Gesetzes hatte nicht Anwendung gefunden. Die Nachholung dieser Form war dem Reiche selbst nach seiner definitiven Gründung vorbehalten.
Die Gründung desselben erfolgte am 1. Januar 1871 und zwar auch in Beziehung auf Bayern; denn obgleich die Bayrische Landesvertretung erst am 21. Januar 1871 den Vertrag geneh- migte und die Ratificationen desselben erst am 29. Januar 1871 ausgetauscht wurden, so enthält doch der Vertrag selbst die Be- stimmung, daß er am 1. Januar 1871 in Wirksamkeit treten soll und diese Bestimmung wurde mit genehmigt 1). Die Verzögerung der Genehmigung des Bayrischen Landtages suspendirte nicht die rechtzeitige Erfüllung des Vertrages, sondern die Versagung der Genehmigung hätte sie resolvirt, die Erfüllung erfolgte unter der selbstverständlichen Voraussetzung (iuris conditio) der nachfolgenden Ratihabirung Seitens des bayrischen Landtages. Am 1. Januar 1871 ist die in den November-Verträgen festge- stellte Verfassung in gesetzliche Geltung getreten. Die Gründung des Deutschen Reiches stellt sich -- wie die Errichtung des Nord- deutschen Bundes -- als eine Handlung dar, welche der Nord- deutsche Bund, Hessen, Baden, Württemberg und Bayern am 1. Januar 1871 vollzogen und durch welche sie die November- Verträge erfüllten. Am 18. Januar 1871 erließ der König von Preußen vom Hauptquartier Versailles aus eine Proklamation an das deutsche Volk, worin er die Annahme des kaiserlichen Ti- tels bekannt machte.
Das rechtliche Interesse, welches Oesterreich an der Vereini- gung der süddeutschen Staaten mit dem Norddeutschen Bunde wegen des Artikels 4 des Prager Friedens hatte, wurde auf diplomatischem Wege gewahrt und erledigt, indem der Kanzler des Norddeutschen Bundes der kais. Oesterreichischen Regierung am 14. Dezember 1870 formelle Anzeige machte und darauf Oesterreich durch eine Note vom 26. Dezember 1870 der Errich- tung des Deutschen Reiches ausdrücklich zustimmte und das Reich formell anerkannte.
1) Vgl. Verhandlungen des Reichstages 1871 Stenogr. Berichte S. 787 ff. Thudichum in Holzendorff's Jahrb. I. 1 S. 5. v. Rönne S. 25. Rie- del S. 4.
§. 4. Die Gründung des Deutſchen Reiches.
Geſetzes hatte nicht Anwendung gefunden. Die Nachholung dieſer Form war dem Reiche ſelbſt nach ſeiner definitiven Gründung vorbehalten.
Die Gründung deſſelben erfolgte am 1. Januar 1871 und zwar auch in Beziehung auf Bayern; denn obgleich die Bayriſche Landesvertretung erſt am 21. Januar 1871 den Vertrag geneh- migte und die Ratificationen deſſelben erſt am 29. Januar 1871 ausgetauſcht wurden, ſo enthält doch der Vertrag ſelbſt die Be- ſtimmung, daß er am 1. Januar 1871 in Wirkſamkeit treten ſoll und dieſe Beſtimmung wurde mit genehmigt 1). Die Verzögerung der Genehmigung des Bayriſchen Landtages ſuspendirte nicht die rechtzeitige Erfüllung des Vertrages, ſondern die Verſagung der Genehmigung hätte ſie reſolvirt, die Erfüllung erfolgte unter der ſelbſtverſtändlichen Vorausſetzung (iuris conditio) der nachfolgenden Ratihabirung Seitens des bayriſchen Landtages. Am 1. Januar 1871 iſt die in den November-Verträgen feſtge- ſtellte Verfaſſung in geſetzliche Geltung getreten. Die Gründung des Deutſchen Reiches ſtellt ſich — wie die Errichtung des Nord- deutſchen Bundes — als eine Handlung dar, welche der Nord- deutſche Bund, Heſſen, Baden, Württemberg und Bayern am 1. Januar 1871 vollzogen und durch welche ſie die November- Verträge erfüllten. Am 18. Januar 1871 erließ der König von Preußen vom Hauptquartier Verſailles aus eine Proklamation an das deutſche Volk, worin er die Annahme des kaiſerlichen Ti- tels bekannt machte.
Das rechtliche Intereſſe, welches Oeſterreich an der Vereini- gung der ſüddeutſchen Staaten mit dem Norddeutſchen Bunde wegen des Artikels 4 des Prager Friedens hatte, wurde auf diplomatiſchem Wege gewahrt und erledigt, indem der Kanzler des Norddeutſchen Bundes der kaiſ. Oeſterreichiſchen Regierung am 14. Dezember 1870 formelle Anzeige machte und darauf Oeſterreich durch eine Note vom 26. Dezember 1870 der Errich- tung des Deutſchen Reiches ausdrücklich zuſtimmte und das Reich formell anerkannte.
1) Vgl. Verhandlungen des Reichstages 1871 Stenogr. Berichte S. 787 ff. Thudichum in Holzendorff’s Jahrb. I. 1 S. 5. v. Rönne S. 25. Rie- del S. 4.
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§. 4. Die Gründung des Deutſchen Reiches.
Geſetzes hatte nicht Anwendung gefunden. Die Nachholung dieſer
Form war dem Reiche ſelbſt nach ſeiner definitiven Gründung
vorbehalten.
Die Gründung deſſelben erfolgte am 1. Januar 1871 und
zwar auch in Beziehung auf Bayern; denn obgleich die Bayriſche
Landesvertretung erſt am 21. Januar 1871 den Vertrag geneh-
migte und die Ratificationen deſſelben erſt am 29. Januar 1871
ausgetauſcht wurden, ſo enthält doch der Vertrag ſelbſt die Be-
ſtimmung, daß er am 1. Januar 1871 in Wirkſamkeit treten ſoll
und dieſe Beſtimmung wurde mit genehmigt 1). Die Verzögerung
der Genehmigung des Bayriſchen Landtages ſuspendirte nicht
die rechtzeitige Erfüllung des Vertrages, ſondern die Verſagung
der Genehmigung hätte ſie reſolvirt, die Erfüllung erfolgte
unter der ſelbſtverſtändlichen Vorausſetzung (iuris conditio) der
nachfolgenden Ratihabirung Seitens des bayriſchen Landtages.
Am 1. Januar 1871 iſt die in den November-Verträgen feſtge-
ſtellte Verfaſſung in geſetzliche Geltung getreten. Die Gründung
des Deutſchen Reiches ſtellt ſich — wie die Errichtung des Nord-
deutſchen Bundes — als eine Handlung dar, welche der Nord-
deutſche Bund, Heſſen, Baden, Württemberg und Bayern am
1. Januar 1871 vollzogen und durch welche ſie die November-
Verträge erfüllten. Am 18. Januar 1871 erließ der König
von Preußen vom Hauptquartier Verſailles aus eine Proklamation
an das deutſche Volk, worin er die Annahme des kaiſerlichen Ti-
tels bekannt machte.
Das rechtliche Intereſſe, welches Oeſterreich an der Vereini-
gung der ſüddeutſchen Staaten mit dem Norddeutſchen Bunde
wegen des Artikels 4 des Prager Friedens hatte, wurde auf
diplomatiſchem Wege gewahrt und erledigt, indem der Kanzler
des Norddeutſchen Bundes der kaiſ. Oeſterreichiſchen Regierung
am 14. Dezember 1870 formelle Anzeige machte und darauf
Oeſterreich durch eine Note vom 26. Dezember 1870 der Errich-
tung des Deutſchen Reiches ausdrücklich zuſtimmte und das Reich
formell anerkannte.
1) Vgl. Verhandlungen des Reichstages 1871 Stenogr. Berichte S. 787 ff.
Thudichum in Holzendorff’s Jahrb. I. 1 S. 5. v. Rönne S. 25. Rie-
del S. 4.
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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/67>, abgerufen am 24.11.2024.
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