Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

Bild:
<< vorherige Seite

§. 54. Bundesglied und Reichsland.
unabhängiges Subject, welchem die Landes-Hoheit über Elsaß-
Lothringen als eigenes Recht zustand, sondern das Reichsland war
lediglich Object der Reichsgewalt, welches zur unbeschränkten Ver-
fügung des letzteren stand.

Es wäre nun allerdings möglich gewesen, daß das Reich vor
der Aufnahme Elsaß-Lothringens in den Reichsverband oder gleich-
zeitig mit derselben, das Reichsland zu einem Staate constituirt,
ihm eine öffentlich rechtliche Persönlichkeit beigelegt hätte. Dies
ist aber nicht geschehen. Das Reich hat vielmehr seine Hoheitsrechte
uneingeschränkt und ungeschmälert behalten. Bei der Vereinigung
von Elsaß-Lothringen mit dem Reiche waren Regierung und Reichs-
tag darüber völlig einverstanden, daß das Reichsland den recht-
lichen Charakter eines Staates nicht erhalten solte 1).

Das Reichsgesetz vom 9. Juni 1871 §. 3 Abs. 1 verfügt:
"Die Staatsgewalt in Elsaß und Lothringen übt der Kaiser aus."
Dies ist eine Delegation; es ist die Bestimmung desjenigen Organes,
dessen sich das Reich behufs Ausübung seiner Staatsgewalt be-
dient. Der Kaiser ist nicht Landesherr von Elsaß-Lothringen wie

1871, der Tag der Ratisikation des Präliminar-Friedens. Vgl. Löning a. a. O.
S. 182 fg.
1) Motive zum Vereinigungs-Gesetz sub I: "Das von Frankreich ab-
getretene Gebiet ist nicht bestimmt einen mit eigner Staatshoheit bekleideten
Bundesstaat zu bilden; die Landeshoheit über dasselbe ruht im Reiche." Ferner
Kommissionsbericht des Reichstags S. 3 fg. u. S. 16. Staatsmini-
ster Delbrück in der Reichstagssitzung vom 20. Mai 1871. (Stenogr. Ber.
S. 826): "Die formellen Schwierigkeiten, die in der Stellung eines Landes
liegen, welches nicht Theil eines Bundesstaates und welches auch selbst
kein Bundesstaat ist
-- diese formellen Schwierigkeiten, die ich nicht ver-
kenne, können an sich unmöglich davon abhalten, dem Lande eine solche Stel-
lung zu geben, wenn man der Ueberzeugung ist, diese Stellung ist an sich
richtig." Vgl. ferner die Aeußerungen der Reichstags-Mitglieder v. Treitschke,
Wagener, Lasker in derselben Sitzung des Reichstags. (Stenogr. Berichte 1871.
I. Sess. S. 815. 819. 828.) Auch Fürst Bismarck erklärte in der Com-
mission des Reichstages: "Der Begriff eines Reichslandes sei mit dem eines
selbstständigen Staatswesens nicht congruent." (Zweiter Bericht v. 1. Juni 1871.
Drucksachen Nr. 169. S. 6.) In der Literatur des Deutschen Reichsrechts
vertritt nur Seydel Comment. S. 31 die Ansicht, daß das Reichsland ein
Staat sei. Da er davon ausgeht, daß das Deutsche Reich kein Gesammt-
staat, sondern eine Verbindung von Staaten sei, so war es für ihn ein Gebot
der Logik, auch das Reichsland als Staat aufzufassen.

§. 54. Bundesglied und Reichsland.
unabhängiges Subject, welchem die Landes-Hoheit über Elſaß-
Lothringen als eigenes Recht zuſtand, ſondern das Reichsland war
lediglich Object der Reichsgewalt, welches zur unbeſchränkten Ver-
fügung des letzteren ſtand.

Es wäre nun allerdings möglich geweſen, daß das Reich vor
der Aufnahme Elſaß-Lothringens in den Reichsverband oder gleich-
zeitig mit derſelben, das Reichsland zu einem Staate conſtituirt,
ihm eine öffentlich rechtliche Perſönlichkeit beigelegt hätte. Dies
iſt aber nicht geſchehen. Das Reich hat vielmehr ſeine Hoheitsrechte
uneingeſchränkt und ungeſchmälert behalten. Bei der Vereinigung
von Elſaß-Lothringen mit dem Reiche waren Regierung und Reichs-
tag darüber völlig einverſtanden, daß das Reichsland den recht-
lichen Charakter eines Staates nicht erhalten ſolte 1).

Das Reichsgeſetz vom 9. Juni 1871 §. 3 Abſ. 1 verfügt:
„Die Staatsgewalt in Elſaß und Lothringen übt der Kaiſer aus.“
Dies iſt eine Delegation; es iſt die Beſtimmung desjenigen Organes,
deſſen ſich das Reich behufs Ausübung ſeiner Staatsgewalt be-
dient. Der Kaiſer iſt nicht Landesherr von Elſaß-Lothringen wie

1871, der Tag der Ratiſikation des Präliminar-Friedens. Vgl. Löning a. a. O.
S. 182 fg.
1) Motive zum Vereinigungs-Geſetz sub I: „Das von Frankreich ab-
getretene Gebiet iſt nicht beſtimmt einen mit eigner Staatshoheit bekleideten
Bundesſtaat zu bilden; die Landeshoheit über daſſelbe ruht im Reiche.“ Ferner
Kommiſſionsbericht des Reichstags S. 3 fg. u. S. 16. Staatsmini-
ſter Delbrück in der Reichstagsſitzung vom 20. Mai 1871. (Stenogr. Ber.
S. 826): „Die formellen Schwierigkeiten, die in der Stellung eines Landes
liegen, welches nicht Theil eines Bundesſtaates und welches auch ſelbſt
kein Bundesſtaat iſt
— dieſe formellen Schwierigkeiten, die ich nicht ver-
kenne, können an ſich unmöglich davon abhalten, dem Lande eine ſolche Stel-
lung zu geben, wenn man der Ueberzeugung iſt, dieſe Stellung iſt an ſich
richtig.“ Vgl. ferner die Aeußerungen der Reichstags-Mitglieder v. Treitſchke,
Wagener, Lasker in derſelben Sitzung des Reichstags. (Stenogr. Berichte 1871.
I. Seſſ. S. 815. 819. 828.) Auch Fürſt Bismarck erklärte in der Com-
miſſion des Reichstages: „Der Begriff eines Reichslandes ſei mit dem eines
ſelbſtſtändigen Staatsweſens nicht congruent.“ (Zweiter Bericht v. 1. Juni 1871.
Druckſachen Nr. 169. S. 6.) In der Literatur des Deutſchen Reichsrechts
vertritt nur Seydel Comment. S. 31 die Anſicht, daß das Reichsland ein
Staat ſei. Da er davon ausgeht, daß das Deutſche Reich kein Geſammt-
ſtaat, ſondern eine Verbindung von Staaten ſei, ſo war es für ihn ein Gebot
der Logik, auch das Reichsland als Staat aufzufaſſen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0603" n="583"/><fw place="top" type="header">§. 54. Bundesglied und Reichsland.</fw><lb/>
unabhängiges Subject, welchem die Landes-Hoheit über El&#x017F;aß-<lb/>
Lothringen als eigenes Recht zu&#x017F;tand, &#x017F;ondern das Reichsland war<lb/>
lediglich Object der Reichsgewalt, welches zur unbe&#x017F;chränkten Ver-<lb/>
fügung des letzteren &#x017F;tand.</p><lb/>
          <p>Es wäre nun allerdings möglich gewe&#x017F;en, daß das Reich vor<lb/>
der Aufnahme El&#x017F;aß-Lothringens in den Reichsverband oder gleich-<lb/>
zeitig mit der&#x017F;elben, das Reichsland zu einem Staate con&#x017F;tituirt,<lb/>
ihm eine öffentlich rechtliche Per&#x017F;önlichkeit beigelegt hätte. Dies<lb/>
i&#x017F;t aber nicht ge&#x017F;chehen. Das Reich hat vielmehr &#x017F;eine Hoheitsrechte<lb/>
uneinge&#x017F;chränkt und unge&#x017F;chmälert behalten. Bei der Vereinigung<lb/>
von El&#x017F;aß-Lothringen mit dem Reiche waren Regierung und Reichs-<lb/>
tag darüber völlig einver&#x017F;tanden, daß das Reichsland den recht-<lb/>
lichen Charakter eines Staates nicht erhalten &#x017F;olte <note place="foot" n="1)"><hi rendition="#g">Motive</hi> zum Vereinigungs-Ge&#x017F;etz <hi rendition="#aq">sub I:</hi> &#x201E;Das von Frankreich ab-<lb/>
getretene Gebiet i&#x017F;t nicht be&#x017F;timmt einen mit eigner Staatshoheit bekleideten<lb/>
Bundes&#x017F;taat zu bilden; die Landeshoheit über da&#x017F;&#x017F;elbe ruht im Reiche.&#x201C; Ferner<lb/><hi rendition="#g">Kommi&#x017F;&#x017F;ionsbericht</hi> des Reichstags S. 3 fg. u. S. 16. Staatsmini-<lb/>
&#x017F;ter <hi rendition="#g">Delbrück</hi> in der Reichstags&#x017F;itzung vom 20. Mai 1871. (Stenogr. Ber.<lb/>
S. 826): &#x201E;Die formellen Schwierigkeiten, die in der Stellung eines Landes<lb/>
liegen, welches nicht Theil eines Bundes&#x017F;taates <hi rendition="#g">und welches auch &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
kein Bundes&#x017F;taat i&#x017F;t</hi> &#x2014; die&#x017F;e formellen Schwierigkeiten, die ich nicht ver-<lb/>
kenne, können an &#x017F;ich unmöglich davon abhalten, dem Lande eine &#x017F;olche Stel-<lb/>
lung zu geben, wenn man der Ueberzeugung i&#x017F;t, die&#x017F;e Stellung i&#x017F;t an &#x017F;ich<lb/>
richtig.&#x201C; Vgl. ferner die Aeußerungen der Reichstags-Mitglieder v. Treit&#x017F;chke,<lb/>
Wagener, Lasker in der&#x017F;elben Sitzung des Reichstags. (Stenogr. Berichte 1871.<lb/><hi rendition="#aq">I.</hi> Se&#x017F;&#x017F;. S. 815. 819. 828.) Auch Für&#x017F;t <hi rendition="#g">Bismarck</hi> erklärte in der Com-<lb/>
mi&#x017F;&#x017F;ion des Reichstages: &#x201E;Der Begriff eines Reichslandes &#x017F;ei mit dem eines<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t&#x017F;tändigen Staatswe&#x017F;ens nicht congruent.&#x201C; (Zweiter Bericht v. 1. Juni 1871.<lb/>
Druck&#x017F;achen Nr. 169. S. 6.) In der <hi rendition="#g">Literatur</hi> des Deut&#x017F;chen Reichsrechts<lb/>
vertritt nur <hi rendition="#g">Seydel</hi> Comment. S. 31 die An&#x017F;icht, daß das Reichsland ein<lb/><hi rendition="#g">Staat</hi> &#x017F;ei. Da er davon ausgeht, daß das Deut&#x017F;che Reich kein Ge&#x017F;ammt-<lb/>
&#x017F;taat, &#x017F;ondern eine Verbindung von Staaten &#x017F;ei, &#x017F;o war es für ihn ein Gebot<lb/>
der Logik, auch das Reichsland als Staat aufzufa&#x017F;&#x017F;en.</note>.</p><lb/>
          <p>Das Reichsge&#x017F;etz vom 9. Juni 1871 §. 3 Ab&#x017F;. 1 verfügt:<lb/>
&#x201E;Die Staatsgewalt in El&#x017F;aß und Lothringen übt der Kai&#x017F;er aus.&#x201C;<lb/>
Dies i&#x017F;t eine Delegation; es i&#x017F;t die Be&#x017F;timmung desjenigen Organes,<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich das Reich behufs Ausübung <hi rendition="#g">&#x017F;einer</hi> Staatsgewalt be-<lb/>
dient. Der Kai&#x017F;er i&#x017F;t nicht Landesherr von El&#x017F;aß-Lothringen wie<lb/><note xml:id="seg2pn_70_2" prev="#seg2pn_70_1" place="foot" n="1)">1871, der Tag der Rati&#x017F;ikation des Präliminar-Friedens. Vgl. <hi rendition="#g">Löning</hi> a. a. O.<lb/>
S. 182 fg.</note><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[583/0603] §. 54. Bundesglied und Reichsland. unabhängiges Subject, welchem die Landes-Hoheit über Elſaß- Lothringen als eigenes Recht zuſtand, ſondern das Reichsland war lediglich Object der Reichsgewalt, welches zur unbeſchränkten Ver- fügung des letzteren ſtand. Es wäre nun allerdings möglich geweſen, daß das Reich vor der Aufnahme Elſaß-Lothringens in den Reichsverband oder gleich- zeitig mit derſelben, das Reichsland zu einem Staate conſtituirt, ihm eine öffentlich rechtliche Perſönlichkeit beigelegt hätte. Dies iſt aber nicht geſchehen. Das Reich hat vielmehr ſeine Hoheitsrechte uneingeſchränkt und ungeſchmälert behalten. Bei der Vereinigung von Elſaß-Lothringen mit dem Reiche waren Regierung und Reichs- tag darüber völlig einverſtanden, daß das Reichsland den recht- lichen Charakter eines Staates nicht erhalten ſolte 1). Das Reichsgeſetz vom 9. Juni 1871 §. 3 Abſ. 1 verfügt: „Die Staatsgewalt in Elſaß und Lothringen übt der Kaiſer aus.“ Dies iſt eine Delegation; es iſt die Beſtimmung desjenigen Organes, deſſen ſich das Reich behufs Ausübung ſeiner Staatsgewalt be- dient. Der Kaiſer iſt nicht Landesherr von Elſaß-Lothringen wie 1) 1) Motive zum Vereinigungs-Geſetz sub I: „Das von Frankreich ab- getretene Gebiet iſt nicht beſtimmt einen mit eigner Staatshoheit bekleideten Bundesſtaat zu bilden; die Landeshoheit über daſſelbe ruht im Reiche.“ Ferner Kommiſſionsbericht des Reichstags S. 3 fg. u. S. 16. Staatsmini- ſter Delbrück in der Reichstagsſitzung vom 20. Mai 1871. (Stenogr. Ber. S. 826): „Die formellen Schwierigkeiten, die in der Stellung eines Landes liegen, welches nicht Theil eines Bundesſtaates und welches auch ſelbſt kein Bundesſtaat iſt — dieſe formellen Schwierigkeiten, die ich nicht ver- kenne, können an ſich unmöglich davon abhalten, dem Lande eine ſolche Stel- lung zu geben, wenn man der Ueberzeugung iſt, dieſe Stellung iſt an ſich richtig.“ Vgl. ferner die Aeußerungen der Reichstags-Mitglieder v. Treitſchke, Wagener, Lasker in derſelben Sitzung des Reichstags. (Stenogr. Berichte 1871. I. Seſſ. S. 815. 819. 828.) Auch Fürſt Bismarck erklärte in der Com- miſſion des Reichstages: „Der Begriff eines Reichslandes ſei mit dem eines ſelbſtſtändigen Staatsweſens nicht congruent.“ (Zweiter Bericht v. 1. Juni 1871. Druckſachen Nr. 169. S. 6.) In der Literatur des Deutſchen Reichsrechts vertritt nur Seydel Comment. S. 31 die Anſicht, daß das Reichsland ein Staat ſei. Da er davon ausgeht, daß das Deutſche Reich kein Geſammt- ſtaat, ſondern eine Verbindung von Staaten ſei, ſo war es für ihn ein Gebot der Logik, auch das Reichsland als Staat aufzufaſſen. 1) 1871, der Tag der Ratiſikation des Präliminar-Friedens. Vgl. Löning a. a. O. S. 182 fg.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/603
Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 583. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/603>, abgerufen am 03.05.2024.