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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877.

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§. 62. Die Gesetzgebung für Elsaß-Lothringen.
während der Occupation erlassenen Verordnungen nicht als Willens-
akte des Deutschen Reiches anzusehen, sondern als Willens-
akte, welche der Deutsche Oberbefehlshaber an Stelle der
suspendirten französischen
Staatsgewalt vornahm. Sie
stehen demnach auf gleicher Stufe mit den französischen, in Elsaß-
Lothringen geltenden Gesetzen d. h. sie sind nicht Reichsgesetze, son-
dern Landesgesetze, sie haben nicht die Kraft des Reichsrechts,
sondern die des Partikularrechts.

2. Die Verwaltung (d. h. Occupations-Regierung) von Elsaß-
Lothringen wurde von dem Oberbefehlshaber der Deutschen Heere
auf den "General-Gouverneur im Elsaß" übertragen 1).
Die ihm obliegende Thätigkeit wurde geregelt durch eine vom
Preußischen Kriegsministerium in Gemeinschaft mit dem Kanzler
des Norddeutschen Bundes entworfene und von dem Bundes-Ober-
feldherrn genehmigte Instruction 2). Dieselbe ist nicht veröffentlicht
worden; in der Proklamation des General-Gouverneurs, Grafen
v. Bismarck-Bohlen, v. 30. August 1870 macht derselbe aber be-
kannt, daß in den ihm zugewiesenen Gebieten "die kaiserlich fran-
zösische Staatsgewalt außer Wirksamkeit gesetzt und die Autorität
der Deutschen Mächte an deren Stelle getreten sei", und daß er
"zur Handhabung derselben" ernannt worden sei 3). Die Voll-
macht des General-Gouverneurs umfaßte daher alle in der fran-
zösischen Staatsgewalt enthaltenen Befugnisse. Wenngleich ihm
in der Instruction über die Art und Richtung, in welcher er von
dieser Vollmacht Gebrauch machen sollte, wahrscheinlich nähere An-
weisungen ertheilt worden sind, so war formell seine Vollmacht
eine unbeschränkte. Er konnte daher in rechtsverbindlicher Weise
Anordnungen über Gegenstände treffen, welche in den Bereich der
Gesetzgebung gehören. Oder mit andern Worten: Während
der Zeit der Occupation war die Verordnung des

1) Allerhöchste Cabinets-Ordre v. 14. Aug. 1870. Ihm waren zunächst
die occupirten Distrikte des Elsasses, durch Verordn. v. 21. Aug. 1870
aber auch die lothringischen Arrondissements Saarburg, Chateau-Salins,
Saargemünd, Metz und Thionville unterstellt worden. (Verordnungen und
Amtl. Nachrichten f. Els.-Lothr. Nro. 2 u. 3.)
2) Diese Instruction ist am 21. August erlassen worden, wie sich aus der
Cabinets-Ordre vom 26. Aug. 1870 ergibt. Verordn. u. Amtl. Nachr. Nr. 4.
3) Verordn. u. Amtl. Nachrichten Nr. 6.

§. 62. Die Geſetzgebung für Elſaß-Lothringen.
während der Occupation erlaſſenen Verordnungen nicht als Willens-
akte des Deutſchen Reiches anzuſehen, ſondern als Willens-
akte, welche der Deutſche Oberbefehlshaber an Stelle der
ſuspendirten franzöſiſchen
Staatsgewalt vornahm. Sie
ſtehen demnach auf gleicher Stufe mit den franzöſiſchen, in Elſaß-
Lothringen geltenden Geſetzen d. h. ſie ſind nicht Reichsgeſetze, ſon-
dern Landesgeſetze, ſie haben nicht die Kraft des Reichsrechts,
ſondern die des Partikularrechts.

2. Die Verwaltung (d. h. Occupations-Regierung) von Elſaß-
Lothringen wurde von dem Oberbefehlshaber der Deutſchen Heere
auf den „General-Gouverneur im Elſaß“ übertragen 1).
Die ihm obliegende Thätigkeit wurde geregelt durch eine vom
Preußiſchen Kriegsminiſterium in Gemeinſchaft mit dem Kanzler
des Norddeutſchen Bundes entworfene und von dem Bundes-Ober-
feldherrn genehmigte Inſtruction 2). Dieſelbe iſt nicht veröffentlicht
worden; in der Proklamation des General-Gouverneurs, Grafen
v. Bismarck-Bohlen, v. 30. Auguſt 1870 macht derſelbe aber be-
kannt, daß in den ihm zugewieſenen Gebieten „die kaiſerlich fran-
zöſiſche Staatsgewalt außer Wirkſamkeit geſetzt und die Autorität
der Deutſchen Mächte an deren Stelle getreten ſei“, und daß er
„zur Handhabung derſelben“ ernannt worden ſei 3). Die Voll-
macht des General-Gouverneurs umfaßte daher alle in der fran-
zöſiſchen Staatsgewalt enthaltenen Befugniſſe. Wenngleich ihm
in der Inſtruction über die Art und Richtung, in welcher er von
dieſer Vollmacht Gebrauch machen ſollte, wahrſcheinlich nähere An-
weiſungen ertheilt worden ſind, ſo war formell ſeine Vollmacht
eine unbeſchränkte. Er konnte daher in rechtsverbindlicher Weiſe
Anordnungen über Gegenſtände treffen, welche in den Bereich der
Geſetzgebung gehören. Oder mit andern Worten: Während
der Zeit der Occupation war die Verordnung des

1) Allerhöchſte Cabinets-Ordre v. 14. Aug. 1870. Ihm waren zunächſt
die occupirten Diſtrikte des Elſaſſes, durch Verordn. v. 21. Aug. 1870
aber auch die lothringiſchen Arrondiſſements Saarburg, Chateau-Salins,
Saargemünd, Metz und Thionville unterſtellt worden. (Verordnungen und
Amtl. Nachrichten f. Elſ.-Lothr. Nro. 2 u. 3.)
2) Dieſe Inſtruction iſt am 21. Auguſt erlaſſen worden, wie ſich aus der
Cabinets-Ordre vom 26. Aug. 1870 ergibt. Verordn. u. Amtl. Nachr. Nr. 4.
3) Verordn. u. Amtl. Nachrichten Nr. 6.
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[123/0137] §. 62. Die Geſetzgebung für Elſaß-Lothringen. während der Occupation erlaſſenen Verordnungen nicht als Willens- akte des Deutſchen Reiches anzuſehen, ſondern als Willens- akte, welche der Deutſche Oberbefehlshaber an Stelle der ſuspendirten franzöſiſchen Staatsgewalt vornahm. Sie ſtehen demnach auf gleicher Stufe mit den franzöſiſchen, in Elſaß- Lothringen geltenden Geſetzen d. h. ſie ſind nicht Reichsgeſetze, ſon- dern Landesgeſetze, ſie haben nicht die Kraft des Reichsrechts, ſondern die des Partikularrechts. 2. Die Verwaltung (d. h. Occupations-Regierung) von Elſaß- Lothringen wurde von dem Oberbefehlshaber der Deutſchen Heere auf den „General-Gouverneur im Elſaß“ übertragen 1). Die ihm obliegende Thätigkeit wurde geregelt durch eine vom Preußiſchen Kriegsminiſterium in Gemeinſchaft mit dem Kanzler des Norddeutſchen Bundes entworfene und von dem Bundes-Ober- feldherrn genehmigte Inſtruction 2). Dieſelbe iſt nicht veröffentlicht worden; in der Proklamation des General-Gouverneurs, Grafen v. Bismarck-Bohlen, v. 30. Auguſt 1870 macht derſelbe aber be- kannt, daß in den ihm zugewieſenen Gebieten „die kaiſerlich fran- zöſiſche Staatsgewalt außer Wirkſamkeit geſetzt und die Autorität der Deutſchen Mächte an deren Stelle getreten ſei“, und daß er „zur Handhabung derſelben“ ernannt worden ſei 3). Die Voll- macht des General-Gouverneurs umfaßte daher alle in der fran- zöſiſchen Staatsgewalt enthaltenen Befugniſſe. Wenngleich ihm in der Inſtruction über die Art und Richtung, in welcher er von dieſer Vollmacht Gebrauch machen ſollte, wahrſcheinlich nähere An- weiſungen ertheilt worden ſind, ſo war formell ſeine Vollmacht eine unbeſchränkte. Er konnte daher in rechtsverbindlicher Weiſe Anordnungen über Gegenſtände treffen, welche in den Bereich der Geſetzgebung gehören. Oder mit andern Worten: Während der Zeit der Occupation war die Verordnung des 1) Allerhöchſte Cabinets-Ordre v. 14. Aug. 1870. Ihm waren zunächſt die occupirten Diſtrikte des Elſaſſes, durch Verordn. v. 21. Aug. 1870 aber auch die lothringiſchen Arrondiſſements Saarburg, Chateau-Salins, Saargemünd, Metz und Thionville unterſtellt worden. (Verordnungen und Amtl. Nachrichten f. Elſ.-Lothr. Nro. 2 u. 3.) 2) Dieſe Inſtruction iſt am 21. Auguſt erlaſſen worden, wie ſich aus der Cabinets-Ordre vom 26. Aug. 1870 ergibt. Verordn. u. Amtl. Nachr. Nr. 4. 3) Verordn. u. Amtl. Nachrichten Nr. 6.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878/137>, abgerufen am 13.05.2024.