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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877.

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§. 76. Die Verwaltung des Gewerbewesens.
und Steuermanns-Prüfungen sind auf Grund der vom Bundesrath ge-
faßten Beschlüsse durch die Bekanntmachung vom 30. Mai 1870 publi-
zirt worden 1). Darnach wird eine Prüfungs-Kommission am Sitze je-
der öffentlichen Navigationsschule von der Landesregierung einge-
setzt2); das Prüfungswesen wird aber von Reichswegen beaufsichtigt ver-
mittelst Prüfungs-Inspektoren, welche der Reichskanzler nach An-
hörung des Bundesraths-Ausschusses für Handel und Verkehr bestellt3).

Die Befugniß zur Ausübung des Gewerbes kann einem deutschen
Schiffer oder Steuermann entzogen werden durch den Spruch
eines Seeamtes oder des Ober-Seeamtes 4). Die Seeämter sind Lan-
desbehörden, deren Errichtung und Beaufsichtigung den Einzelstaaten
zusteht; die Abgrenzung ihrer Bezirke aber erfolgt durch den Bun-
desrath und die Oberaufsicht über die Seeämter führt das Reich 5).

Die Aufgabe des Seeamtes besteht in der Unter-
suchung von Seeunfällen deutscher Kauffahrteischiffe und von See-
unfällen, welche ausländische Kauffahrteischiffe innerhalb der deut-
schen Küstengewässer betroffen haben oder deren Untersuchung
vom Reichskanzler angeordnet worden ist 6). Durch die Unter-
suchung sollen die Ursachen des Seeunfalles, sowie alle mit den-
selben zusammenhängenden Thatumstände ermittelt werden; insbe-
sondere ob der Schiffer oder der Steuermann durch Handlungen
oder Unterlassungen den Unfall oder dessen Folgen verschuldet
hat 7). Das Seeamt bildet eine kollegiale Behörde und besteht
aus einem Vorsitzenden, der die Fähigkeit zum Richteramt haben
muß, und aus vier Beisitzern, von denen mindestens zwei die Be-
fähigung als Seeschiffer besitzen und als solche gefahren haben 8).

1) B.-G.-Bl. 1870 S. 314 ff.
2) Das Verzeichniß der Kommissionen wird im Centralbl. des Deutschen R.
bekannt gemacht; vgl. z. B. 1877 S. 105; ebenso der Beginn der Prüfungen.
3) Vgl. über die Befugnisse deselben Bd. I. S. 322 fg.
4) Reichsgesetz, betreffend die Untersuchung von See-
unfällen
, vom 27. Juli 1877 §. 26. 29. (R.-G.-Bl. S. 554. 555.) Das
Gesetz tritt am 1. Januar 1878 in Kraft. Motive Drucks. des Reichstages
1877 Bd. I. Nro. 4. Kommissionsbericht ebendas. Nro. 95. Ver-
handlungen
Stenogr. Berichte S. 16. 864 fg. 877 fg.
5) §. 6 a. a. O. Streitigkeiten oder Zweifel über die Zuständigkeit der
einzelnen Seeämter entscheidet das Reichskanzler-Amt. §. 5 Abs. 3.
6) R.-G. §. 1 bis 3.
7) a. a. O. §. 4 Z. 1
8) Die näheren Vorschriften über die Bildung und Zusammensetzung des

§. 76. Die Verwaltung des Gewerbeweſens.
und Steuermanns-Prüfungen ſind auf Grund der vom Bundesrath ge-
faßten Beſchlüſſe durch die Bekanntmachung vom 30. Mai 1870 publi-
zirt worden 1). Darnach wird eine Prüfungs-Kommiſſion am Sitze je-
der öffentlichen Navigationsſchule von der Landesregierung einge-
ſetzt2); das Prüfungsweſen wird aber von Reichswegen beaufſichtigt ver-
mittelſt Prüfungs-Inſpektoren, welche der Reichskanzler nach An-
hörung des Bundesraths-Ausſchuſſes für Handel und Verkehr beſtellt3).

Die Befugniß zur Ausübung des Gewerbes kann einem deutſchen
Schiffer oder Steuermann entzogen werden durch den Spruch
eines Seeamtes oder des Ober-Seeamtes 4). Die Seeämter ſind Lan-
desbehörden, deren Errichtung und Beaufſichtigung den Einzelſtaaten
zuſteht; die Abgrenzung ihrer Bezirke aber erfolgt durch den Bun-
desrath und die Oberaufſicht über die Seeämter führt das Reich 5).

Die Aufgabe des Seeamtes beſteht in der Unter-
ſuchung von Seeunfällen deutſcher Kauffahrteiſchiffe und von See-
unfällen, welche ausländiſche Kauffahrteiſchiffe innerhalb der deut-
ſchen Küſtengewäſſer betroffen haben oder deren Unterſuchung
vom Reichskanzler angeordnet worden iſt 6). Durch die Unter-
ſuchung ſollen die Urſachen des Seeunfalles, ſowie alle mit den-
ſelben zuſammenhängenden Thatumſtände ermittelt werden; insbe-
ſondere ob der Schiffer oder der Steuermann durch Handlungen
oder Unterlaſſungen den Unfall oder deſſen Folgen verſchuldet
hat 7). Das Seeamt bildet eine kollegiale Behörde und beſteht
aus einem Vorſitzenden, der die Fähigkeit zum Richteramt haben
muß, und aus vier Beiſitzern, von denen mindeſtens zwei die Be-
fähigung als Seeſchiffer beſitzen und als ſolche gefahren haben 8).

1) B.-G.-Bl. 1870 S. 314 ff.
2) Das Verzeichniß der Kommiſſionen wird im Centralbl. des Deutſchen R.
bekannt gemacht; vgl. z. B. 1877 S. 105; ebenſo der Beginn der Prüfungen.
3) Vgl. über die Befugniſſe deſelben Bd. I. S. 322 fg.
4) Reichsgeſetz, betreffend die Unterſuchung von See-
unfällen
, vom 27. Juli 1877 §. 26. 29. (R.-G.-Bl. S. 554. 555.) Das
Geſetz tritt am 1. Januar 1878 in Kraft. Motive Druckſ. des Reichstages
1877 Bd. I. Nro. 4. Kommiſſionsbericht ebendaſ. Nro. 95. Ver-
handlungen
Stenogr. Berichte S. 16. 864 fg. 877 fg.
5) §. 6 a. a. O. Streitigkeiten oder Zweifel über die Zuſtändigkeit der
einzelnen Seeämter entſcheidet das Reichskanzler-Amt. §. 5 Abſ. 3.
6) R.-G. §. 1 bis 3.
7) a. a. O. §. 4 Z. 1
8) Die näheren Vorſchriften über die Bildung und Zuſammenſetzung des
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[464/0478] §. 76. Die Verwaltung des Gewerbeweſens. und Steuermanns-Prüfungen ſind auf Grund der vom Bundesrath ge- faßten Beſchlüſſe durch die Bekanntmachung vom 30. Mai 1870 publi- zirt worden 1). Darnach wird eine Prüfungs-Kommiſſion am Sitze je- der öffentlichen Navigationsſchule von der Landesregierung einge- ſetzt 2); das Prüfungsweſen wird aber von Reichswegen beaufſichtigt ver- mittelſt Prüfungs-Inſpektoren, welche der Reichskanzler nach An- hörung des Bundesraths-Ausſchuſſes für Handel und Verkehr beſtellt 3). Die Befugniß zur Ausübung des Gewerbes kann einem deutſchen Schiffer oder Steuermann entzogen werden durch den Spruch eines Seeamtes oder des Ober-Seeamtes 4). Die Seeämter ſind Lan- desbehörden, deren Errichtung und Beaufſichtigung den Einzelſtaaten zuſteht; die Abgrenzung ihrer Bezirke aber erfolgt durch den Bun- desrath und die Oberaufſicht über die Seeämter führt das Reich 5). Die Aufgabe des Seeamtes beſteht in der Unter- ſuchung von Seeunfällen deutſcher Kauffahrteiſchiffe und von See- unfällen, welche ausländiſche Kauffahrteiſchiffe innerhalb der deut- ſchen Küſtengewäſſer betroffen haben oder deren Unterſuchung vom Reichskanzler angeordnet worden iſt 6). Durch die Unter- ſuchung ſollen die Urſachen des Seeunfalles, ſowie alle mit den- ſelben zuſammenhängenden Thatumſtände ermittelt werden; insbe- ſondere ob der Schiffer oder der Steuermann durch Handlungen oder Unterlaſſungen den Unfall oder deſſen Folgen verſchuldet hat 7). Das Seeamt bildet eine kollegiale Behörde und beſteht aus einem Vorſitzenden, der die Fähigkeit zum Richteramt haben muß, und aus vier Beiſitzern, von denen mindeſtens zwei die Be- fähigung als Seeſchiffer beſitzen und als ſolche gefahren haben 8). 1) B.-G.-Bl. 1870 S. 314 ff. 2) Das Verzeichniß der Kommiſſionen wird im Centralbl. des Deutſchen R. bekannt gemacht; vgl. z. B. 1877 S. 105; ebenſo der Beginn der Prüfungen. 3) Vgl. über die Befugniſſe deſelben Bd. I. S. 322 fg. 4) Reichsgeſetz, betreffend die Unterſuchung von See- unfällen, vom 27. Juli 1877 §. 26. 29. (R.-G.-Bl. S. 554. 555.) Das Geſetz tritt am 1. Januar 1878 in Kraft. Motive Druckſ. des Reichstages 1877 Bd. I. Nro. 4. Kommiſſionsbericht ebendaſ. Nro. 95. Ver- handlungen Stenogr. Berichte S. 16. 864 fg. 877 fg. 5) §. 6 a. a. O. Streitigkeiten oder Zweifel über die Zuſtändigkeit der einzelnen Seeämter entſcheidet das Reichskanzler-Amt. §. 5 Abſ. 3. 6) R.-G. §. 1 bis 3. 7) a. a. O. §. 4 Z. 1 8) Die näheren Vorſchriften über die Bildung und Zuſammenſetzung des

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877, S. 464. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878/478>, abgerufen am 26.06.2024.