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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877.

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§. 62. Die Gesetzgebung für Elsaß-Lothringen.

Von den verschiedenen Formen, welche für Verordnungen zur
Ausführung von Reichsgesetzen oben §. 59 als möglich dargethan
worden sind, scheidet zunächst die Verordnung des Einzelstaates
aus, da Elsaß-Lothringen kein Staat ist und eine der Reichsgewalt
gegenüber selbstständige, mit eigenen Rechten ausgestattete Staats-
gewalt im Reichsland nicht besteht 1).

Es scheidet aber ferner unter der Herrschaft des Gesetzes vom
9. Juni 1871 aus: die unter Zustimmung des Bundes-
rathes erlassene kaiserliche Verordnung
. Denn dies
ist eben die von diesem Gesetz normirte Gesetzesform. Dessen-
ungeachtet findet sich ein Beispiel für die Vorschrift, daß die zur
Ausführung eines Gesetzes erforderlichen Rechtsvorschriften "durch
eine im Einvernehmen mit dem Bundesrathe zu erlassende kaiser-
liche Verordnung" ergehen sollen, und zwar in dem Ges. v. 15. Okt.
1873 betreffend die Kautionen der Beamten §. 2, in wörtlicher
Wiederholung des §. 3 des Bundesgesetzes v. 2. Juni 1869. Diese
Bestimmung ist von praktischer Bedeutung erst von der Zeit an,
wo die Reichsverf. in Elsaß-Lothringen in Wirksamkeit trat. So
lange das Ges. v. 9. Juni 1871 die Formen der Gesetzgebung
regelte, wurde durch §. 2 des Ges. v. 15. Okt. 1873 keine Ab-
weichung von dem Wege der Gesetzgebung vorgeschrieben; erst seit-
dem dieser Weg der Gesetzgebung sich nach den Vorschriften der
R.-V. bestimmt, ist die im §. 2 des Ges. v. 15. Okt. 1873 vor-
geschriebene Form nicht mehr die Gesetzesform, sondern eine Ver-
ordnungsform; und da die unter der Herrschaft des Gesetzes vom
9. Juni 1871 rechtsgültig erlassenen Gesetze ihre Geltung mit Ein-
führung der R.-V. nicht einbüßten, so besteht auch diese Vorschrift
gegenwärtig zu Recht 2).


blieb, so blieben auch diejenigen gesetzlichen Special-Bestimmungen in Kraft, welche
dem Staatsoberhaupt oder den Verwaltungsbehörden die Befugniß zum Erlaß
von Verordnungen u. s. w. übertragen.
1) Vgl. Bd. I. S. 582 fg.
2) Auf Grund derselben ist nicht nur die Verordnung v. 22. Nov. 1873
(G.-Bl. S. 292), sondern auch die V. v. 15. Okt. 1875 (G.-Bl. S. 183) er-
gangen. Im Allgemeinen muß allerdings bestritten werden, daß während des
Provisoriums Anordnungen getroffen werden durften, durch welche die Formen
der Gesetzgebung für die Zeit nach Einführung der R.-V. abweichend von
den Bestimmungen des Reichsrechts normirt worden wären. Denn das Ges.
v. 9. Juni 1871 enthielt eine zeitlich begränzte Delegation für den Kaiser;
9*
§. 62. Die Geſetzgebung für Elſaß-Lothringen.

Von den verſchiedenen Formen, welche für Verordnungen zur
Ausführung von Reichsgeſetzen oben §. 59 als möglich dargethan
worden ſind, ſcheidet zunächſt die Verordnung des Einzelſtaates
aus, da Elſaß-Lothringen kein Staat iſt und eine der Reichsgewalt
gegenüber ſelbſtſtändige, mit eigenen Rechten ausgeſtattete Staats-
gewalt im Reichsland nicht beſteht 1).

Es ſcheidet aber ferner unter der Herrſchaft des Geſetzes vom
9. Juni 1871 aus: die unter Zuſtimmung des Bundes-
rathes erlaſſene kaiſerliche Verordnung
. Denn dies
iſt eben die von dieſem Geſetz normirte Geſetzesform. Deſſen-
ungeachtet findet ſich ein Beiſpiel für die Vorſchrift, daß die zur
Ausführung eines Geſetzes erforderlichen Rechtsvorſchriften „durch
eine im Einvernehmen mit dem Bundesrathe zu erlaſſende kaiſer-
liche Verordnung“ ergehen ſollen, und zwar in dem Geſ. v. 15. Okt.
1873 betreffend die Kautionen der Beamten §. 2, in wörtlicher
Wiederholung des §. 3 des Bundesgeſetzes v. 2. Juni 1869. Dieſe
Beſtimmung iſt von praktiſcher Bedeutung erſt von der Zeit an,
wo die Reichsverf. in Elſaß-Lothringen in Wirkſamkeit trat. So
lange das Geſ. v. 9. Juni 1871 die Formen der Geſetzgebung
regelte, wurde durch §. 2 des Geſ. v. 15. Okt. 1873 keine Ab-
weichung von dem Wege der Geſetzgebung vorgeſchrieben; erſt ſeit-
dem dieſer Weg der Geſetzgebung ſich nach den Vorſchriften der
R.-V. beſtimmt, iſt die im §. 2 des Geſ. v. 15. Okt. 1873 vor-
geſchriebene Form nicht mehr die Geſetzesform, ſondern eine Ver-
ordnungsform; und da die unter der Herrſchaft des Geſetzes vom
9. Juni 1871 rechtsgültig erlaſſenen Geſetze ihre Geltung mit Ein-
führung der R.-V. nicht einbüßten, ſo beſteht auch dieſe Vorſchrift
gegenwärtig zu Recht 2).


blieb, ſo blieben auch diejenigen geſetzlichen Special-Beſtimmungen in Kraft, welche
dem Staatsoberhaupt oder den Verwaltungsbehörden die Befugniß zum Erlaß
von Verordnungen u. ſ. w. übertragen.
1) Vgl. Bd. I. S. 582 fg.
2) Auf Grund derſelben iſt nicht nur die Verordnung v. 22. Nov. 1873
(G.-Bl. S. 292), ſondern auch die V. v. 15. Okt. 1875 (G.-Bl. S. 183) er-
gangen. Im Allgemeinen muß allerdings beſtritten werden, daß während des
Proviſoriums Anordnungen getroffen werden durften, durch welche die Formen
der Geſetzgebung für die Zeit nach Einführung der R.-V. abweichend von
den Beſtimmungen des Reichsrechts normirt worden wären. Denn das Geſ.
v. 9. Juni 1871 enthielt eine zeitlich begränzte Delegation für den Kaiſer;
9*
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[131/0145] §. 62. Die Geſetzgebung für Elſaß-Lothringen. Von den verſchiedenen Formen, welche für Verordnungen zur Ausführung von Reichsgeſetzen oben §. 59 als möglich dargethan worden ſind, ſcheidet zunächſt die Verordnung des Einzelſtaates aus, da Elſaß-Lothringen kein Staat iſt und eine der Reichsgewalt gegenüber ſelbſtſtändige, mit eigenen Rechten ausgeſtattete Staats- gewalt im Reichsland nicht beſteht 1). Es ſcheidet aber ferner unter der Herrſchaft des Geſetzes vom 9. Juni 1871 aus: die unter Zuſtimmung des Bundes- rathes erlaſſene kaiſerliche Verordnung. Denn dies iſt eben die von dieſem Geſetz normirte Geſetzesform. Deſſen- ungeachtet findet ſich ein Beiſpiel für die Vorſchrift, daß die zur Ausführung eines Geſetzes erforderlichen Rechtsvorſchriften „durch eine im Einvernehmen mit dem Bundesrathe zu erlaſſende kaiſer- liche Verordnung“ ergehen ſollen, und zwar in dem Geſ. v. 15. Okt. 1873 betreffend die Kautionen der Beamten §. 2, in wörtlicher Wiederholung des §. 3 des Bundesgeſetzes v. 2. Juni 1869. Dieſe Beſtimmung iſt von praktiſcher Bedeutung erſt von der Zeit an, wo die Reichsverf. in Elſaß-Lothringen in Wirkſamkeit trat. So lange das Geſ. v. 9. Juni 1871 die Formen der Geſetzgebung regelte, wurde durch §. 2 des Geſ. v. 15. Okt. 1873 keine Ab- weichung von dem Wege der Geſetzgebung vorgeſchrieben; erſt ſeit- dem dieſer Weg der Geſetzgebung ſich nach den Vorſchriften der R.-V. beſtimmt, iſt die im §. 2 des Geſ. v. 15. Okt. 1873 vor- geſchriebene Form nicht mehr die Geſetzesform, ſondern eine Ver- ordnungsform; und da die unter der Herrſchaft des Geſetzes vom 9. Juni 1871 rechtsgültig erlaſſenen Geſetze ihre Geltung mit Ein- führung der R.-V. nicht einbüßten, ſo beſteht auch dieſe Vorſchrift gegenwärtig zu Recht 2). 3) 1) Vgl. Bd. I. S. 582 fg. 2) Auf Grund derſelben iſt nicht nur die Verordnung v. 22. Nov. 1873 (G.-Bl. S. 292), ſondern auch die V. v. 15. Okt. 1875 (G.-Bl. S. 183) er- gangen. Im Allgemeinen muß allerdings beſtritten werden, daß während des Proviſoriums Anordnungen getroffen werden durften, durch welche die Formen der Geſetzgebung für die Zeit nach Einführung der R.-V. abweichend von den Beſtimmungen des Reichsrechts normirt worden wären. Denn das Geſ. v. 9. Juni 1871 enthielt eine zeitlich begränzte Delegation für den Kaiſer; 3) blieb, ſo blieben auch diejenigen geſetzlichen Special-Beſtimmungen in Kraft, welche dem Staatsoberhaupt oder den Verwaltungsbehörden die Befugniß zum Erlaß von Verordnungen u. ſ. w. übertragen. 9*

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878/145>, abgerufen am 28.11.2024.