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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 1. Tübingen, 1880.

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§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.
§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-
Einrichtungen.
I. Die Militairgesetzgebung.

Zur Zeit der Errichtung des Norddeutschen Bundes hatte
jeder deutsche Staat sein besonderes Militairrecht und seine beson-
dere Heeres-Organisation. Diese Vielgestaltigkeit sollte beseitigt
und durch eine einheitliche Regelung ersetzt werden; zu diesem
Zwecke wurden in die Verfassung zwei Sätze aufgenommen, Art. 4,
Ziff. 14 und Art. 61, welche in die Reichsverfassung übergegangen
sind. Die erste dieser Bestimmungen wies dem Bunde die Kompe-
tenz zur Gesetzgebung über das Militairwesen und die Kriegs-
marine ohne jede Beschränkung zu und setzte ihn dadurch in den
Stand, ein vollkommen einheitliches, formell gemein verbindliches,
alle Seiten des Heerwesens vollständig regelndes Militairrecht zu
schaffen. Für die Dauer war diese Befugniß des Bundes zwar völlig
ausreichend und bedurfte keiner Ergänzung; für den Augenblick
aber war sie ungenügend und wirkungslos, da die Herstellung
einer umfassenden Bundes-Militairgesetzgebung ein schwieriges, zeit-
raubendes und von unvorherzusehenden Hindernissen bedrohtes Werk
war. Es war unmöglich, bis zur glücklichen Lösung einer so weit-
reichenden legislatorischen Aufgabe die zahlreichen partikulären
Militairordnungen fortgelten zu lassen. Ueberdies kam es nicht
darauf an, ein wirklich neues Militairrecht zu schaffen und eine
neue Heeres-Einrichtung zu treffen. Man hatte vielmehr in
Preußen eine mustergültige, in Frieden und Krieg bewährte Organi-
sation, eine bis in das feinste Detail ausgebildete und durch eine
langjährige und reiche Praxis erprobte Armee-Verwaltung und
eine in dem Rechtsbewußtsein und in den Lebensverhältnissen des
Volkes sowie in den Traditionen der gesammten Staatsverwaltung
festwurzelnde Militair-Rechtsordnung und Gesetzgebung. Es lag
keine Veranlassung vor, an dieser Ordnung des Heerwesens zu
rütteln oder sie in Frage zu stellen 1); was für den weitaus größten

1) Der Gefahr, daß durch übereinstimmende Mehrheitsbeschlüsse des Bundes-
rathes und Reichstages die Preußischen Militairgesetze und Einrichtungen gegen
den Willen Preußens Veränderungen erlitten, wurde dadurch vorgebeugt, daß
im Art. 5 Abs. 2 der B.Verf. dem Präsidium d. h. dem König von Preußen
ein Veto eingeräumt wurde. Vgl. Bd. I S. 280. Bd. II S. 36.
§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.
§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-
Einrichtungen.
I. Die Militairgeſetzgebung.

Zur Zeit der Errichtung des Norddeutſchen Bundes hatte
jeder deutſche Staat ſein beſonderes Militairrecht und ſeine beſon-
dere Heeres-Organiſation. Dieſe Vielgeſtaltigkeit ſollte beſeitigt
und durch eine einheitliche Regelung erſetzt werden; zu dieſem
Zwecke wurden in die Verfaſſung zwei Sätze aufgenommen, Art. 4,
Ziff. 14 und Art. 61, welche in die Reichsverfaſſung übergegangen
ſind. Die erſte dieſer Beſtimmungen wies dem Bunde die Kompe-
tenz zur Geſetzgebung über das Militairweſen und die Kriegs-
marine ohne jede Beſchränkung zu und ſetzte ihn dadurch in den
Stand, ein vollkommen einheitliches, formell gemein verbindliches,
alle Seiten des Heerweſens vollſtändig regelndes Militairrecht zu
ſchaffen. Für die Dauer war dieſe Befugniß des Bundes zwar völlig
ausreichend und bedurfte keiner Ergänzung; für den Augenblick
aber war ſie ungenügend und wirkungslos, da die Herſtellung
einer umfaſſenden Bundes-Militairgeſetzgebung ein ſchwieriges, zeit-
raubendes und von unvorherzuſehenden Hinderniſſen bedrohtes Werk
war. Es war unmöglich, bis zur glücklichen Löſung einer ſo weit-
reichenden legislatoriſchen Aufgabe die zahlreichen partikulären
Militairordnungen fortgelten zu laſſen. Ueberdies kam es nicht
darauf an, ein wirklich neues Militairrecht zu ſchaffen und eine
neue Heeres-Einrichtung zu treffen. Man hatte vielmehr in
Preußen eine muſtergültige, in Frieden und Krieg bewährte Organi-
ſation, eine bis in das feinſte Detail ausgebildete und durch eine
langjährige und reiche Praxis erprobte Armee-Verwaltung und
eine in dem Rechtsbewußtſein und in den Lebensverhältniſſen des
Volkes ſowie in den Traditionen der geſammten Staatsverwaltung
feſtwurzelnde Militair-Rechtsordnung und Geſetzgebung. Es lag
keine Veranlaſſung vor, an dieſer Ordnung des Heerweſens zu
rütteln oder ſie in Frage zu ſtellen 1); was für den weitaus größten

1) Der Gefahr, daß durch übereinſtimmende Mehrheitsbeſchlüſſe des Bundes-
rathes und Reichstages die Preußiſchen Militairgeſetze und Einrichtungen gegen
den Willen Preußens Veränderungen erlitten, wurde dadurch vorgebeugt, daß
im Art. 5 Abſ. 2 der B.Verf. dem Präſidium d. h. dem König von Preußen
ein Veto eingeräumt wurde. Vgl. Bd. I S. 280. Bd. II S. 36.
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[12/0022] §. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen. §. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres- Einrichtungen. I. Die Militairgeſetzgebung. Zur Zeit der Errichtung des Norddeutſchen Bundes hatte jeder deutſche Staat ſein beſonderes Militairrecht und ſeine beſon- dere Heeres-Organiſation. Dieſe Vielgeſtaltigkeit ſollte beſeitigt und durch eine einheitliche Regelung erſetzt werden; zu dieſem Zwecke wurden in die Verfaſſung zwei Sätze aufgenommen, Art. 4, Ziff. 14 und Art. 61, welche in die Reichsverfaſſung übergegangen ſind. Die erſte dieſer Beſtimmungen wies dem Bunde die Kompe- tenz zur Geſetzgebung über das Militairweſen und die Kriegs- marine ohne jede Beſchränkung zu und ſetzte ihn dadurch in den Stand, ein vollkommen einheitliches, formell gemein verbindliches, alle Seiten des Heerweſens vollſtändig regelndes Militairrecht zu ſchaffen. Für die Dauer war dieſe Befugniß des Bundes zwar völlig ausreichend und bedurfte keiner Ergänzung; für den Augenblick aber war ſie ungenügend und wirkungslos, da die Herſtellung einer umfaſſenden Bundes-Militairgeſetzgebung ein ſchwieriges, zeit- raubendes und von unvorherzuſehenden Hinderniſſen bedrohtes Werk war. Es war unmöglich, bis zur glücklichen Löſung einer ſo weit- reichenden legislatoriſchen Aufgabe die zahlreichen partikulären Militairordnungen fortgelten zu laſſen. Ueberdies kam es nicht darauf an, ein wirklich neues Militairrecht zu ſchaffen und eine neue Heeres-Einrichtung zu treffen. Man hatte vielmehr in Preußen eine muſtergültige, in Frieden und Krieg bewährte Organi- ſation, eine bis in das feinſte Detail ausgebildete und durch eine langjährige und reiche Praxis erprobte Armee-Verwaltung und eine in dem Rechtsbewußtſein und in den Lebensverhältniſſen des Volkes ſowie in den Traditionen der geſammten Staatsverwaltung feſtwurzelnde Militair-Rechtsordnung und Geſetzgebung. Es lag keine Veranlaſſung vor, an dieſer Ordnung des Heerweſens zu rütteln oder ſie in Frage zu ſtellen 1); was für den weitaus größten 1) Der Gefahr, daß durch übereinſtimmende Mehrheitsbeſchlüſſe des Bundes- rathes und Reichstages die Preußiſchen Militairgeſetze und Einrichtungen gegen den Willen Preußens Veränderungen erlitten, wurde dadurch vorgebeugt, daß im Art. 5 Abſ. 2 der B.Verf. dem Präſidium d. h. dem König von Preußen ein Veto eingeräumt wurde. Vgl. Bd. I S. 280. Bd. II S. 36.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 1. Tübingen, 1880, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht0301_1880/22>, abgerufen am 23.04.2024.