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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877.

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§. 71. Die Verwaltung der Post und Telegraphie.
den Kaiserlichen Anordnungen Folge zu leisten (Art. 50 Abs. 3)
und sie sind den Vorschriften des Reichsbeamten-Gesetzes unter-
worfen 1).

Diese, den einzelnen Staaten eingeräumten Befugnisse sind
indeß eingeschränkt durch den Grundsatz: "Wo eine selbstständige
Landespost- resp. Telegraphenverwaltung nicht besteht, entscheiden
die Bestimmungen der besonderen Verträge" (R.-V. Art. 50 Abs. 6).
Wahrhaft "selbstständige" Verwaltungen giebt es nun außer in
Bayern und Württemberg in keinem deutschen Staate; es kann
überall nur Reste einer ehemals selbstständigen Verwaltung geben.
Würde man aus der angeführten Bestimmung die Folgerung her-
leiten wollen, daß die Fortdauer selbstständiger Landesposten und
Landestelegraphen-Anstalten von der R.-V. als zulässig voraus-
gesetzt und anerkannt sei, so würde man dieselbe in unlösbaren
Widerspruch mit allen andern Bestimmungen des VIII. Abschnittes
der R.-V. bringen. Durch den Schlußsatz des Art. 50 soll viel-
mehr nur gesagt werden, daß keinem Staate Rechte hinsichtlich der
Post- und Telegraphen-Verwaltung durch die Bestimmungen der
Verfassung beigelegt werden, die er nicht bei Gründung des
Nordd. Bundes resp. Deutschen Reiches besessen hat. Soweit ein
Staat schon vorher sich der Verwaltung des Post- und Tele-
graphenwesens begeben hatte, sollte er nicht in Verwaltungsbefug-
nisse
wieder eingesetzt werden. Ebenso ist es keinem Staate ver-
wehrt, auf die nach der Verfassung ihm verbliebenen Befugnisse
vertragsmäßig zu verzichten. In Folge dieses Grundsatzes sind
die Verwaltungsbefugnisse des Reiches thatsächlich bei weitem um-
fassender als es nach dem Wortlaut der R.-V. scheint und die den
einzelnen Staaten im Art. 50 zugestandenen Ernennungsrechte von
Post- und Telegraphen-Beamten bestehen nur in sehr beschränktem
Umfange. Der gegenwärtige Rechtszustand ist folgender:

a) In Elsaß-Lothringen ist die Unterscheidung der Ver-
waltungskompetenz des Reiches und der Einzelstaaten hinsichtlich
des Post- und Telegraphenwesens ganz gegenstandslos, da dem
Kaiser die Ausübung der Territorial-Staatsgewalt zusteht; die ge-
sammte Post- und Telegraphen-Verwaltung ist daher im Reichs-
lande ungetheilt und unbeschränkt Reichsangelegenheit 2).


1) Vgl. Bd. I. §. 37 S. 398 fg.
2) Vgl. mein Reichsfinanzrecht in Hirth's Annalen 1873 S. 466.
Laband, Reichsstaatsrecht. II. 19

§. 71. Die Verwaltung der Poſt und Telegraphie.
den Kaiſerlichen Anordnungen Folge zu leiſten (Art. 50 Abſ. 3)
und ſie ſind den Vorſchriften des Reichsbeamten-Geſetzes unter-
worfen 1).

Dieſe, den einzelnen Staaten eingeräumten Befugniſſe ſind
indeß eingeſchränkt durch den Grundſatz: „Wo eine ſelbſtſtändige
Landespoſt- reſp. Telegraphenverwaltung nicht beſteht, entſcheiden
die Beſtimmungen der beſonderen Verträge“ (R.-V. Art. 50 Abſ. 6).
Wahrhaft „ſelbſtſtändige“ Verwaltungen giebt es nun außer in
Bayern und Württemberg in keinem deutſchen Staate; es kann
überall nur Reſte einer ehemals ſelbſtſtändigen Verwaltung geben.
Würde man aus der angeführten Beſtimmung die Folgerung her-
leiten wollen, daß die Fortdauer ſelbſtſtändiger Landespoſten und
Landestelegraphen-Anſtalten von der R.-V. als zuläſſig voraus-
geſetzt und anerkannt ſei, ſo würde man dieſelbe in unlösbaren
Widerſpruch mit allen andern Beſtimmungen des VIII. Abſchnittes
der R.-V. bringen. Durch den Schlußſatz des Art. 50 ſoll viel-
mehr nur geſagt werden, daß keinem Staate Rechte hinſichtlich der
Poſt- und Telegraphen-Verwaltung durch die Beſtimmungen der
Verfaſſung beigelegt werden, die er nicht bei Gründung des
Nordd. Bundes reſp. Deutſchen Reiches beſeſſen hat. Soweit ein
Staat ſchon vorher ſich der Verwaltung des Poſt- und Tele-
graphenweſens begeben hatte, ſollte er nicht in Verwaltungsbefug-
niſſe
wieder eingeſetzt werden. Ebenſo iſt es keinem Staate ver-
wehrt, auf die nach der Verfaſſung ihm verbliebenen Befugniſſe
vertragsmäßig zu verzichten. In Folge dieſes Grundſatzes ſind
die Verwaltungsbefugniſſe des Reiches thatſächlich bei weitem um-
faſſender als es nach dem Wortlaut der R.-V. ſcheint und die den
einzelnen Staaten im Art. 50 zugeſtandenen Ernennungsrechte von
Poſt- und Telegraphen-Beamten beſtehen nur in ſehr beſchränktem
Umfange. Der gegenwärtige Rechtszuſtand iſt folgender:

a) In Elſaß-Lothringen iſt die Unterſcheidung der Ver-
waltungskompetenz des Reiches und der Einzelſtaaten hinſichtlich
des Poſt- und Telegraphenweſens ganz gegenſtandslos, da dem
Kaiſer die Ausübung der Territorial-Staatsgewalt zuſteht; die ge-
ſammte Poſt- und Telegraphen-Verwaltung iſt daher im Reichs-
lande ungetheilt und unbeſchränkt Reichsangelegenheit 2).


1) Vgl. Bd. I. §. 37 S. 398 fg.
2) Vgl. mein Reichsfinanzrecht in Hirth’s Annalen 1873 S. 466.
Laband, Reichsſtaatsrecht. II. 19
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[289/0303] §. 71. Die Verwaltung der Poſt und Telegraphie. den Kaiſerlichen Anordnungen Folge zu leiſten (Art. 50 Abſ. 3) und ſie ſind den Vorſchriften des Reichsbeamten-Geſetzes unter- worfen 1). Dieſe, den einzelnen Staaten eingeräumten Befugniſſe ſind indeß eingeſchränkt durch den Grundſatz: „Wo eine ſelbſtſtändige Landespoſt- reſp. Telegraphenverwaltung nicht beſteht, entſcheiden die Beſtimmungen der beſonderen Verträge“ (R.-V. Art. 50 Abſ. 6). Wahrhaft „ſelbſtſtändige“ Verwaltungen giebt es nun außer in Bayern und Württemberg in keinem deutſchen Staate; es kann überall nur Reſte einer ehemals ſelbſtſtändigen Verwaltung geben. Würde man aus der angeführten Beſtimmung die Folgerung her- leiten wollen, daß die Fortdauer ſelbſtſtändiger Landespoſten und Landestelegraphen-Anſtalten von der R.-V. als zuläſſig voraus- geſetzt und anerkannt ſei, ſo würde man dieſelbe in unlösbaren Widerſpruch mit allen andern Beſtimmungen des VIII. Abſchnittes der R.-V. bringen. Durch den Schlußſatz des Art. 50 ſoll viel- mehr nur geſagt werden, daß keinem Staate Rechte hinſichtlich der Poſt- und Telegraphen-Verwaltung durch die Beſtimmungen der Verfaſſung beigelegt werden, die er nicht bei Gründung des Nordd. Bundes reſp. Deutſchen Reiches beſeſſen hat. Soweit ein Staat ſchon vorher ſich der Verwaltung des Poſt- und Tele- graphenweſens begeben hatte, ſollte er nicht in Verwaltungsbefug- niſſe wieder eingeſetzt werden. Ebenſo iſt es keinem Staate ver- wehrt, auf die nach der Verfaſſung ihm verbliebenen Befugniſſe vertragsmäßig zu verzichten. In Folge dieſes Grundſatzes ſind die Verwaltungsbefugniſſe des Reiches thatſächlich bei weitem um- faſſender als es nach dem Wortlaut der R.-V. ſcheint und die den einzelnen Staaten im Art. 50 zugeſtandenen Ernennungsrechte von Poſt- und Telegraphen-Beamten beſtehen nur in ſehr beſchränktem Umfange. Der gegenwärtige Rechtszuſtand iſt folgender: a) In Elſaß-Lothringen iſt die Unterſcheidung der Ver- waltungskompetenz des Reiches und der Einzelſtaaten hinſichtlich des Poſt- und Telegraphenweſens ganz gegenſtandslos, da dem Kaiſer die Ausübung der Territorial-Staatsgewalt zuſteht; die ge- ſammte Poſt- und Telegraphen-Verwaltung iſt daher im Reichs- lande ungetheilt und unbeſchränkt Reichsangelegenheit 2). 1) Vgl. Bd. I. §. 37 S. 398 fg. 2) Vgl. mein Reichsfinanzrecht in Hirth’s Annalen 1873 S. 466. Laband, Reichsſtaatsrecht. II. 19

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878/303>, abgerufen am 24.05.2024.