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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 7. Das Reich als Rechtssubject.
Souveränetät nicht zu den wesentlichen Merkmalen des Staats-
begriffes zählen 1).

Wenn mehrere bisher unabhängige Staaten in eine solche
Verbindung mit einander treten, daß sie eine höhere Gewalt über
sich haben, so hören sie zwar auf, souverän zu sein, aber sie
brauchen nicht aufzuhören, Staaten zu sein. Den bisher unabhän-
gigen Staaten kann eine solche Fülle von Herrschafts- und Hoheits-
rechten, von Aufgaben für die Ordnung des Gemeinwesens und
von Machtmitteln zu ihrer Durchführung verbleiben, die neuer-
schaffene höhere Gewalt kann sich auf ein so geringes Maaß von
Herrschaftsrechten und staatlichen Aufgaben beschränken, die Glieder
können das, was sie durch ihre Unterordnung unter die höhere
Gewalt einbüßen, dadurch, daß sie an der Ausübung dieser höheren
Gewalt selbst Antheil erlangen, in so reichem Maaße ersetzt erhalten,
daß es dem allgemeinen Sprachgebrauch und den dem Volke ge-
läufigen Anschauungen vollständig entspricht, diese Glieder Staaten
zu nennen. Es ist ganz erklärlich, daß man den bisher souverän
gewesenen Staaten, welche thatsächlich einen großen Theil ihrer
Herrschaftsrechte und ihrer Aufgaben behalten und keineswegs ihre
politische Existenz einbüßen, die Bezeichnung "Staaten" läßt und
für die neu geschaffene höhere Gewalt ein anderes Wort, wie
Bund oder Reich, anwendet, anstatt daß man der Schuldefinition

1) v. Mohl Encyclop. der Staatswissensch. (2. Aufl.) S. 86: "Unrichtig
ist die Forderung der Souveränetät, wenn darunter vollständige Unabhängig-
keit von äußeren Einflüssen verstanden sein soll.... Die tägliche Erfahrung
zeigt, daß es politische Gestaltungen giebt, welche in jeder Beziehung die Auf-
gabe eines Staates erfüllen und die Rechte eines solchen ausüben, aber doch
nicht ganz unabhängig von einer außer ihnen stehenden Gewalt sind. Sol-
chen Verbindungen ist die Bezeichnung als Staat niemals
verweigert worden
." -- Auch v. Gerber Grundz. S. 22 rechnet die
Souveränetät nicht zu den wesentlichen Merkmalen des Staatsbegriffes,
trotzdem er in der Regel als ein Vertreter dieser Ansicht citirt wird. Er sagt
nur: "Soll die Staatsgewalt ganz ihrer Idee entsprechen .... so muß
sie souverän sein" und in der Anm. 5 fügt er erläuternd hinzu: "Souveräne-
tät ist nicht selbst Staatsgewalt, sondern bezeichnet nur eine Eigenschaft der
vollkommenen Staatsgewalt." Er giebt daher die Existenz einer unvoll-
kommenen, nicht souveränen Staatsgewalt zu. Am bestimmtesten erklärt sich
G. Meyer, Erörterungen S. 4 fg., gegen das Erforderniß der Souveräne-
tät. Vgl. auch v. Pözl im Staatswörterbuch von Bluntschli und Brater II.
S. 285. Hartmann Institutionen des Völkerrechts S. 23.

§. 7. Das Reich als Rechtsſubject.
Souveränetät nicht zu den weſentlichen Merkmalen des Staats-
begriffes zählen 1).

Wenn mehrere bisher unabhängige Staaten in eine ſolche
Verbindung mit einander treten, daß ſie eine höhere Gewalt über
ſich haben, ſo hören ſie zwar auf, ſouverän zu ſein, aber ſie
brauchen nicht aufzuhören, Staaten zu ſein. Den bisher unabhän-
gigen Staaten kann eine ſolche Fülle von Herrſchafts- und Hoheits-
rechten, von Aufgaben für die Ordnung des Gemeinweſens und
von Machtmitteln zu ihrer Durchführung verbleiben, die neuer-
ſchaffene höhere Gewalt kann ſich auf ein ſo geringes Maaß von
Herrſchaftsrechten und ſtaatlichen Aufgaben beſchränken, die Glieder
können das, was ſie durch ihre Unterordnung unter die höhere
Gewalt einbüßen, dadurch, daß ſie an der Ausübung dieſer höheren
Gewalt ſelbſt Antheil erlangen, in ſo reichem Maaße erſetzt erhalten,
daß es dem allgemeinen Sprachgebrauch und den dem Volke ge-
läufigen Anſchauungen vollſtändig entſpricht, dieſe Glieder Staaten
zu nennen. Es iſt ganz erklärlich, daß man den bisher ſouverän
geweſenen Staaten, welche thatſächlich einen großen Theil ihrer
Herrſchaftsrechte und ihrer Aufgaben behalten und keineswegs ihre
politiſche Exiſtenz einbüßen, die Bezeichnung „Staaten“ läßt und
für die neu geſchaffene höhere Gewalt ein anderes Wort, wie
Bund oder Reich, anwendet, anſtatt daß man der Schuldefinition

1) v. Mohl Encyclop. der Staatswiſſenſch. (2. Aufl.) S. 86: „Unrichtig
iſt die Forderung der Souveränetät, wenn darunter vollſtändige Unabhängig-
keit von äußeren Einflüſſen verſtanden ſein ſoll.... Die tägliche Erfahrung
zeigt, daß es politiſche Geſtaltungen giebt, welche in jeder Beziehung die Auf-
gabe eines Staates erfüllen und die Rechte eines ſolchen ausüben, aber doch
nicht ganz unabhängig von einer außer ihnen ſtehenden Gewalt ſind. Sol-
chen Verbindungen iſt die Bezeichnung als Staat niemals
verweigert worden
.“ — Auch v. Gerber Grundz. S. 22 rechnet die
Souveränetät nicht zu den weſentlichen Merkmalen des Staatsbegriffes,
trotzdem er in der Regel als ein Vertreter dieſer Anſicht citirt wird. Er ſagt
nur: „Soll die Staatsgewalt ganz ihrer Idee entſprechen .... ſo muß
ſie ſouverän ſein“ und in der Anm. 5 fügt er erläuternd hinzu: „Souveräne-
tät iſt nicht ſelbſt Staatsgewalt, ſondern bezeichnet nur eine Eigenſchaft der
vollkommenen Staatsgewalt.“ Er giebt daher die Exiſtenz einer unvoll-
kommenen, nicht ſouveränen Staatsgewalt zu. Am beſtimmteſten erklärt ſich
G. Meyer, Erörterungen S. 4 fg., gegen das Erforderniß der Souveräne-
tät. Vgl. auch v. Pözl im Staatswörterbuch von Bluntſchli und Brater II.
S. 285. Hartmann Inſtitutionen des Völkerrechts S. 23.
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[63/0083] §. 7. Das Reich als Rechtsſubject. Souveränetät nicht zu den weſentlichen Merkmalen des Staats- begriffes zählen 1). Wenn mehrere bisher unabhängige Staaten in eine ſolche Verbindung mit einander treten, daß ſie eine höhere Gewalt über ſich haben, ſo hören ſie zwar auf, ſouverän zu ſein, aber ſie brauchen nicht aufzuhören, Staaten zu ſein. Den bisher unabhän- gigen Staaten kann eine ſolche Fülle von Herrſchafts- und Hoheits- rechten, von Aufgaben für die Ordnung des Gemeinweſens und von Machtmitteln zu ihrer Durchführung verbleiben, die neuer- ſchaffene höhere Gewalt kann ſich auf ein ſo geringes Maaß von Herrſchaftsrechten und ſtaatlichen Aufgaben beſchränken, die Glieder können das, was ſie durch ihre Unterordnung unter die höhere Gewalt einbüßen, dadurch, daß ſie an der Ausübung dieſer höheren Gewalt ſelbſt Antheil erlangen, in ſo reichem Maaße erſetzt erhalten, daß es dem allgemeinen Sprachgebrauch und den dem Volke ge- läufigen Anſchauungen vollſtändig entſpricht, dieſe Glieder Staaten zu nennen. Es iſt ganz erklärlich, daß man den bisher ſouverän geweſenen Staaten, welche thatſächlich einen großen Theil ihrer Herrſchaftsrechte und ihrer Aufgaben behalten und keineswegs ihre politiſche Exiſtenz einbüßen, die Bezeichnung „Staaten“ läßt und für die neu geſchaffene höhere Gewalt ein anderes Wort, wie Bund oder Reich, anwendet, anſtatt daß man der Schuldefinition 1) v. Mohl Encyclop. der Staatswiſſenſch. (2. Aufl.) S. 86: „Unrichtig iſt die Forderung der Souveränetät, wenn darunter vollſtändige Unabhängig- keit von äußeren Einflüſſen verſtanden ſein ſoll.... Die tägliche Erfahrung zeigt, daß es politiſche Geſtaltungen giebt, welche in jeder Beziehung die Auf- gabe eines Staates erfüllen und die Rechte eines ſolchen ausüben, aber doch nicht ganz unabhängig von einer außer ihnen ſtehenden Gewalt ſind. Sol- chen Verbindungen iſt die Bezeichnung als Staat niemals verweigert worden.“ — Auch v. Gerber Grundz. S. 22 rechnet die Souveränetät nicht zu den weſentlichen Merkmalen des Staatsbegriffes, trotzdem er in der Regel als ein Vertreter dieſer Anſicht citirt wird. Er ſagt nur: „Soll die Staatsgewalt ganz ihrer Idee entſprechen .... ſo muß ſie ſouverän ſein“ und in der Anm. 5 fügt er erläuternd hinzu: „Souveräne- tät iſt nicht ſelbſt Staatsgewalt, ſondern bezeichnet nur eine Eigenſchaft der vollkommenen Staatsgewalt.“ Er giebt daher die Exiſtenz einer unvoll- kommenen, nicht ſouveränen Staatsgewalt zu. Am beſtimmteſten erklärt ſich G. Meyer, Erörterungen S. 4 fg., gegen das Erforderniß der Souveräne- tät. Vgl. auch v. Pözl im Staatswörterbuch von Bluntſchli und Brater II. S. 285. Hartmann Inſtitutionen des Völkerrechts S. 23.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/83>, abgerufen am 24.11.2024.