Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877.

Bild:
<< vorherige Seite

§. 72. Die Verwaltung des Eisenbahnwesens.
und in Ermangelung derselben die Vorschriften des bürgerlichen
Rechts zur Anwendung. Der Bundesrath kann das Handels-
gesetzbuch weder abändern noch ergänzen, und ebenso wenig ist hier-
zu der Minister eines Einzelstaates oder die Verwaltung einer
Eisenbahn im Stande. Das Handelsgesetzbuch enthält aber im
Allgemeinen nur jus dispositivum; es gestattet den Parteien, ihren
Verträgen auch einen anderen Inhalt zu geben. Diese Befugniß
haben auch die Betriebs-Unternehmer von Eisenbahnen, wenngleich
nicht in demselben Maße und mit derselben Freiheit wie andere
Frachtführer. Das Betriebs-Reglement stellt die Bethätigung dieser
Vertragsfreiheit dar; es enthält die Bedingungen für den Trans-
port von Personen und Gütern, zu deren Vereinbarung die Eisen-
bahn-Betriebsunternehmer (Frachtführer) nach dem H.-G.-B. be-
fugt sind. Hieraus ergeben sich folgende Sätze:

a) Das Betriebs-Reglement hat keine rechtliche Wirksamkeit,
soweit es mit zwingenden Vorschriften des H.-G.-B.'s im Wider-
spruch steht.
b) Auch soweit ein solcher Widerspruch nicht vorhanden ist,
haben die Vorschriften des Betriebs-Reglements nicht die rechtliche
Wirksamkeit von Rechtsregeln, sondern diejenige von Vertrags-
festsetzungen
und sind als solche zu beurtheilen 1).
c) Der Erlaß des Betriebs-Reglements stellt sich juristisch dar
als ein Verwaltungsbefehl an die Eisenbahn-Unternehmer resp.
an die Eisenbahn-Verwaltungen, alle Transportverträge nach den
im Betriebs-Reglement formulirten Bedingungen abschließen 2).

1) Vgl. oben S. 89 Note 2. v. Rönne, Staatsr. II. 1. S. 321 Note 6
freilich meint, das Reglement enthalte "eine weitere Ausführung der Art. 422
--431 des H.-G.-B.'s" und es wolle (?) als gesetzliche Norm an die
Stelle der früher von den Eisenbahnen selbst in ihren Reglements getroffenen
Bestimmungen treten (!).
2) Wenn im einzelnen Falle nach anderen Bedingungen der Vertrag ab-
geschlossen worden ist, sei es ausdrücklich sei es stillschweigend nach dem aus
den Umständen zu entnehmenden Consens, so kann der betreffende Eisenbahn-
beamte resp. die Verwaltung sich der vorgesetzten Instanz gegenüber dadurch
verantwortlich machen, dem Dritten gegenüber ist der Vertrag so zu erfüllen,
wie er in concreto geschlossen worden ist. Ueberdies ist wohl zu beachten,
daß das Betriebs-Reglement die Bahnverwaltungen nicht hindert, dem Publi-
kum günstigere Bedingungen zu gewähren; es schreibt den Bahnverwal-
tungen nur das Minimum der Haftung vor, welches sie übernehmen sollen.

§. 72. Die Verwaltung des Eiſenbahnweſens.
und in Ermangelung derſelben die Vorſchriften des bürgerlichen
Rechts zur Anwendung. Der Bundesrath kann das Handels-
geſetzbuch weder abändern noch ergänzen, und ebenſo wenig iſt hier-
zu der Miniſter eines Einzelſtaates oder die Verwaltung einer
Eiſenbahn im Stande. Das Handelsgeſetzbuch enthält aber im
Allgemeinen nur jus dispositivum; es geſtattet den Parteien, ihren
Verträgen auch einen anderen Inhalt zu geben. Dieſe Befugniß
haben auch die Betriebs-Unternehmer von Eiſenbahnen, wenngleich
nicht in demſelben Maße und mit derſelben Freiheit wie andere
Frachtführer. Das Betriebs-Reglement ſtellt die Bethätigung dieſer
Vertragsfreiheit dar; es enthält die Bedingungen für den Trans-
port von Perſonen und Gütern, zu deren Vereinbarung die Eiſen-
bahn-Betriebsunternehmer (Frachtführer) nach dem H.-G.-B. be-
fugt ſind. Hieraus ergeben ſich folgende Sätze:

a) Das Betriebs-Reglement hat keine rechtliche Wirkſamkeit,
ſoweit es mit zwingenden Vorſchriften des H.-G.-B.’s im Wider-
ſpruch ſteht.
b) Auch ſoweit ein ſolcher Widerſpruch nicht vorhanden iſt,
haben die Vorſchriften des Betriebs-Reglements nicht die rechtliche
Wirkſamkeit von Rechtsregeln, ſondern diejenige von Vertrags-
feſtſetzungen
und ſind als ſolche zu beurtheilen 1).
c) Der Erlaß des Betriebs-Reglements ſtellt ſich juriſtiſch dar
als ein Verwaltungsbefehl an die Eiſenbahn-Unternehmer reſp.
an die Eiſenbahn-Verwaltungen, alle Transportverträge nach den
im Betriebs-Reglement formulirten Bedingungen abſchließen 2).

1) Vgl. oben S. 89 Note 2. v. Rönne, Staatsr. II. 1. S. 321 Note 6
freilich meint, das Reglement enthalte „eine weitere Ausführung der Art. 422
—431 des H.-G.-B.’s“ und es wolle (?) als geſetzliche Norm an die
Stelle der früher von den Eiſenbahnen ſelbſt in ihren Reglements getroffenen
Beſtimmungen treten (!).
2) Wenn im einzelnen Falle nach anderen Bedingungen der Vertrag ab-
geſchloſſen worden iſt, ſei es ausdrücklich ſei es ſtillſchweigend nach dem aus
den Umſtänden zu entnehmenden Conſens, ſo kann der betreffende Eiſenbahn-
beamte reſp. die Verwaltung ſich der vorgeſetzten Inſtanz gegenüber dadurch
verantwortlich machen, dem Dritten gegenüber iſt der Vertrag ſo zu erfüllen,
wie er in concreto geſchloſſen worden iſt. Ueberdies iſt wohl zu beachten,
daß das Betriebs-Reglement die Bahnverwaltungen nicht hindert, dem Publi-
kum günſtigere Bedingungen zu gewähren; es ſchreibt den Bahnverwal-
tungen nur das Minimum der Haftung vor, welches ſie übernehmen ſollen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0388" n="374"/><fw place="top" type="header">§. 72. Die Verwaltung des Ei&#x017F;enbahnwe&#x017F;ens.</fw><lb/>
und in Ermangelung der&#x017F;elben die Vor&#x017F;chriften des bürgerlichen<lb/>
Rechts zur Anwendung. Der <hi rendition="#g">Bundesrath</hi> kann das Handels-<lb/>
ge&#x017F;etzbuch weder abändern noch ergänzen, und eben&#x017F;o wenig i&#x017F;t hier-<lb/>
zu der Mini&#x017F;ter eines Einzel&#x017F;taates oder die Verwaltung einer<lb/>
Ei&#x017F;enbahn im Stande. Das Handelsge&#x017F;etzbuch enthält aber im<lb/>
Allgemeinen nur <hi rendition="#aq">jus dispositivum;</hi> es ge&#x017F;tattet den Parteien, ihren<lb/>
Verträgen auch einen anderen Inhalt zu geben. Die&#x017F;e Befugniß<lb/>
haben auch die Betriebs-Unternehmer von Ei&#x017F;enbahnen, wenngleich<lb/>
nicht in dem&#x017F;elben Maße und mit der&#x017F;elben Freiheit wie andere<lb/>
Frachtführer. Das Betriebs-Reglement &#x017F;tellt die Bethätigung die&#x017F;er<lb/>
Vertragsfreiheit dar; es enthält die Bedingungen für den Trans-<lb/>
port von Per&#x017F;onen und Gütern, zu deren Vereinbarung die Ei&#x017F;en-<lb/>
bahn-Betriebsunternehmer (Frachtführer) nach dem H.-G.-B. be-<lb/>
fugt &#x017F;ind. Hieraus ergeben &#x017F;ich folgende Sätze:</p><lb/>
            <list>
              <item><hi rendition="#aq">a</hi>) Das Betriebs-Reglement hat <hi rendition="#g">keine</hi> rechtliche Wirk&#x017F;amkeit,<lb/>
&#x017F;oweit es mit <hi rendition="#g">zwingenden</hi> Vor&#x017F;chriften des H.-G.-B.&#x2019;s im Wider-<lb/>
&#x017F;pruch &#x017F;teht.</item><lb/>
              <item><hi rendition="#aq">b</hi>) Auch &#x017F;oweit ein &#x017F;olcher Wider&#x017F;pruch nicht vorhanden i&#x017F;t,<lb/>
haben die Vor&#x017F;chriften des Betriebs-Reglements nicht die rechtliche<lb/>
Wirk&#x017F;amkeit von Rechtsregeln, &#x017F;ondern diejenige von <hi rendition="#g">Vertrags-<lb/>
fe&#x017F;t&#x017F;etzungen</hi> und &#x017F;ind als &#x017F;olche zu beurtheilen <note place="foot" n="1)">Vgl. oben S. 89 Note 2. v. <hi rendition="#g">Rönne</hi>, Staatsr. <hi rendition="#aq">II.</hi> 1. S. 321 Note 6<lb/>
freilich meint, das Reglement enthalte &#x201E;eine weitere Ausführung der Art. 422<lb/>
&#x2014;431 des H.-G.-B.&#x2019;s&#x201C; und es wolle (?) <hi rendition="#g">als ge&#x017F;etzliche Norm</hi> an die<lb/>
Stelle der früher von den Ei&#x017F;enbahnen &#x017F;elb&#x017F;t in ihren Reglements getroffenen<lb/>
Be&#x017F;timmungen treten (!).</note>.</item><lb/>
              <item><hi rendition="#aq">c</hi>) Der Erlaß des Betriebs-Reglements &#x017F;tellt &#x017F;ich juri&#x017F;ti&#x017F;ch dar<lb/>
als ein Verwaltungsbefehl an die Ei&#x017F;enbahn-Unternehmer re&#x017F;p.<lb/>
an die Ei&#x017F;enbahn-Verwaltungen, alle Transportverträge nach den<lb/>
im Betriebs-Reglement formulirten Bedingungen ab&#x017F;chließen <note place="foot" n="2)">Wenn im einzelnen Falle nach anderen Bedingungen der Vertrag ab-<lb/>
ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en worden i&#x017F;t, &#x017F;ei es ausdrücklich &#x017F;ei es &#x017F;till&#x017F;chweigend nach dem aus<lb/>
den Um&#x017F;tänden zu entnehmenden Con&#x017F;ens, &#x017F;o kann der betreffende Ei&#x017F;enbahn-<lb/>
beamte re&#x017F;p. die Verwaltung &#x017F;ich der vorge&#x017F;etzten In&#x017F;tanz gegenüber dadurch<lb/>
verantwortlich machen, dem Dritten gegenüber i&#x017F;t der Vertrag &#x017F;o zu erfüllen,<lb/>
wie er <hi rendition="#aq">in concreto</hi> ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en worden i&#x017F;t. Ueberdies i&#x017F;t wohl zu beachten,<lb/>
daß das Betriebs-Reglement die Bahnverwaltungen nicht hindert, dem Publi-<lb/>
kum <hi rendition="#g">gün&#x017F;tigere</hi> Bedingungen zu gewähren; es &#x017F;chreibt den Bahnverwal-<lb/>
tungen nur das Minimum der Haftung vor, welches &#x017F;ie übernehmen &#x017F;ollen.</note>.</item>
            </list><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[374/0388] §. 72. Die Verwaltung des Eiſenbahnweſens. und in Ermangelung derſelben die Vorſchriften des bürgerlichen Rechts zur Anwendung. Der Bundesrath kann das Handels- geſetzbuch weder abändern noch ergänzen, und ebenſo wenig iſt hier- zu der Miniſter eines Einzelſtaates oder die Verwaltung einer Eiſenbahn im Stande. Das Handelsgeſetzbuch enthält aber im Allgemeinen nur jus dispositivum; es geſtattet den Parteien, ihren Verträgen auch einen anderen Inhalt zu geben. Dieſe Befugniß haben auch die Betriebs-Unternehmer von Eiſenbahnen, wenngleich nicht in demſelben Maße und mit derſelben Freiheit wie andere Frachtführer. Das Betriebs-Reglement ſtellt die Bethätigung dieſer Vertragsfreiheit dar; es enthält die Bedingungen für den Trans- port von Perſonen und Gütern, zu deren Vereinbarung die Eiſen- bahn-Betriebsunternehmer (Frachtführer) nach dem H.-G.-B. be- fugt ſind. Hieraus ergeben ſich folgende Sätze: a) Das Betriebs-Reglement hat keine rechtliche Wirkſamkeit, ſoweit es mit zwingenden Vorſchriften des H.-G.-B.’s im Wider- ſpruch ſteht. b) Auch ſoweit ein ſolcher Widerſpruch nicht vorhanden iſt, haben die Vorſchriften des Betriebs-Reglements nicht die rechtliche Wirkſamkeit von Rechtsregeln, ſondern diejenige von Vertrags- feſtſetzungen und ſind als ſolche zu beurtheilen 1). c) Der Erlaß des Betriebs-Reglements ſtellt ſich juriſtiſch dar als ein Verwaltungsbefehl an die Eiſenbahn-Unternehmer reſp. an die Eiſenbahn-Verwaltungen, alle Transportverträge nach den im Betriebs-Reglement formulirten Bedingungen abſchließen 2). 1) Vgl. oben S. 89 Note 2. v. Rönne, Staatsr. II. 1. S. 321 Note 6 freilich meint, das Reglement enthalte „eine weitere Ausführung der Art. 422 —431 des H.-G.-B.’s“ und es wolle (?) als geſetzliche Norm an die Stelle der früher von den Eiſenbahnen ſelbſt in ihren Reglements getroffenen Beſtimmungen treten (!). 2) Wenn im einzelnen Falle nach anderen Bedingungen der Vertrag ab- geſchloſſen worden iſt, ſei es ausdrücklich ſei es ſtillſchweigend nach dem aus den Umſtänden zu entnehmenden Conſens, ſo kann der betreffende Eiſenbahn- beamte reſp. die Verwaltung ſich der vorgeſetzten Inſtanz gegenüber dadurch verantwortlich machen, dem Dritten gegenüber iſt der Vertrag ſo zu erfüllen, wie er in concreto geſchloſſen worden iſt. Ueberdies iſt wohl zu beachten, daß das Betriebs-Reglement die Bahnverwaltungen nicht hindert, dem Publi- kum günſtigere Bedingungen zu gewähren; es ſchreibt den Bahnverwal- tungen nur das Minimum der Haftung vor, welches ſie übernehmen ſollen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878/388
Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877, S. 374. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878/388>, abgerufen am 25.05.2024.