Zeugniß für diese historische völkerrechtliche Grundlage der Reichs- gründung durch Bezugnahme auf den Vertrag, den der Nord- deutsche Bund mit den süddeutschen Staaten geschlossen. Ebenso wenig wird das durch diese Verträge begründete Rechtsver- hältniß durch das Publikationsgesetz tangirt, dasselbe war vielmehr schon am 1. Januar 1871 erloschen durch vollständige gegenseitige Erfüllung. Schon am 1. Januar 1871 trat an die Stelle des Vertrages die Verfassung und zwar diejenige Verfas- sung, welche in den Novemberverträgen vereinbart worden war. Dagegen wird durch das Publikations-Gesetz die formelle Gel- tung dieser, am 1. Januar 1871 auf Grund der No- vember-Verträge in Kraft getretenen Bundesver- fassung beseitigt und -- bei materieller Aufrechterhaltung ihres Inhalts -- durch die formelle Geltung der Reichsverfassung vom 16. April 1871 ersetzt.
Da das Bundesgesetzblatt (Nr. 16), welches das Publikations- gesetz enthält, zu Berlin den 20. April 1871 ausgegeben worden ist, so ist nach Art 2 diese Ablösung der alten (November-) Re- daction durch die neue Redaction im ganzen Reiche am 4. Mai 1871 erfolgt.
Das Inkrafttreten dieser Verfassungs-Redaktion ist nicht mehr als Vertrags-Erfüllung anzusehen und beruht nicht auf den vertragsmäßigen Vereinbarungen, sondern es beruht auf der ge- setzgebenden Gewalt des Reiches, wie dieselbe durch die Verfassung vom 1. Januar 1871 begründet worden war, Das Publikations- Gesetz hat die gewöhnliche Eingangsformel der Reichsgesetze: "Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preu- ßen etc. verordnen hiermit im Namen des Deutschen Reiches, nach erfolgter Zustimmung des Bundesrathes und des Reichs- tages."
2) Die im Art. 80 der in den November-Verträgen verein- barten Verfassung enthaltenen Uebergangsbestimmungen über die Einführung der im Norddeutschen Bunde ergangenen Gesetze in den süddeutschen Staaten sind durch § 2 des Publikations-Gesetzes in Kraft erhalten worden. Es wird zugleich beigefügt: "Die dort bezeichneten Gesetze sind Reichsgesetze." Es wird dadurch der Rechtsgrund ihrer Geltung angegeben; sie gelten nicht als gleich- lautende Landesgesetze, über deren Einführung die Deutschen
§. 5. Die Redaction der Reichsverfaſſung.
Zeugniß für dieſe hiſtoriſche völkerrechtliche Grundlage der Reichs- gründung durch Bezugnahme auf den Vertrag, den der Nord- deutſche Bund mit den ſüddeutſchen Staaten geſchloſſen. Ebenſo wenig wird das durch dieſe Verträge begründete Rechtsver- hältniß durch das Publikationsgeſetz tangirt, daſſelbe war vielmehr ſchon am 1. Januar 1871 erloſchen durch vollſtändige gegenſeitige Erfüllung. Schon am 1. Januar 1871 trat an die Stelle des Vertrages die Verfaſſung und zwar diejenige Verfaſ- ſung, welche in den Novemberverträgen vereinbart worden war. Dagegen wird durch das Publikations-Geſetz die formelle Gel- tung dieſer, am 1. Januar 1871 auf Grund der No- vember-Verträge in Kraft getretenen Bundesver- faſſung beſeitigt und — bei materieller Aufrechterhaltung ihres Inhalts — durch die formelle Geltung der Reichsverfaſſung vom 16. April 1871 erſetzt.
Da das Bundesgeſetzblatt (Nr. 16), welches das Publikations- geſetz enthält, zu Berlin den 20. April 1871 ausgegeben worden iſt, ſo iſt nach Art 2 dieſe Ablöſung der alten (November-) Re- daction durch die neue Redaction im ganzen Reiche am 4. Mai 1871 erfolgt.
Das Inkrafttreten dieſer Verfaſſungs-Redaktion iſt nicht mehr als Vertrags-Erfüllung anzuſehen und beruht nicht auf den vertragsmäßigen Vereinbarungen, ſondern es beruht auf der ge- ſetzgebenden Gewalt des Reiches, wie dieſelbe durch die Verfaſſung vom 1. Januar 1871 begründet worden war, Das Publikations- Geſetz hat die gewöhnliche Eingangsformel der Reichsgeſetze: „Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutſcher Kaiſer, König von Preu- ßen ꝛc. verordnen hiermit im Namen des Deutſchen Reiches, nach erfolgter Zuſtimmung des Bundesrathes und des Reichs- tages.“
2) Die im Art. 80 der in den November-Verträgen verein- barten Verfaſſung enthaltenen Uebergangsbeſtimmungen über die Einführung der im Norddeutſchen Bunde ergangenen Geſetze in den ſüddeutſchen Staaten ſind durch § 2 des Publikations-Geſetzes in Kraft erhalten worden. Es wird zugleich beigefügt: „Die dort bezeichneten Geſetze ſind Reichsgeſetze.“ Es wird dadurch der Rechtsgrund ihrer Geltung angegeben; ſie gelten nicht als gleich- lautende Landesgeſetze, über deren Einführung die Deutſchen
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§. 5. Die Redaction der Reichsverfaſſung.
Zeugniß für dieſe hiſtoriſche völkerrechtliche Grundlage der Reichs-
gründung durch Bezugnahme auf den Vertrag, den der Nord-
deutſche Bund mit den ſüddeutſchen Staaten geſchloſſen. Ebenſo
wenig wird das durch dieſe Verträge begründete Rechtsver-
hältniß durch das Publikationsgeſetz tangirt, daſſelbe war
vielmehr ſchon am 1. Januar 1871 erloſchen durch vollſtändige
gegenſeitige Erfüllung. Schon am 1. Januar 1871 trat an die
Stelle des Vertrages die Verfaſſung und zwar diejenige Verfaſ-
ſung, welche in den Novemberverträgen vereinbart worden war.
Dagegen wird durch das Publikations-Geſetz die formelle Gel-
tung dieſer, am 1. Januar 1871 auf Grund der No-
vember-Verträge in Kraft getretenen Bundesver-
faſſung beſeitigt und — bei materieller Aufrechterhaltung ihres
Inhalts — durch die formelle Geltung der Reichsverfaſſung
vom 16. April 1871 erſetzt.
Da das Bundesgeſetzblatt (Nr. 16), welches das Publikations-
geſetz enthält, zu Berlin den 20. April 1871 ausgegeben worden
iſt, ſo iſt nach Art 2 dieſe Ablöſung der alten (November-) Re-
daction durch die neue Redaction im ganzen Reiche am 4. Mai
1871 erfolgt.
Das Inkrafttreten dieſer Verfaſſungs-Redaktion iſt nicht
mehr als Vertrags-Erfüllung anzuſehen und beruht nicht auf den
vertragsmäßigen Vereinbarungen, ſondern es beruht auf der ge-
ſetzgebenden Gewalt des Reiches, wie dieſelbe durch die Verfaſſung
vom 1. Januar 1871 begründet worden war, Das Publikations-
Geſetz hat die gewöhnliche Eingangsformel der Reichsgeſetze: „Wir
Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutſcher Kaiſer, König von Preu-
ßen ꝛc. verordnen hiermit im Namen des Deutſchen Reiches,
nach erfolgter Zuſtimmung des Bundesrathes und des Reichs-
tages.“
2) Die im Art. 80 der in den November-Verträgen verein-
barten Verfaſſung enthaltenen Uebergangsbeſtimmungen über die
Einführung der im Norddeutſchen Bunde ergangenen Geſetze in
den ſüddeutſchen Staaten ſind durch § 2 des Publikations-Geſetzes
in Kraft erhalten worden. Es wird zugleich beigefügt: „Die dort
bezeichneten Geſetze ſind Reichsgeſetze.“ Es wird dadurch der
Rechtsgrund ihrer Geltung angegeben; ſie gelten nicht als gleich-
lautende Landesgeſetze, über deren Einführung die Deutſchen
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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/70>, abgerufen am 04.07.2024.
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