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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 7. Das Reich als Rechtssubject.
Gründung des Reiches geführt hat, identifiziren mit der Institu-
tion, welche durch diese Gründung geschaffen worden ist.

Es bleibt demnach -- wenn die Berufung auf die Entstehungs-
geschichte des Reiches zurückgewiesen wird -- nur das logische
Argument Seydel's übrig, daß das Deutsche Reich deshalb kein
Staat sein könne, weil die Mitglieder desselben Staaten seien.
Dieses Argument enthält eine petitio principii und reduzirt sich
auf einen Wortstreit um den Ausdruck "Staat."

Zuzugeben ist, daß es eine oberste und höchste Gewalt geben
muß, die keiner anderen irdischen Gewalt unterworfen ist, die in
Wahrheit die potestas suprema, souverän und folglich untheilbar
ist. Es folgt allerdings aus dem Begriff der Souveränetät, daß
es keine doppelte und keine getheilte Souveränetät giebt 1). Da
nun in der politischen und staatsrechtlichen Literatur der Einheits-
staat als die einfachste und regelmäßige Form gewöhnlich den
Erörterungen über den Staat zu Grunde gelegt und kurzweg mit dem
Staate überhaupt identifizirt wird, so ist es erklärlich, daß man
regelmäßig den unabhängigen, isolirten, also souveränen Staat in
das Auge faßt, um den logischen Begriff des Staates zu abstrahiren
und mithin die Souveränetät als ein wesentliches Moment dieses
Begriffes hinstellt. So wenig man bestreiten kann, daß in der
staatsrechtlichen Theorie diese Begriffsbestimmung des Staates die
fast ausschließlich herrschende ist, so gewiß ist es doch andererseits,
daß der Sprachgebrauch diese doctrinäre Definition vom
Staate widerlegt. Zur Zeit des ehemaligen Deutschen Reiches
hat man nicht angestanden, die nicht souveränen Deutschen Landes-
herrschaften Staaten zu nennen 2); die Mitglieder der Amerika-
nischen Union heißen Staaten; Rumänien, Serbien, Tunis, Tri-
polis, Aegypten und andere nicht souveräne politische Gebilde be-
zeichnet man als Staaten. Es fehlt auch in der Literatur des
Deutschen Staatsrechts nicht an gewichtigen Stimmen, welche die

1) Siehe den folgenden Paragraphen.
2) Zahlreiche, leicht zu vermehrende Belege giebt Brie S. 28 fg. (Note
17--26). Für die ältere Zeit ist auch zu vergleichen Limnäns Jus public.
imp. Rom. I, 1, 10. I, 7, 65 sqq. IV,
7 u. a. In der doctrinären Termi-
nologie des Reichsrechts wird der Ausdruck status ursprünglich grade im Ge-
gensatz zu der souveränen Reichsgewalt gebraucht.

§. 7. Das Reich als Rechtsſubject.
Gründung des Reiches geführt hat, identifiziren mit der Inſtitu-
tion, welche durch dieſe Gründung geſchaffen worden iſt.

Es bleibt demnach — wenn die Berufung auf die Entſtehungs-
geſchichte des Reiches zurückgewieſen wird — nur das logiſche
Argument Seydel’s übrig, daß das Deutſche Reich deshalb kein
Staat ſein könne, weil die Mitglieder deſſelben Staaten ſeien.
Dieſes Argument enthält eine petitio principii und reduzirt ſich
auf einen Wortſtreit um den Ausdruck „Staat.“

Zuzugeben iſt, daß es eine oberſte und höchſte Gewalt geben
muß, die keiner anderen irdiſchen Gewalt unterworfen iſt, die in
Wahrheit die potestas suprema, ſouverän und folglich untheilbar
iſt. Es folgt allerdings aus dem Begriff der Souveränetät, daß
es keine doppelte und keine getheilte Souveränetät giebt 1). Da
nun in der politiſchen und ſtaatsrechtlichen Literatur der Einheits-
ſtaat als die einfachſte und regelmäßige Form gewöhnlich den
Erörterungen über den Staat zu Grunde gelegt und kurzweg mit dem
Staate überhaupt identifizirt wird, ſo iſt es erklärlich, daß man
regelmäßig den unabhängigen, iſolirten, alſo ſouveränen Staat in
das Auge faßt, um den logiſchen Begriff des Staates zu abſtrahiren
und mithin die Souveränetät als ein weſentliches Moment dieſes
Begriffes hinſtellt. So wenig man beſtreiten kann, daß in der
ſtaatsrechtlichen Theorie dieſe Begriffsbeſtimmung des Staates die
faſt ausſchließlich herrſchende iſt, ſo gewiß iſt es doch andererſeits,
daß der Sprachgebrauch dieſe doctrinäre Definition vom
Staate widerlegt. Zur Zeit des ehemaligen Deutſchen Reiches
hat man nicht angeſtanden, die nicht ſouveränen Deutſchen Landes-
herrſchaften Staaten zu nennen 2); die Mitglieder der Amerika-
niſchen Union heißen Staaten; Rumänien, Serbien, Tunis, Tri-
polis, Aegypten und andere nicht ſouveräne politiſche Gebilde be-
zeichnet man als Staaten. Es fehlt auch in der Literatur des
Deutſchen Staatsrechts nicht an gewichtigen Stimmen, welche die

1) Siehe den folgenden Paragraphen.
2) Zahlreiche, leicht zu vermehrende Belege giebt Brie S. 28 fg. (Note
17—26). Für die ältere Zeit iſt auch zu vergleichen Limnäns Jus public.
imp. Rom. I, 1, 10. I, 7, 65 sqq. IV,
7 u. a. In der doctrinären Termi-
nologie des Reichsrechts wird der Ausdruck status urſprünglich grade im Ge-
genſatz zu der ſouveränen Reichsgewalt gebraucht.
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[62/0082] §. 7. Das Reich als Rechtsſubject. Gründung des Reiches geführt hat, identifiziren mit der Inſtitu- tion, welche durch dieſe Gründung geſchaffen worden iſt. Es bleibt demnach — wenn die Berufung auf die Entſtehungs- geſchichte des Reiches zurückgewieſen wird — nur das logiſche Argument Seydel’s übrig, daß das Deutſche Reich deshalb kein Staat ſein könne, weil die Mitglieder deſſelben Staaten ſeien. Dieſes Argument enthält eine petitio principii und reduzirt ſich auf einen Wortſtreit um den Ausdruck „Staat.“ Zuzugeben iſt, daß es eine oberſte und höchſte Gewalt geben muß, die keiner anderen irdiſchen Gewalt unterworfen iſt, die in Wahrheit die potestas suprema, ſouverän und folglich untheilbar iſt. Es folgt allerdings aus dem Begriff der Souveränetät, daß es keine doppelte und keine getheilte Souveränetät giebt 1). Da nun in der politiſchen und ſtaatsrechtlichen Literatur der Einheits- ſtaat als die einfachſte und regelmäßige Form gewöhnlich den Erörterungen über den Staat zu Grunde gelegt und kurzweg mit dem Staate überhaupt identifizirt wird, ſo iſt es erklärlich, daß man regelmäßig den unabhängigen, iſolirten, alſo ſouveränen Staat in das Auge faßt, um den logiſchen Begriff des Staates zu abſtrahiren und mithin die Souveränetät als ein weſentliches Moment dieſes Begriffes hinſtellt. So wenig man beſtreiten kann, daß in der ſtaatsrechtlichen Theorie dieſe Begriffsbeſtimmung des Staates die faſt ausſchließlich herrſchende iſt, ſo gewiß iſt es doch andererſeits, daß der Sprachgebrauch dieſe doctrinäre Definition vom Staate widerlegt. Zur Zeit des ehemaligen Deutſchen Reiches hat man nicht angeſtanden, die nicht ſouveränen Deutſchen Landes- herrſchaften Staaten zu nennen 2); die Mitglieder der Amerika- niſchen Union heißen Staaten; Rumänien, Serbien, Tunis, Tri- polis, Aegypten und andere nicht ſouveräne politiſche Gebilde be- zeichnet man als Staaten. Es fehlt auch in der Literatur des Deutſchen Staatsrechts nicht an gewichtigen Stimmen, welche die 1) Siehe den folgenden Paragraphen. 2) Zahlreiche, leicht zu vermehrende Belege giebt Brie S. 28 fg. (Note 17—26). Für die ältere Zeit iſt auch zu vergleichen Limnäns Jus public. imp. Rom. I, 1, 10. I, 7, 65 sqq. IV, 7 u. a. In der doctrinären Termi- nologie des Reichsrechts wird der Ausdruck status urſprünglich grade im Ge- genſatz zu der ſouveränen Reichsgewalt gebraucht.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/82>, abgerufen am 24.11.2024.