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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 1. Tübingen, 1880.

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§. 88. Die gesetzliche Wehrpflicht.
schiedenheit, die trotz der formell-juristischen Gleichartigkeit zwischen
der Reservepflicht und der Landwehrpflicht besteht und zu ihrer
scharfen Unterscheidung im Art. 59 der R.V., sowie in §§. 6 und 7
des Wehrgesetzes Anlaß gegeben hat; denn die Linientruppen des
stehenden Heeres finden im Falle eines Krieges in erster Reihe
Verwendung, während die besonders formirten Landwehr-Truppen-
körper nach ausdrücklicher Anordnung des Wehrgesetzes "zur Ver-
theidigung des Vaterlandes als Reserve für das stehende Heer
verwandt werden sollen." Im Frieden befinden sich die Personen
der Reserve und Landwehr als "Beurlaubte" im gemeinsamen
Gegensatz zu den Personen des aktiven Heeres und bilden zu-
sammen eine fast gleichartige Klasse der Wehrpflichtigen; im Kriege
wächst die Reserve-Mannschaft den Truppenkörpern der Linie zu
und bildet gemeinsam mit der bei denselben ihre Dienstpflicht er-
füllenden Mannschaft als "stehendes Heer" einen gemeinsamen
Gegensatz zu der Landwehr. Der Gegensatz beruht aber -- wie
bemerkt -- nicht auf einer juristischen Verschiedenheit in der Nor-
mirung der Dienstpflicht, sondern auf einer militairisch-technischen
Verschiedenheit in der Ausnützung derselben. Der Unterschied ist
daher auch nicht streng innegehalten. Zunächst fällt bei den Spe-
zialwaffen die Bildung besonderer Landwehr-Truppenkörper ganz
fort; die Landwehrmannschaften derselben werden nach Maßgabe
des Bedarfs zu den Fahnen des stehenden Heeres einberufen;
ebenso die Seewehrmannschaften zur Flotte 1). Sodann können die
Mannschaften des jüngsten Jahrganges der Landwehr-Infanterie
bei Mobilmachungen erforderlichenfalls auch in Ersatz-Truppentheile
eingestellt werden 2). Endlich können im Kriege die zu den Land-
wehr-Regimentern einberufenen Mannschaften auch in Truppen-
körpern der Linie zur Verwendung gelangen 3) und ein Uebertritt
vom stehenden Heere (Reserve) zur Landwehr findet während der
Dauer einer Mobilmachung nicht statt 4).

d) Personen des Beurlaubtenstandes, welche ein geistliches

1) Wehrges. §. 5 Abs. 5. Siehe oben §§. 84. 87 I.
2) Wehrges. §. 5 Abs. 3.
3) Vgl. den Kommissionsbericht des Reichstages zu §. 5 Abs. 3 des Wehr-
gesetzes. (Drucksachen 1867 Nro. 96), sowie den Kommissionsbericht zum Land-
sturmgesetz. (Drucksachen II Session 1874 Nro. 70 S. 9 fg.)
4) Wehrges. §. 14. Wehr-Ordn. I §. 18.

§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
ſchiedenheit, die trotz der formell-juriſtiſchen Gleichartigkeit zwiſchen
der Reſervepflicht und der Landwehrpflicht beſteht und zu ihrer
ſcharfen Unterſcheidung im Art. 59 der R.V., ſowie in §§. 6 und 7
des Wehrgeſetzes Anlaß gegeben hat; denn die Linientruppen des
ſtehenden Heeres finden im Falle eines Krieges in erſter Reihe
Verwendung, während die beſonders formirten Landwehr-Truppen-
körper nach ausdrücklicher Anordnung des Wehrgeſetzes „zur Ver-
theidigung des Vaterlandes als Reſerve für das ſtehende Heer
verwandt werden ſollen.“ Im Frieden befinden ſich die Perſonen
der Reſerve und Landwehr als „Beurlaubte“ im gemeinſamen
Gegenſatz zu den Perſonen des aktiven Heeres und bilden zu-
ſammen eine faſt gleichartige Klaſſe der Wehrpflichtigen; im Kriege
wächſt die Reſerve-Mannſchaft den Truppenkörpern der Linie zu
und bildet gemeinſam mit der bei denſelben ihre Dienſtpflicht er-
füllenden Mannſchaft als „ſtehendes Heer“ einen gemeinſamen
Gegenſatz zu der Landwehr. Der Gegenſatz beruht aber — wie
bemerkt — nicht auf einer juriſtiſchen Verſchiedenheit in der Nor-
mirung der Dienſtpflicht, ſondern auf einer militairiſch-techniſchen
Verſchiedenheit in der Ausnützung derſelben. Der Unterſchied iſt
daher auch nicht ſtreng innegehalten. Zunächſt fällt bei den Spe-
zialwaffen die Bildung beſonderer Landwehr-Truppenkörper ganz
fort; die Landwehrmannſchaften derſelben werden nach Maßgabe
des Bedarfs zu den Fahnen des ſtehenden Heeres einberufen;
ebenſo die Seewehrmannſchaften zur Flotte 1). Sodann können die
Mannſchaften des jüngſten Jahrganges der Landwehr-Infanterie
bei Mobilmachungen erforderlichenfalls auch in Erſatz-Truppentheile
eingeſtellt werden 2). Endlich können im Kriege die zu den Land-
wehr-Regimentern einberufenen Mannſchaften auch in Truppen-
körpern der Linie zur Verwendung gelangen 3) und ein Uebertritt
vom ſtehenden Heere (Reſerve) zur Landwehr findet während der
Dauer einer Mobilmachung nicht ſtatt 4).

d) Perſonen des Beurlaubtenſtandes, welche ein geiſtliches

1) Wehrgeſ. §. 5 Abſ. 5. Siehe oben §§. 84. 87 I.
2) Wehrgeſ. §. 5 Abſ. 3.
3) Vgl. den Kommiſſionsbericht des Reichstages zu §. 5 Abſ. 3 des Wehr-
geſetzes. (Druckſachen 1867 Nro. 96), ſowie den Kommiſſionsbericht zum Land-
ſturmgeſetz. (Druckſachen II Seſſion 1874 Nro. 70 S. 9 fg.)
4) Wehrgeſ. §. 14. Wehr-Ordn. I §. 18.
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[187/0197] §. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht. ſchiedenheit, die trotz der formell-juriſtiſchen Gleichartigkeit zwiſchen der Reſervepflicht und der Landwehrpflicht beſteht und zu ihrer ſcharfen Unterſcheidung im Art. 59 der R.V., ſowie in §§. 6 und 7 des Wehrgeſetzes Anlaß gegeben hat; denn die Linientruppen des ſtehenden Heeres finden im Falle eines Krieges in erſter Reihe Verwendung, während die beſonders formirten Landwehr-Truppen- körper nach ausdrücklicher Anordnung des Wehrgeſetzes „zur Ver- theidigung des Vaterlandes als Reſerve für das ſtehende Heer verwandt werden ſollen.“ Im Frieden befinden ſich die Perſonen der Reſerve und Landwehr als „Beurlaubte“ im gemeinſamen Gegenſatz zu den Perſonen des aktiven Heeres und bilden zu- ſammen eine faſt gleichartige Klaſſe der Wehrpflichtigen; im Kriege wächſt die Reſerve-Mannſchaft den Truppenkörpern der Linie zu und bildet gemeinſam mit der bei denſelben ihre Dienſtpflicht er- füllenden Mannſchaft als „ſtehendes Heer“ einen gemeinſamen Gegenſatz zu der Landwehr. Der Gegenſatz beruht aber — wie bemerkt — nicht auf einer juriſtiſchen Verſchiedenheit in der Nor- mirung der Dienſtpflicht, ſondern auf einer militairiſch-techniſchen Verſchiedenheit in der Ausnützung derſelben. Der Unterſchied iſt daher auch nicht ſtreng innegehalten. Zunächſt fällt bei den Spe- zialwaffen die Bildung beſonderer Landwehr-Truppenkörper ganz fort; die Landwehrmannſchaften derſelben werden nach Maßgabe des Bedarfs zu den Fahnen des ſtehenden Heeres einberufen; ebenſo die Seewehrmannſchaften zur Flotte 1). Sodann können die Mannſchaften des jüngſten Jahrganges der Landwehr-Infanterie bei Mobilmachungen erforderlichenfalls auch in Erſatz-Truppentheile eingeſtellt werden 2). Endlich können im Kriege die zu den Land- wehr-Regimentern einberufenen Mannſchaften auch in Truppen- körpern der Linie zur Verwendung gelangen 3) und ein Uebertritt vom ſtehenden Heere (Reſerve) zur Landwehr findet während der Dauer einer Mobilmachung nicht ſtatt 4). d) Perſonen des Beurlaubtenſtandes, welche ein geiſtliches 1) Wehrgeſ. §. 5 Abſ. 5. Siehe oben §§. 84. 87 I. 2) Wehrgeſ. §. 5 Abſ. 3. 3) Vgl. den Kommiſſionsbericht des Reichstages zu §. 5 Abſ. 3 des Wehr- geſetzes. (Druckſachen 1867 Nro. 96), ſowie den Kommiſſionsbericht zum Land- ſturmgeſetz. (Druckſachen II Seſſion 1874 Nro. 70 S. 9 fg.) 4) Wehrgeſ. §. 14. Wehr-Ordn. I §. 18.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 1. Tübingen, 1880, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht0301_1880/197>, abgerufen am 24.11.2024.