Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877.§. 57. Der Weg der Gesetzgebung nach der Reichsverfassung. henden Gesetze und Einrichtungen bestimmt wird; fast jedes Gesetzdaher eine Veränderung der Verfassung in diesem Sinne bewirken würde. Auch der Art. 107 der Preuß. Verf.-Urk., welcher in ähnlicher Weise wie Art. 78 Abs. 1 der R.-V. von der Abände- rung der Verfassung auf dem Wege der Gesetzgebung spricht, ist niemals anders ausgelegt worden, als daß das Wort Verfassung gleichbedeutend mit Verfassungs-Urkunde ist 1). Ebenso unzweifelhaft ist es, daß alle in gesetzlichem Wege er- Dagegen bedarf eine andere Frage noch einer näheren Unter- Ein solches Gesetz kann selbstverständlich nur die Sanction 1) Vgl. v. Rönne, Staatsr. der Preuß. Monarchie I. 2 §. 187. VI. S. 617 fg. 2) Dies sind zur Zeit die oben Bd. I. S. 51. 52 aufgeführten Gesetze. 3) Eine ausführliche, aber verwirrte und unlogische Abhandlung über die
rechtliche Bedeutung verfassungswidriger Gesetze enthält v. Mohl's Staatsr. Völkerr. und Politik. Bd. I. S. 66 ff. §. 57. Der Weg der Geſetzgebung nach der Reichsverfaſſung. henden Geſetze und Einrichtungen beſtimmt wird; faſt jedes Geſetzdaher eine Veränderung der Verfaſſung in dieſem Sinne bewirken würde. Auch der Art. 107 der Preuß. Verf.-Urk., welcher in ähnlicher Weiſe wie Art. 78 Abſ. 1 der R.-V. von der Abände- rung der Verfaſſung auf dem Wege der Geſetzgebung ſpricht, iſt niemals anders ausgelegt worden, als daß das Wort Verfaſſung gleichbedeutend mit Verfaſſungs-Urkunde iſt 1). Ebenſo unzweifelhaft iſt es, daß alle in geſetzlichem Wege er- Dagegen bedarf eine andere Frage noch einer näheren Unter- Ein ſolches Geſetz kann ſelbſtverſtändlich nur die Sanction 1) Vgl. v. Rönne, Staatsr. der Preuß. Monarchie I. 2 §. 187. VI. S. 617 fg. 2) Dies ſind zur Zeit die oben Bd. I. S. 51. 52 aufgeführten Geſetze. 3) Eine ausführliche, aber verwirrte und unlogiſche Abhandlung über die
rechtliche Bedeutung verfaſſungswidriger Geſetze enthält v. Mohl’s Staatsr. Völkerr. und Politik. Bd. I. S. 66 ff. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0051" n="37"/><fw place="top" type="header">§. 57. Der Weg der Geſetzgebung nach der Reichsverfaſſung.</fw><lb/> henden Geſetze und Einrichtungen beſtimmt wird; faſt jedes Geſetz<lb/> daher eine Veränderung der Verfaſſung in dieſem Sinne bewirken<lb/> würde. Auch der Art. 107 der Preuß. Verf.-Urk., welcher in<lb/> ähnlicher Weiſe wie Art. 78 Abſ. 1 der R.-V. von der Abände-<lb/> rung der Verfaſſung auf dem Wege der Geſetzgebung ſpricht, iſt<lb/> niemals anders ausgelegt worden, als daß das Wort Verfaſſung<lb/> gleichbedeutend mit Verfaſſungs-Urkunde iſt <note place="foot" n="1)">Vgl. v. <hi rendition="#g">Rönne</hi>, Staatsr. der Preuß. Monarchie <hi rendition="#aq">I.</hi> 2 §. 187. <hi rendition="#aq">VI.</hi><lb/> S. 617 fg.</note>.</p><lb/> <p>Ebenſo unzweifelhaft iſt es, daß alle in geſetzlichem Wege er-<lb/> folgten Veränderungen der Verfaſſungs-<hi rendition="#g">Urkunde</hi> ebenfalls nur<lb/> geändert werden können unter Beobachtung der im Art. 78 Abſ. 1<lb/> aufgeſtellten Regel <note place="foot" n="2)">Dies ſind zur Zeit die oben Bd. <hi rendition="#aq">I.</hi> S. 51. 52 aufgeführten Geſetze.</note>.</p><lb/> <p>Dagegen bedarf eine andere Frage noch einer näheren Unter-<lb/> ſuchung. Es kann nämlich vorkommen, daß ein Geſetz erlaſſen<lb/> werden ſoll, welches formell den Wortlaut der Verfaſſungs-Urkunde<lb/> unverändert läßt, materiell aber eine Abänderung ihres Inhaltes<lb/> bewirkt, welches alſo, wie man zu ſagen pflegt, „materiell ver-<lb/> faſſungswidrig“ iſt <note place="foot" n="3)">Eine ausführliche, aber verwirrte und unlogiſche Abhandlung über die<lb/> rechtliche Bedeutung verfaſſungswidriger Geſetze enthält v. <hi rendition="#g">Mohl’s</hi> Staatsr.<lb/> Völkerr. und Politik. Bd. <hi rendition="#aq">I.</hi> S. 66 ff.</note>.</p><lb/> <p>Ein ſolches Geſetz kann ſelbſtverſtändlich nur die Sanction<lb/> erhalten, wenn ſich im Bundesrath nicht 14 Stimmen gegen die-<lb/> ſelbe erklären, da ſonſt die Beſtimmung des Art. 78 Abſ. 1 eine<lb/> völlig wirkungsloſe und illuſoriſche wäre. Es iſt ferner unbedenk-<lb/> lich anzuerkennen, daß das korrekte Verfahren darin beſteht, daß<lb/> zunächſt der Wortlaut der Verfaſſung entſprechend verändert und<lb/> alsdann erſt das beabſichtigte Specialgeſetz erlaſſen wird, damit<lb/> die Harmonie zwiſchen den in der Verfaſſung formulirten Prin-<lb/> zipien und den Geſetzgebungs-Akten des Reiches nicht geſtört wird.<lb/> Auch ſind die politiſchen Nachtheile unverkennbar, welche die Durch-<lb/> löcherung der Verfaſſungsſätze durch gelegentliche Specialgeſetze im<lb/> Gefolge hat. Alles dies iſt aber nicht entſcheidend für die Be-<lb/> antwortung der Rechtsfrage, ob nach allgemeinen Rechtsgrundſätzen<lb/> oder nach den Anordnnngen der deutſchen Reichsverfaſſung der<lb/> Erlaß von Spezialgeſetzen, welche dem Wortlaut der Verfaſſung<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [37/0051]
§. 57. Der Weg der Geſetzgebung nach der Reichsverfaſſung.
henden Geſetze und Einrichtungen beſtimmt wird; faſt jedes Geſetz
daher eine Veränderung der Verfaſſung in dieſem Sinne bewirken
würde. Auch der Art. 107 der Preuß. Verf.-Urk., welcher in
ähnlicher Weiſe wie Art. 78 Abſ. 1 der R.-V. von der Abände-
rung der Verfaſſung auf dem Wege der Geſetzgebung ſpricht, iſt
niemals anders ausgelegt worden, als daß das Wort Verfaſſung
gleichbedeutend mit Verfaſſungs-Urkunde iſt 1).
Ebenſo unzweifelhaft iſt es, daß alle in geſetzlichem Wege er-
folgten Veränderungen der Verfaſſungs-Urkunde ebenfalls nur
geändert werden können unter Beobachtung der im Art. 78 Abſ. 1
aufgeſtellten Regel 2).
Dagegen bedarf eine andere Frage noch einer näheren Unter-
ſuchung. Es kann nämlich vorkommen, daß ein Geſetz erlaſſen
werden ſoll, welches formell den Wortlaut der Verfaſſungs-Urkunde
unverändert läßt, materiell aber eine Abänderung ihres Inhaltes
bewirkt, welches alſo, wie man zu ſagen pflegt, „materiell ver-
faſſungswidrig“ iſt 3).
Ein ſolches Geſetz kann ſelbſtverſtändlich nur die Sanction
erhalten, wenn ſich im Bundesrath nicht 14 Stimmen gegen die-
ſelbe erklären, da ſonſt die Beſtimmung des Art. 78 Abſ. 1 eine
völlig wirkungsloſe und illuſoriſche wäre. Es iſt ferner unbedenk-
lich anzuerkennen, daß das korrekte Verfahren darin beſteht, daß
zunächſt der Wortlaut der Verfaſſung entſprechend verändert und
alsdann erſt das beabſichtigte Specialgeſetz erlaſſen wird, damit
die Harmonie zwiſchen den in der Verfaſſung formulirten Prin-
zipien und den Geſetzgebungs-Akten des Reiches nicht geſtört wird.
Auch ſind die politiſchen Nachtheile unverkennbar, welche die Durch-
löcherung der Verfaſſungsſätze durch gelegentliche Specialgeſetze im
Gefolge hat. Alles dies iſt aber nicht entſcheidend für die Be-
antwortung der Rechtsfrage, ob nach allgemeinen Rechtsgrundſätzen
oder nach den Anordnnngen der deutſchen Reichsverfaſſung der
Erlaß von Spezialgeſetzen, welche dem Wortlaut der Verfaſſung
1) Vgl. v. Rönne, Staatsr. der Preuß. Monarchie I. 2 §. 187. VI.
S. 617 fg.
2) Dies ſind zur Zeit die oben Bd. I. S. 51. 52 aufgeführten Geſetze.
3) Eine ausführliche, aber verwirrte und unlogiſche Abhandlung über die
rechtliche Bedeutung verfaſſungswidriger Geſetze enthält v. Mohl’s Staatsr.
Völkerr. und Politik. Bd. I. S. 66 ff.
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