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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877.

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§. 60. Die Wirkungen der Reichsgesetze.
Kraft erhalten werden. Eine solche Anordnung eines Reichsge-
setzes enthält keine Sanction der in den Landesgesetzen enthal-
tenen Bestimmungen und stattet demnach nicht die zur Zeit gel-
tenden Landesgesetze mit der Kraft von Reichsgesetzen aus, sondern
sie erklärt, daß die reichsgesetzlichen Vorschriften in den landes-
gesetzlichen ihre Ergänzung finden sollen; sie bestätigt also die
Fortdauer der Autonomie der Einzelstaaten 1). Demgemäß
können solche Landesgesetze von den einzelnen Staaten abgeändert
und aufgehoben werden 2).

2) Ein Reichsgesetz, welches für einen Theil des Bundes-
gebietes erlassen ist, kann später auf einen anderen Theil aus-
gedehnt
oder in demselben eingeführt werden. Nach dem,
was oben S. 54 fg. über das Wesen der Verkündigung ausgeführt
worden ist, bedarf es in diesem Falle nicht eines erneuten Ab-
drucks des Gesetzes im Reichsgesetzblatt, sondern es genügt die
Verkündigung des Gesetzes, welches die Ausdehnung des Geltungs-
bereiches ausspricht. Die Einführung eines Reichsgesetzes in einem
andern Theile des Bundesgebietes ist nicht in der Art aufzufassen,
als wenn von diesem Zeitpunkt an zwei gleichlautende Gesetze des
Reiches in zwei verschiedenen Geltungsbereichen herrschen, sondern
der einheitliche Geltungsbereich des einen Reichsgesetzes ist ein
größerer geworden. Es kann dies bei manchen Auslegungsfragen
z. B. über die Bedeutung von Inland, Ausland, Inländer, Fremde
u. s. w. in Betracht kommen.

3) Ein Reichsgesetz kann für einzelne Theile des Bundes-
gebietes Abänderungen oder Zusätze erhalten; ebenso kann ein für
einen Theil des Bundesgebietes erlassenes Reichs-Gesetz in einem
andern Theil mit Modifikationen eingeführt werden. Daß in
einem solchen Falle die besondere, für einen gewissen Gebietstheil
erlassene Vorschrift der allgemeinen Anordnung des Reichsgesetzes

1) Nicht der augenblickliche Bestand der landesgesetzlichen Vorschriften,
sondern die Landesgesetzgebung als fortwirkende Rechtsquelle wird in
Kraft erhalten. Vgl. auch Heinze S. 89 ff.
2) Ausdrücklich ausgesprochen ist dies in dem Gesetz über die Bundes-
flagge v. 25. Okt. 1867 §. 19 (B.-G.-Bl. S. 39): "Die landesgesetzlichen Be-
stimmungen ... finden Anwendung, soweit sie mit den Vorschriften des Bun-
desgesetzes sich vertragen und unbeschadet ihrer späteren Aenderung auf landes-
gesetzlichem Wege." Vgl. ferner das Ges. über die vertragsmäßigen Zinsen
v. 14. Nov. 1867 §. 5 Abs. 2 (B.-G.-Bl. S. 160).
7*

§. 60. Die Wirkungen der Reichsgeſetze.
Kraft erhalten werden. Eine ſolche Anordnung eines Reichsge-
ſetzes enthält keine Sanction der in den Landesgeſetzen enthal-
tenen Beſtimmungen und ſtattet demnach nicht die zur Zeit gel-
tenden Landesgeſetze mit der Kraft von Reichsgeſetzen aus, ſondern
ſie erklärt, daß die reichsgeſetzlichen Vorſchriften in den landes-
geſetzlichen ihre Ergänzung finden ſollen; ſie beſtätigt alſo die
Fortdauer der Autonomie der Einzelſtaaten 1). Demgemäß
können ſolche Landesgeſetze von den einzelnen Staaten abgeändert
und aufgehoben werden 2).

2) Ein Reichsgeſetz, welches für einen Theil des Bundes-
gebietes erlaſſen iſt, kann ſpäter auf einen anderen Theil aus-
gedehnt
oder in demſelben eingeführt werden. Nach dem,
was oben S. 54 fg. über das Weſen der Verkündigung ausgeführt
worden iſt, bedarf es in dieſem Falle nicht eines erneuten Ab-
drucks des Geſetzes im Reichsgeſetzblatt, ſondern es genügt die
Verkündigung des Geſetzes, welches die Ausdehnung des Geltungs-
bereiches ausſpricht. Die Einführung eines Reichsgeſetzes in einem
andern Theile des Bundesgebietes iſt nicht in der Art aufzufaſſen,
als wenn von dieſem Zeitpunkt an zwei gleichlautende Geſetze des
Reiches in zwei verſchiedenen Geltungsbereichen herrſchen, ſondern
der einheitliche Geltungsbereich des einen Reichsgeſetzes iſt ein
größerer geworden. Es kann dies bei manchen Auslegungsfragen
z. B. über die Bedeutung von Inland, Ausland, Inländer, Fremde
u. ſ. w. in Betracht kommen.

3) Ein Reichsgeſetz kann für einzelne Theile des Bundes-
gebietes Abänderungen oder Zuſätze erhalten; ebenſo kann ein für
einen Theil des Bundesgebietes erlaſſenes Reichs-Geſetz in einem
andern Theil mit Modifikationen eingeführt werden. Daß in
einem ſolchen Falle die beſondere, für einen gewiſſen Gebietstheil
erlaſſene Vorſchrift der allgemeinen Anordnung des Reichsgeſetzes

1) Nicht der augenblickliche Beſtand der landesgeſetzlichen Vorſchriften,
ſondern die Landesgeſetzgebung als fortwirkende Rechtsquelle wird in
Kraft erhalten. Vgl. auch Heinze S. 89 ff.
2) Ausdrücklich ausgeſprochen iſt dies in dem Geſetz über die Bundes-
flagge v. 25. Okt. 1867 §. 19 (B.-G.-Bl. S. 39): „Die landesgeſetzlichen Be-
ſtimmungen … finden Anwendung, ſoweit ſie mit den Vorſchriften des Bun-
desgeſetzes ſich vertragen und unbeſchadet ihrer ſpäteren Aenderung auf landes-
geſetzlichem Wege.“ Vgl. ferner das Geſ. über die vertragsmäßigen Zinſen
v. 14. Nov. 1867 §. 5 Abſ. 2 (B.-G.-Bl. S. 160).
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[99/0113] §. 60. Die Wirkungen der Reichsgeſetze. Kraft erhalten werden. Eine ſolche Anordnung eines Reichsge- ſetzes enthält keine Sanction der in den Landesgeſetzen enthal- tenen Beſtimmungen und ſtattet demnach nicht die zur Zeit gel- tenden Landesgeſetze mit der Kraft von Reichsgeſetzen aus, ſondern ſie erklärt, daß die reichsgeſetzlichen Vorſchriften in den landes- geſetzlichen ihre Ergänzung finden ſollen; ſie beſtätigt alſo die Fortdauer der Autonomie der Einzelſtaaten 1). Demgemäß können ſolche Landesgeſetze von den einzelnen Staaten abgeändert und aufgehoben werden 2). 2) Ein Reichsgeſetz, welches für einen Theil des Bundes- gebietes erlaſſen iſt, kann ſpäter auf einen anderen Theil aus- gedehnt oder in demſelben eingeführt werden. Nach dem, was oben S. 54 fg. über das Weſen der Verkündigung ausgeführt worden iſt, bedarf es in dieſem Falle nicht eines erneuten Ab- drucks des Geſetzes im Reichsgeſetzblatt, ſondern es genügt die Verkündigung des Geſetzes, welches die Ausdehnung des Geltungs- bereiches ausſpricht. Die Einführung eines Reichsgeſetzes in einem andern Theile des Bundesgebietes iſt nicht in der Art aufzufaſſen, als wenn von dieſem Zeitpunkt an zwei gleichlautende Geſetze des Reiches in zwei verſchiedenen Geltungsbereichen herrſchen, ſondern der einheitliche Geltungsbereich des einen Reichsgeſetzes iſt ein größerer geworden. Es kann dies bei manchen Auslegungsfragen z. B. über die Bedeutung von Inland, Ausland, Inländer, Fremde u. ſ. w. in Betracht kommen. 3) Ein Reichsgeſetz kann für einzelne Theile des Bundes- gebietes Abänderungen oder Zuſätze erhalten; ebenſo kann ein für einen Theil des Bundesgebietes erlaſſenes Reichs-Geſetz in einem andern Theil mit Modifikationen eingeführt werden. Daß in einem ſolchen Falle die beſondere, für einen gewiſſen Gebietstheil erlaſſene Vorſchrift der allgemeinen Anordnung des Reichsgeſetzes 1) Nicht der augenblickliche Beſtand der landesgeſetzlichen Vorſchriften, ſondern die Landesgeſetzgebung als fortwirkende Rechtsquelle wird in Kraft erhalten. Vgl. auch Heinze S. 89 ff. 2) Ausdrücklich ausgeſprochen iſt dies in dem Geſetz über die Bundes- flagge v. 25. Okt. 1867 §. 19 (B.-G.-Bl. S. 39): „Die landesgeſetzlichen Be- ſtimmungen … finden Anwendung, ſoweit ſie mit den Vorſchriften des Bun- desgeſetzes ſich vertragen und unbeſchadet ihrer ſpäteren Aenderung auf landes- geſetzlichem Wege.“ Vgl. ferner das Geſ. über die vertragsmäßigen Zinſen v. 14. Nov. 1867 §. 5 Abſ. 2 (B.-G.-Bl. S. 160). 7*

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878/113>, abgerufen am 27.11.2024.