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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 1. Tübingen, 1880.

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§. 79. Der Oberbefehl über die bewaffnete Macht des Reiches.
Mobilmachungs-Ordre unterstellt der König von Bayern zugleich
sein Kontingent dem Oberbefehl des Kaisers.

IV. Zu den militairischen Rechten des Kaisers zählt die
Reichsverf. auch die Befugniß desselben, wenn die öffentliche Sicher-
heit in dem Bundesgebiete bedroht ist, einen jeden Theil desselben
in Kriegszustand zu erklären 1). Diese Bestimmung findet sich
in dem XI. Abschnitt der R.V., welcher die Ueberschrift "Reichs-
kriegswesen" trägt, und nach dem Wortlaut der Nordd. Bundes-
verfassung war diese Befugniß nicht dem Bundespräsidium, sondern
dem "Bundesfeldherrn" beigelegt; es ist also kein Zweifel, daß
nach der Verfassung dieses Recht des Kaisers als ein Ausfluß oder
Bestandtheil seines militairischen Oberbefehls aufgefaßt wird. Daraus
ist aber nicht zu folgern, daß von dieser Befugniß nur im Kriegs-
falle oder zur Sicherung der öffentlichen Ordnung gegen äußere
Feinde Gebrauch gemacht werden dürfte; denn der Kaiserl. Ober-
befehl besteht auch im Frieden und das Militair ist nicht nur
zum Schutz gegen äußere Feinde, sondern auch zur Aufrechterhal-
tung des Landfriedens gegen innere Bedrohungen bestimmt 2).
Ihrem Inhalte nach reicht die im Art. 68 dem Kaiser eingeräumte
Machtvollkommenheit aber weit über die Gränzen hinaus, welche
dem Militair-Oberbefehl an sich gezogen sind; denn die Erklärung
des Kriegszustandes wirkt nicht nur auf die zur Armee gehörenden,
zum Militair-Gehorsam verpflichteten Personen, sondern sie erstreckt
sich auf die gesammte Verwaltung und sogar auf das Strafrecht
und die Rechtspflege und erzeugt eine tief eingreifende, wenngleich
nur zeitweilige, Veränderung des gesammten Rechtszustandes. Die
Erklärung des Belagerungszustandes ist im Wesentlichen als die
Einführung einer Militairdiktatur zu bezeichnen. Dieselbe
kann sich auf jeden Theil des Bundesgebietes (ausgenommen
Bayern) erstrecken, also nöthigenfalles auch auf das ganze Bundes-
gebiet 3). Die Entscheidung der Vorfrage, ob die öffentliche Sicher-

1) R.V. Art. 68.
2) v. Mohl Reichsstaatsrecht S. 87 wirft diesen "Zweifel" auf um ihn
selbst zu widerlegen. Seine Ausführungen finden sich abgedruckt bei v. Rönne
I S. 82. Vgl. ferner Seydel in Behrend's Zeitschrift f. Deutsche Gesetz-
gebung Bd. VII S. 620.
3) Vgl. v. Mohl S. 88, dessen Ausführungen abgeschrieben sind bei
v. Rönne a. a. O. S. 86.

§. 79. Der Oberbefehl über die bewaffnete Macht des Reiches.
Mobilmachungs-Ordre unterſtellt der König von Bayern zugleich
ſein Kontingent dem Oberbefehl des Kaiſers.

IV. Zu den militairiſchen Rechten des Kaiſers zählt die
Reichsverf. auch die Befugniß deſſelben, wenn die öffentliche Sicher-
heit in dem Bundesgebiete bedroht iſt, einen jeden Theil deſſelben
in Kriegszuſtand zu erklären 1). Dieſe Beſtimmung findet ſich
in dem XI. Abſchnitt der R.V., welcher die Ueberſchrift „Reichs-
kriegsweſen“ trägt, und nach dem Wortlaut der Nordd. Bundes-
verfaſſung war dieſe Befugniß nicht dem Bundespräſidium, ſondern
dem „Bundesfeldherrn“ beigelegt; es iſt alſo kein Zweifel, daß
nach der Verfaſſung dieſes Recht des Kaiſers als ein Ausfluß oder
Beſtandtheil ſeines militairiſchen Oberbefehls aufgefaßt wird. Daraus
iſt aber nicht zu folgern, daß von dieſer Befugniß nur im Kriegs-
falle oder zur Sicherung der öffentlichen Ordnung gegen äußere
Feinde Gebrauch gemacht werden dürfte; denn der Kaiſerl. Ober-
befehl beſteht auch im Frieden und das Militair iſt nicht nur
zum Schutz gegen äußere Feinde, ſondern auch zur Aufrechterhal-
tung des Landfriedens gegen innere Bedrohungen beſtimmt 2).
Ihrem Inhalte nach reicht die im Art. 68 dem Kaiſer eingeräumte
Machtvollkommenheit aber weit über die Gränzen hinaus, welche
dem Militair-Oberbefehl an ſich gezogen ſind; denn die Erklärung
des Kriegszuſtandes wirkt nicht nur auf die zur Armee gehörenden,
zum Militair-Gehorſam verpflichteten Perſonen, ſondern ſie erſtreckt
ſich auf die geſammte Verwaltung und ſogar auf das Strafrecht
und die Rechtspflege und erzeugt eine tief eingreifende, wenngleich
nur zeitweilige, Veränderung des geſammten Rechtszuſtandes. Die
Erklärung des Belagerungszuſtandes iſt im Weſentlichen als die
Einführung einer Militairdiktatur zu bezeichnen. Dieſelbe
kann ſich auf jeden Theil des Bundesgebietes (ausgenommen
Bayern) erſtrecken, alſo nöthigenfalles auch auf das ganze Bundes-
gebiet 3). Die Entſcheidung der Vorfrage, ob die öffentliche Sicher-

1) R.V. Art. 68.
2) v. Mohl Reichsſtaatsrecht S. 87 wirft dieſen „Zweifel“ auf um ihn
ſelbſt zu widerlegen. Seine Ausführungen finden ſich abgedruckt bei v. Rönne
I S. 82. Vgl. ferner Seydel in Behrend’s Zeitſchrift f. Deutſche Geſetz-
gebung Bd. VII S. 620.
3) Vgl. v. Mohl S. 88, deſſen Ausführungen abgeſchrieben ſind bei
v. Rönne a. a. O. S. 86.
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[41/0051] §. 79. Der Oberbefehl über die bewaffnete Macht des Reiches. Mobilmachungs-Ordre unterſtellt der König von Bayern zugleich ſein Kontingent dem Oberbefehl des Kaiſers. IV. Zu den militairiſchen Rechten des Kaiſers zählt die Reichsverf. auch die Befugniß deſſelben, wenn die öffentliche Sicher- heit in dem Bundesgebiete bedroht iſt, einen jeden Theil deſſelben in Kriegszuſtand zu erklären 1). Dieſe Beſtimmung findet ſich in dem XI. Abſchnitt der R.V., welcher die Ueberſchrift „Reichs- kriegsweſen“ trägt, und nach dem Wortlaut der Nordd. Bundes- verfaſſung war dieſe Befugniß nicht dem Bundespräſidium, ſondern dem „Bundesfeldherrn“ beigelegt; es iſt alſo kein Zweifel, daß nach der Verfaſſung dieſes Recht des Kaiſers als ein Ausfluß oder Beſtandtheil ſeines militairiſchen Oberbefehls aufgefaßt wird. Daraus iſt aber nicht zu folgern, daß von dieſer Befugniß nur im Kriegs- falle oder zur Sicherung der öffentlichen Ordnung gegen äußere Feinde Gebrauch gemacht werden dürfte; denn der Kaiſerl. Ober- befehl beſteht auch im Frieden und das Militair iſt nicht nur zum Schutz gegen äußere Feinde, ſondern auch zur Aufrechterhal- tung des Landfriedens gegen innere Bedrohungen beſtimmt 2). Ihrem Inhalte nach reicht die im Art. 68 dem Kaiſer eingeräumte Machtvollkommenheit aber weit über die Gränzen hinaus, welche dem Militair-Oberbefehl an ſich gezogen ſind; denn die Erklärung des Kriegszuſtandes wirkt nicht nur auf die zur Armee gehörenden, zum Militair-Gehorſam verpflichteten Perſonen, ſondern ſie erſtreckt ſich auf die geſammte Verwaltung und ſogar auf das Strafrecht und die Rechtspflege und erzeugt eine tief eingreifende, wenngleich nur zeitweilige, Veränderung des geſammten Rechtszuſtandes. Die Erklärung des Belagerungszuſtandes iſt im Weſentlichen als die Einführung einer Militairdiktatur zu bezeichnen. Dieſelbe kann ſich auf jeden Theil des Bundesgebietes (ausgenommen Bayern) erſtrecken, alſo nöthigenfalles auch auf das ganze Bundes- gebiet 3). Die Entſcheidung der Vorfrage, ob die öffentliche Sicher- 1) R.V. Art. 68. 2) v. Mohl Reichsſtaatsrecht S. 87 wirft dieſen „Zweifel“ auf um ihn ſelbſt zu widerlegen. Seine Ausführungen finden ſich abgedruckt bei v. Rönne I S. 82. Vgl. ferner Seydel in Behrend’s Zeitſchrift f. Deutſche Geſetz- gebung Bd. VII S. 620. 3) Vgl. v. Mohl S. 88, deſſen Ausführungen abgeſchrieben ſind bei v. Rönne a. a. O. S. 86.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 1. Tübingen, 1880, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht0301_1880/51>, abgerufen am 24.11.2024.