie ſich zu dieſem Behufe
an das zuſtändige Gericht wendet und daſſelbe um die Verneh-
mung des Zeugen erſucht. Die vorſtehend unter Ziff. 4 aufge-
führten Fälle wären nur einzelne Anwendungen eines ganz allge-
meinen Prinzips des öffentlichen Rechts. In dieſer Beziehung iſt
nun aber — bevor auf den wirklichen Sinn des citirten Geſetzes
eingegangen wird — ein Punkt hervorzuheben, der in der Pra-
xis ſelbſt von den angeſehenſten Gerichtshöfen öfters überſehen
worden iſt. Man muß nämlich unterſcheiden zwiſchen der Pflicht
der Gerichte, einem Erſuchen anderer Behörden zu genügen, und
der Pflicht des Unterthanen zur Ablegung des Zeugniſſes. Es iſt
im Allgemeinen davon auszugehen, daß ſich alle Behörden eines
Staates gegenſeitig zu helfen und zu unterſtützen haben und daß
ſie nicht befugt ſind, amtliche Erſuchen zurückzuweiſen, wofern die-
ſelben nicht die Vornahme einer in den Geſetzen verbotenen oder
ihre Zuſtändigkeit überſchreitenden Handlung ihnen zumuthen. Dies
gilt von den Gerichten nicht minder wie von anderen Behörden.
Wenn daher irgend eine Behörde in irgend einer Angelegenheit
die eidliche Vernehmung eines Zeugen für erforderlich erachtet, ſo
ſteht Nichts im Wege, das zuſtändige Gericht um dieſe Verneh-
mung zu erſuchen und das letztere wird dieſes Erſuchen der Regel
nach nicht ablehnen dürfen, vorausgeſetzt, daß der bezeichnete Zeuge
bereit iſt, eine eidliche Ausſage zu machen. Auch wer nicht ver-
pflichtet iſt, ſich vernehmen zu laſſen, wird ja in ſehr vielen Fällen
dennoch ſein Zeugniß nicht verweigern und die Funktion des er-
ſuchten Gerichts beſteht darin, dieſes Zeugniß in eine authentiſche
und beweisfähige Form zu bringen. Ganz verſchieden davon iſt
aber die Frage, ob Jemand wider ſeinen Willen gezwungen wer-

Laband, Reichsſtaatsrecht. III. 2. 11
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0171" n="161"/><fw place="top" type="header">§. 105. Die Zeugenpflicht.</fw><lb/>
auf Anordnung des Civil- oder Strafgerichts vor dem&#x017F;elben zum<lb/>
Zwecke &#x017F;einer Vernehmung als Zeuge zu er&#x017F;cheinen, auch wenn er<lb/>
einem andern Bundes&#x017F;taate angehört.&#x201C; Würde die&#x017F;e Be&#x017F;timmung<lb/>
in der That die Bedeutung haben, daß man verpflichtet i&#x017F;t, jeder<lb/>
Anordnung eines Gerichts, &#x017F;ich als Zeuge vernehmen zu la&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
nachzukommen, &#x017F;o wäre die Zeugenpflicht ihrem Umfange nach eine<lb/>
unbe&#x017F;chränkte und nur an die formelle Voraus&#x017F;etzung gebunden,<lb/>
daß ihre Erfüllung durch ein <hi rendition="#g">Gericht</hi> geltend gemacht werde.<lb/>
Mit andern Worten: jede Behörde irgend welcher Art könnte in<lb/><hi rendition="#g">allen</hi> Angelegenheiten, gleichviel was &#x017F;ie betreffen, jeden Deut-<lb/>
&#x017F;chen zur Zeugenaus&#x017F;age zwingen, indem &#x017F;ie &#x017F;ich zu die&#x017F;em Behufe<lb/>
an das zu&#x017F;tändige Gericht wendet und da&#x017F;&#x017F;elbe um die Verneh-<lb/>
mung des Zeugen er&#x017F;ucht. Die vor&#x017F;tehend unter Ziff. 4 aufge-<lb/>
führten Fälle wären nur einzelne Anwendungen eines ganz allge-<lb/>
meinen Prinzips des öffentlichen Rechts. In die&#x017F;er Beziehung i&#x017F;t<lb/>
nun aber &#x2014; bevor auf den wirklichen Sinn des citirten Ge&#x017F;etzes<lb/>
eingegangen wird &#x2014; ein Punkt hervorzuheben, der in der Pra-<lb/>
xis &#x017F;elb&#x017F;t von den ange&#x017F;ehen&#x017F;ten Gerichtshöfen öfters über&#x017F;ehen<lb/>
worden i&#x017F;t. Man muß nämlich unter&#x017F;cheiden zwi&#x017F;chen der Pflicht<lb/>
der Gerichte, einem Er&#x017F;uchen anderer Behörden zu genügen, und<lb/>
der Pflicht des Unterthanen zur Ablegung des Zeugni&#x017F;&#x017F;es. Es i&#x017F;t<lb/>
im Allgemeinen davon auszugehen, daß &#x017F;ich alle Behörden eines<lb/>
Staates gegen&#x017F;eitig zu helfen und zu unter&#x017F;tützen haben und daß<lb/>
&#x017F;ie nicht befugt &#x017F;ind, amtliche Er&#x017F;uchen zurückzuwei&#x017F;en, wofern die-<lb/>
&#x017F;elben nicht die Vornahme einer in den Ge&#x017F;etzen verbotenen oder<lb/>
ihre Zu&#x017F;tändigkeit über&#x017F;chreitenden Handlung ihnen zumuthen. Dies<lb/>
gilt von den Gerichten nicht minder wie von anderen Behörden.<lb/>
Wenn daher irgend eine Behörde in irgend einer Angelegenheit<lb/>
die eidliche Vernehmung eines Zeugen für erforderlich erachtet, &#x017F;o<lb/>
&#x017F;teht Nichts im Wege, das zu&#x017F;tändige Gericht um die&#x017F;e Verneh-<lb/>
mung zu er&#x017F;uchen und das letztere wird die&#x017F;es Er&#x017F;uchen der Regel<lb/>
nach nicht ablehnen dürfen, vorausge&#x017F;etzt, daß der bezeichnete Zeuge<lb/><hi rendition="#g">bereit</hi> i&#x017F;t, eine eidliche Aus&#x017F;age zu machen. Auch wer nicht ver-<lb/>
pflichtet i&#x017F;t, &#x017F;ich vernehmen zu la&#x017F;&#x017F;en, wird ja in &#x017F;ehr vielen Fällen<lb/>
dennoch &#x017F;ein Zeugniß nicht verweigern und die Funktion des er-<lb/>
&#x017F;uchten Gerichts be&#x017F;teht darin, die&#x017F;es Zeugniß in eine authenti&#x017F;che<lb/>
und beweisfähige Form zu bringen. Ganz ver&#x017F;chieden davon i&#x017F;t<lb/>
aber die Frage, ob Jemand wider &#x017F;einen Willen gezwungen wer-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Laband</hi>, Reichs&#x017F;taatsrecht. <hi rendition="#aq">III.</hi> 2. 11</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[161/0171] §. 105. Die Zeugenpflicht. auf Anordnung des Civil- oder Strafgerichts vor demſelben zum Zwecke ſeiner Vernehmung als Zeuge zu erſcheinen, auch wenn er einem andern Bundesſtaate angehört.“ Würde dieſe Beſtimmung in der That die Bedeutung haben, daß man verpflichtet iſt, jeder Anordnung eines Gerichts, ſich als Zeuge vernehmen zu laſſen, nachzukommen, ſo wäre die Zeugenpflicht ihrem Umfange nach eine unbeſchränkte und nur an die formelle Vorausſetzung gebunden, daß ihre Erfüllung durch ein Gericht geltend gemacht werde. Mit andern Worten: jede Behörde irgend welcher Art könnte in allen Angelegenheiten, gleichviel was ſie betreffen, jeden Deut- ſchen zur Zeugenausſage zwingen, indem ſie ſich zu dieſem Behufe an das zuſtändige Gericht wendet und daſſelbe um die Verneh- mung des Zeugen erſucht. Die vorſtehend unter Ziff. 4 aufge- führten Fälle wären nur einzelne Anwendungen eines ganz allge- meinen Prinzips des öffentlichen Rechts. In dieſer Beziehung iſt nun aber — bevor auf den wirklichen Sinn des citirten Geſetzes eingegangen wird — ein Punkt hervorzuheben, der in der Pra- xis ſelbſt von den angeſehenſten Gerichtshöfen öfters überſehen worden iſt. Man muß nämlich unterſcheiden zwiſchen der Pflicht der Gerichte, einem Erſuchen anderer Behörden zu genügen, und der Pflicht des Unterthanen zur Ablegung des Zeugniſſes. Es iſt im Allgemeinen davon auszugehen, daß ſich alle Behörden eines Staates gegenſeitig zu helfen und zu unterſtützen haben und daß ſie nicht befugt ſind, amtliche Erſuchen zurückzuweiſen, wofern die- ſelben nicht die Vornahme einer in den Geſetzen verbotenen oder ihre Zuſtändigkeit überſchreitenden Handlung ihnen zumuthen. Dies gilt von den Gerichten nicht minder wie von anderen Behörden. Wenn daher irgend eine Behörde in irgend einer Angelegenheit die eidliche Vernehmung eines Zeugen für erforderlich erachtet, ſo ſteht Nichts im Wege, das zuſtändige Gericht um dieſe Verneh- mung zu erſuchen und das letztere wird dieſes Erſuchen der Regel nach nicht ablehnen dürfen, vorausgeſetzt, daß der bezeichnete Zeuge bereit iſt, eine eidliche Ausſage zu machen. Auch wer nicht ver- pflichtet iſt, ſich vernehmen zu laſſen, wird ja in ſehr vielen Fällen dennoch ſein Zeugniß nicht verweigern und die Funktion des er- ſuchten Gerichts beſteht darin, dieſes Zeugniß in eine authentiſche und beweisfähige Form zu bringen. Ganz verſchieden davon iſt aber die Frage, ob Jemand wider ſeinen Willen gezwungen wer- Laband, Reichsſtaatsrecht. III. 2. 11

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht0302_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht0302_1882/171
Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht0302_1882/171>, abgerufen am 25.11.2024.