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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882.

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§. 102. Die Staatsanwaltschaft.
im §. 159 Abs. 2 des Gerichtsverf.Gesetzes aufgeführten Aus-
nahmen, von dem ersuchten Gerichte nicht abgelehnt werden dürfen,
gilt von den Requisitionen der Staatsanwaltschaften der gleiche
Grundsatz nicht, und zwar auch nicht von dem Verkehr der staats-
anwaltschaftlichen Behörden unter einander, denn dieser Grundsatz
würde die ersuchte Behörde dem Willen einer einem andern
Bundesstaate angehörenden und von dem Justizministerium des
letzteren geleiteten Behörde unterwerfen und damit die Einheit-
lichkeit der Staatsanwaltschaft auflösen und den ersuchten Beamten
in einen unlöslichen Conflict versetzen zwischen der Pflicht, den
dienstlichen Anweisungen des Vorgesetzten gehorsam zu sein, und
der Pflicht, dem Ersuchen der requirirenden Behörde nachzukommen,
wofern zwischen den letzteren und den dienstlichen Anweisungen des
Vorgesetzten ein Widerspruch besteht. Wenn die Staatsanwalt-
schaft die Mitwirkung einer andern Behörde beansprucht, kommen
vielmehr folgende Regeln zur Anwendung, gleichviel ob die requi-
rirte Behörde demselben Staate angehört oder einem andern Bun-
desstaate:

1. Wenn die Staatsanwaltschaft einen Amtsrichter um
die Vornahme einer richterlichen Untersuchungshandlung ersucht, so
hat der Amtsrichter zu prüfen, ob die beantragte Handlung nach
den Umständen des Falles gesetzlich zulässig ist 1); es besteht also
gerade der entgegengesetzte Grundsatz wie ihn §. 159 Abs. 1 des
Gerichtsverf.Gesetzes für das Ersuchen der Gerichte aufstellt.

2. Wenn das Ersuchen an eine, dem requirirenden Staats-
anwalt nicht dienstlich untergebene, staatsanwaltschaftliche
Behörde gerichtet wird, so hat die letztere nach freiem Ermessen
zu prüfen, ob sie nach Maßgabe der ihr ertheilten dienstlichen
Anweisungen dem Ersuchen Statt zu geben habe oder nicht. Lehnt
sie die Erledigung ab, so ist dagegen nur der Weg der Beschwerde
an die vorgesetzte Behörde zulässig; die definitive Entscheidung
einer Meinungsverschiedenheit darüber, ob dem Ersuchen Folge zu
leisten sei oder nicht, ruht also bei dem Justizministerium, welchem
der requirirte Staatsanwalt untergeordnet ist. Falls sich hieraus
eine Differenz unter den Regierungen verschiedener Bundesstaaten
ergiebt, so würde dieselbe nach Art. 17 der R.V. durch den Kaiser

1) Strafproz.Ordn. §. 160 Abs. 2.

§. 102. Die Staatsanwaltſchaft.
im §. 159 Abſ. 2 des Gerichtsverf.Geſetzes aufgeführten Aus-
nahmen, von dem erſuchten Gerichte nicht abgelehnt werden dürfen,
gilt von den Requiſitionen der Staatsanwaltſchaften der gleiche
Grundſatz nicht, und zwar auch nicht von dem Verkehr der ſtaats-
anwaltſchaftlichen Behörden unter einander, denn dieſer Grundſatz
würde die erſuchte Behörde dem Willen einer einem andern
Bundesſtaate angehörenden und von dem Juſtizminiſterium des
letzteren geleiteten Behörde unterwerfen und damit die Einheit-
lichkeit der Staatsanwaltſchaft auflöſen und den erſuchten Beamten
in einen unlöslichen Conflict verſetzen zwiſchen der Pflicht, den
dienſtlichen Anweiſungen des Vorgeſetzten gehorſam zu ſein, und
der Pflicht, dem Erſuchen der requirirenden Behörde nachzukommen,
wofern zwiſchen den letzteren und den dienſtlichen Anweiſungen des
Vorgeſetzten ein Widerſpruch beſteht. Wenn die Staatsanwalt-
ſchaft die Mitwirkung einer andern Behörde beanſprucht, kommen
vielmehr folgende Regeln zur Anwendung, gleichviel ob die requi-
rirte Behörde demſelben Staate angehört oder einem andern Bun-
desſtaate:

1. Wenn die Staatsanwaltſchaft einen Amtsrichter um
die Vornahme einer richterlichen Unterſuchungshandlung erſucht, ſo
hat der Amtsrichter zu prüfen, ob die beantragte Handlung nach
den Umſtänden des Falles geſetzlich zuläſſig iſt 1); es beſteht alſo
gerade der entgegengeſetzte Grundſatz wie ihn §. 159 Abſ. 1 des
Gerichtsverf.Geſetzes für das Erſuchen der Gerichte aufſtellt.

2. Wenn das Erſuchen an eine, dem requirirenden Staats-
anwalt nicht dienſtlich untergebene, ſtaatsanwaltſchaftliche
Behörde gerichtet wird, ſo hat die letztere nach freiem Ermeſſen
zu prüfen, ob ſie nach Maßgabe der ihr ertheilten dienſtlichen
Anweiſungen dem Erſuchen Statt zu geben habe oder nicht. Lehnt
ſie die Erledigung ab, ſo iſt dagegen nur der Weg der Beſchwerde
an die vorgeſetzte Behörde zuläſſig; die definitive Entſcheidung
einer Meinungsverſchiedenheit darüber, ob dem Erſuchen Folge zu
leiſten ſei oder nicht, ruht alſo bei dem Juſtizminiſterium, welchem
der requirirte Staatsanwalt untergeordnet iſt. Falls ſich hieraus
eine Differenz unter den Regierungen verſchiedener Bundesſtaaten
ergiebt, ſo würde dieſelbe nach Art. 17 der R.V. durch den Kaiſer

1) Strafproz.Ordn. §. 160 Abſ. 2.
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[104/0114] §. 102. Die Staatsanwaltſchaft. im §. 159 Abſ. 2 des Gerichtsverf.Geſetzes aufgeführten Aus- nahmen, von dem erſuchten Gerichte nicht abgelehnt werden dürfen, gilt von den Requiſitionen der Staatsanwaltſchaften der gleiche Grundſatz nicht, und zwar auch nicht von dem Verkehr der ſtaats- anwaltſchaftlichen Behörden unter einander, denn dieſer Grundſatz würde die erſuchte Behörde dem Willen einer einem andern Bundesſtaate angehörenden und von dem Juſtizminiſterium des letzteren geleiteten Behörde unterwerfen und damit die Einheit- lichkeit der Staatsanwaltſchaft auflöſen und den erſuchten Beamten in einen unlöslichen Conflict verſetzen zwiſchen der Pflicht, den dienſtlichen Anweiſungen des Vorgeſetzten gehorſam zu ſein, und der Pflicht, dem Erſuchen der requirirenden Behörde nachzukommen, wofern zwiſchen den letzteren und den dienſtlichen Anweiſungen des Vorgeſetzten ein Widerſpruch beſteht. Wenn die Staatsanwalt- ſchaft die Mitwirkung einer andern Behörde beanſprucht, kommen vielmehr folgende Regeln zur Anwendung, gleichviel ob die requi- rirte Behörde demſelben Staate angehört oder einem andern Bun- desſtaate: 1. Wenn die Staatsanwaltſchaft einen Amtsrichter um die Vornahme einer richterlichen Unterſuchungshandlung erſucht, ſo hat der Amtsrichter zu prüfen, ob die beantragte Handlung nach den Umſtänden des Falles geſetzlich zuläſſig iſt 1); es beſteht alſo gerade der entgegengeſetzte Grundſatz wie ihn §. 159 Abſ. 1 des Gerichtsverf.Geſetzes für das Erſuchen der Gerichte aufſtellt. 2. Wenn das Erſuchen an eine, dem requirirenden Staats- anwalt nicht dienſtlich untergebene, ſtaatsanwaltſchaftliche Behörde gerichtet wird, ſo hat die letztere nach freiem Ermeſſen zu prüfen, ob ſie nach Maßgabe der ihr ertheilten dienſtlichen Anweiſungen dem Erſuchen Statt zu geben habe oder nicht. Lehnt ſie die Erledigung ab, ſo iſt dagegen nur der Weg der Beſchwerde an die vorgeſetzte Behörde zuläſſig; die definitive Entſcheidung einer Meinungsverſchiedenheit darüber, ob dem Erſuchen Folge zu leiſten ſei oder nicht, ruht alſo bei dem Juſtizminiſterium, welchem der requirirte Staatsanwalt untergeordnet iſt. Falls ſich hieraus eine Differenz unter den Regierungen verſchiedener Bundesſtaaten ergiebt, ſo würde dieſelbe nach Art. 17 der R.V. durch den Kaiſer 1) Strafproz.Ordn. §. 160 Abſ. 2.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht0302_1882/114>, abgerufen am 17.09.2024.