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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882.

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§. 96. Einleitung.
Vorschriften aus -- wurde implicite der Verfassungsgrundsatz bei-
gefügt: sie üben sie auch nur in dem Umfange aus, den der
Bund bestimmt d. h. soweit der Bund die Gerichtsbarkeit nicht
durch eigene Organe ausübt.

Da nun bei der Gründung des Reiches gleichzeitig mit der
Verfassung auch das Ges. v. 12. Juni 1869 Geltung für das
ganze Reich erhielt, so ergibt sich, daß die Verfassung mit der
in diesem Gesetz enthaltenen Abänderung und Er-
gänzung
eingeführt worden ist und daß demnach der Schluß,
welchen man aus dem Schweigen der Verf. des Nordd. Bundes
über die Bundesgerichtsbarkeit ziehen mußte, aus dem Schweigen
der Reichsverfassung nicht gezogen werden kann. Das Reich
hatte vielmehr von Anfang an eine eigene Gerichtsbarkeit in
bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten und die verfassungsmäßige Kom-
petenz, den Umfang derselben zu bestimmen. Von dieser Befugniß
hat das Reich auch einen ausgiebigen Gebrauch gemacht, indem
es seit dem 1. Oktober 1879 an die Stelle des Oberhandelsgerichts
das Reichsgericht gesetzt hat, dem eine umfassende Zuständigkeit in
bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten und Strafsachen, sowie in einigen
andern Angelegenheiten beigelegt worden ist.

Der Norddeutsche Bund hat ferner in dem Gesetz v. 21. Juni
1869 1) die in der Verf. Art. 4 Ziff. 11 in Aussicht genommenen
Vorschriften über die Rechtshülfe erlassen. Während
aber die Verfassung nur von der Vollstreckung von Erkenntnissen
in Civilsachen und der Erledigung von Requisitionen sprach,
hat das Rechtshülfegesetz bereits das Prinzip angebahnt, daß die
Bethätigungen der den Einzelstaaten zustehenden Gerichtsbarkeit in
bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten und in Strafsachen ihre Wirkungen
auf das ganze Bundesgebiet erstrecken. In Civilsachen wurde
der Grundsatz anerkannt, daß wenn eine Rechtsstreitigkeit in einem
Bundesstaate rechtshängig geworden oder rechtskräftig entschieden
ist, die Rechtshängigkeit oder die Rechtskraft vor jedem Gerichte
aller Bundesstaaten geltend gemacht werden kann 2); daß die Ge-
richte des Bundesgebiets sich gegenseitig Rechtshülfe zu leisten
haben, ohne Unterschied, ob das ersuchende und das ersuchte Ge-

1) Bundesgesetzbl. 1869 S. 305 ff.
2) Rechtshülfe-Ges. §. 19.

§. 96. Einleitung.
Vorſchriften aus — wurde implicite der Verfaſſungsgrundſatz bei-
gefügt: ſie üben ſie auch nur in dem Umfange aus, den der
Bund beſtimmt d. h. ſoweit der Bund die Gerichtsbarkeit nicht
durch eigene Organe ausübt.

Da nun bei der Gründung des Reiches gleichzeitig mit der
Verfaſſung auch das Geſ. v. 12. Juni 1869 Geltung für das
ganze Reich erhielt, ſo ergibt ſich, daß die Verfaſſung mit der
in dieſem Geſetz enthaltenen Abänderung und Er-
gänzung
eingeführt worden iſt und daß demnach der Schluß,
welchen man aus dem Schweigen der Verf. des Nordd. Bundes
über die Bundesgerichtsbarkeit ziehen mußte, aus dem Schweigen
der Reichsverfaſſung nicht gezogen werden kann. Das Reich
hatte vielmehr von Anfang an eine eigene Gerichtsbarkeit in
bürgerlichen Rechtsſtreitigkeiten und die verfaſſungsmäßige Kom-
petenz, den Umfang derſelben zu beſtimmen. Von dieſer Befugniß
hat das Reich auch einen ausgiebigen Gebrauch gemacht, indem
es ſeit dem 1. Oktober 1879 an die Stelle des Oberhandelsgerichts
das Reichsgericht geſetzt hat, dem eine umfaſſende Zuſtändigkeit in
bürgerlichen Rechtsſtreitigkeiten und Strafſachen, ſowie in einigen
andern Angelegenheiten beigelegt worden iſt.

Der Norddeutſche Bund hat ferner in dem Geſetz v. 21. Juni
1869 1) die in der Verf. Art. 4 Ziff. 11 in Ausſicht genommenen
Vorſchriften über die Rechtshülfe erlaſſen. Während
aber die Verfaſſung nur von der Vollſtreckung von Erkenntniſſen
in Civilſachen und der Erledigung von Requiſitionen ſprach,
hat das Rechtshülfegeſetz bereits das Prinzip angebahnt, daß die
Bethätigungen der den Einzelſtaaten zuſtehenden Gerichtsbarkeit in
bürgerlichen Rechtsſtreitigkeiten und in Strafſachen ihre Wirkungen
auf das ganze Bundesgebiet erſtrecken. In Civilſachen wurde
der Grundſatz anerkannt, daß wenn eine Rechtsſtreitigkeit in einem
Bundesſtaate rechtshängig geworden oder rechtskräftig entſchieden
iſt, die Rechtshängigkeit oder die Rechtskraft vor jedem Gerichte
aller Bundesſtaaten geltend gemacht werden kann 2); daß die Ge-
richte des Bundesgebiets ſich gegenſeitig Rechtshülfe zu leiſten
haben, ohne Unterſchied, ob das erſuchende und das erſuchte Ge-

1) Bundesgeſetzbl. 1869 S. 305 ff.
2) Rechtshülfe-Geſ. §. 19.
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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht0302_1882/15>, abgerufen am 28.03.2024.