Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.§. 51. Formelle Ordnung der Reichstags-Geschäfte. aber an die allgemeinen Bedingungen geknüpft, welche der Art. 28der R.-V. für alle Beschlüsse des Reichstags aufstellt. Hat der Reichstag also einmal eine Geschäfts-Ordnung angenommen, so ist sie für ihn als Gesammtheit und für jedes einzelne Mitglied so lange bindend, bis ein ordnungsmäßig gefaßter Beschluß sie ab- ändert. Da die vom Reichstage des Norddeutschen Bundes an- genommene Geschäfts-Ordnung vom 12. Juni 1868 sich als zweck- mäßig erwiesen hat, so ist sie von den folgenden Reichstagen immer wieder angenommen worden und bis auf geringfügige und untergeordnete Punkte unverändert geblieben 1). Man darf daher annehmen, da die parlamentarische Praxis ebenso wenig wie die gerichtliche und Verwaltungs-Praxis geneigt ist, hergebrachte und als brauchbar bewährte Übungen ohne dringenden Grund zu verlassen und zu verändern, daß mindestens die Grundlinien der jetzigen Geschäfts-Ordnung eine dauerndere Bedeutung für das Recht des Reiches haben, als ihnen theoretisch nach der Art des Zustandekommens der Geschäftsordnung zugeschrieben werden kann 2). Im Einzelnen gilt über die Geschäftsformen des Reichstages 1) Die Verhandlungen des Reichstages sind öf- a) Dem Publikum ist gestattet, bei den Sitzungen des Reichs- 1) Unter den Ergänzungen und Abänderungen, welche dieselbe erfahren hat, sind hervorzuheben die Beschlüsse vom 9. April 1874 über die Art der Abstimmung und Zählung (Gesch.-O. §. 52. 52a). Stenogr. Ber. 1874 S. 680 ff. und vom 11. Nov. 1874 (Stenogr. Ber. 1874/75 S. 98). 2) Abdrücke der Geschäfts-Ordnung des Reichstages finden sich in Hirth's
Annalen 1868. I. T. 913 ff., in desselben Parlaments-Almanach 1869 S. 256 fg. und in v. Holtzendorff's Jahrb. I. S. 87 ff. (1871). §. 51. Formelle Ordnung der Reichstags-Geſchäfte. aber an die allgemeinen Bedingungen geknüpft, welche der Art. 28der R.-V. für alle Beſchlüſſe des Reichstags aufſtellt. Hat der Reichstag alſo einmal eine Geſchäfts-Ordnung angenommen, ſo iſt ſie für ihn als Geſammtheit und für jedes einzelne Mitglied ſo lange bindend, bis ein ordnungsmäßig gefaßter Beſchluß ſie ab- ändert. Da die vom Reichstage des Norddeutſchen Bundes an- genommene Geſchäfts-Ordnung vom 12. Juni 1868 ſich als zweck- mäßig erwieſen hat, ſo iſt ſie von den folgenden Reichstagen immer wieder angenommen worden und bis auf geringfügige und untergeordnete Punkte unverändert geblieben 1). Man darf daher annehmen, da die parlamentariſche Praxis ebenſo wenig wie die gerichtliche und Verwaltungs-Praxis geneigt iſt, hergebrachte und als brauchbar bewährte Übungen ohne dringenden Grund zu verlaſſen und zu verändern, daß mindeſtens die Grundlinien der jetzigen Geſchäfts-Ordnung eine dauerndere Bedeutung für das Recht des Reiches haben, als ihnen theoretiſch nach der Art des Zuſtandekommens der Geſchäftsordnung zugeſchrieben werden kann 2). Im Einzelnen gilt über die Geſchäftsformen des Reichstages 1) Die Verhandlungen des Reichstages ſind öf- a) Dem Publikum iſt geſtattet, bei den Sitzungen des Reichs- 1) Unter den Ergänzungen und Abänderungen, welche dieſelbe erfahren hat, ſind hervorzuheben die Beſchlüſſe vom 9. April 1874 über die Art der Abſtimmung und Zählung (Geſch.-O. §. 52. 52a). Stenogr. Ber. 1874 S. 680 ff. und vom 11. Nov. 1874 (Stenogr. Ber. 1874/75 S. 98). 2) Abdrücke der Geſchäfts-Ordnung des Reichstages finden ſich in Hirth’s
Annalen 1868. I. T. 913 ff., in deſſelben Parlaments-Almanach 1869 S. 256 fg. und in v. Holtzendorff’s Jahrb. I. S. 87 ff. (1871). <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0580" n="560"/><fw place="top" type="header">§. 51. Formelle Ordnung der Reichstags-Geſchäfte.</fw><lb/> aber an die allgemeinen Bedingungen geknüpft, welche der Art. 28<lb/> der R.-V. für <hi rendition="#g">alle</hi> Beſchlüſſe des Reichstags aufſtellt. Hat der<lb/> Reichstag alſo einmal eine Geſchäfts-Ordnung angenommen, ſo iſt<lb/> ſie für ihn als Geſammtheit und für jedes einzelne Mitglied ſo<lb/> lange bindend, bis ein ordnungsmäßig gefaßter Beſchluß ſie ab-<lb/> ändert. Da die vom Reichstage des Norddeutſchen Bundes an-<lb/> genommene Geſchäfts-Ordnung vom 12. Juni 1868 ſich als zweck-<lb/> mäßig erwieſen hat, ſo iſt ſie von den folgenden Reichstagen<lb/> immer wieder angenommen worden und bis auf geringfügige<lb/> und untergeordnete Punkte unverändert geblieben <note place="foot" n="1)">Unter den Ergänzungen und Abänderungen, welche dieſelbe erfahren<lb/> hat, ſind hervorzuheben die Beſchlüſſe vom 9. April 1874 über die Art der<lb/> Abſtimmung und Zählung (Geſch.-O. §. 52. 52<hi rendition="#aq">a</hi>). Stenogr. Ber. 1874 S. 680 ff.<lb/> und vom 11. Nov. 1874 (Stenogr. Ber. 1874/75 S. 98).</note>. Man darf<lb/> daher annehmen, da die parlamentariſche Praxis ebenſo wenig wie<lb/> die gerichtliche und Verwaltungs-Praxis geneigt iſt, hergebrachte<lb/> und als brauchbar bewährte Übungen ohne dringenden Grund zu<lb/> verlaſſen und zu verändern, daß mindeſtens die Grundlinien der<lb/> jetzigen Geſchäfts-Ordnung eine dauerndere Bedeutung für das<lb/> Recht des Reiches haben, als ihnen theoretiſch nach der Art des<lb/> Zuſtandekommens der Geſchäftsordnung zugeſchrieben werden kann <note place="foot" n="2)">Abdrücke der Geſchäfts-Ordnung des Reichstages finden ſich in <hi rendition="#g">Hirth</hi>’s<lb/> Annalen 1868. <hi rendition="#aq">I.</hi> T. 913 ff., in deſſelben Parlaments-Almanach 1869 S. 256 fg.<lb/> und in v. <hi rendition="#g">Holtzendorff</hi>’s Jahrb. <hi rendition="#aq">I.</hi> S. 87 ff. (1871).</note>.</p><lb/> <p>Im Einzelnen gilt über die Geſchäftsformen des Reichstages<lb/> Folgendes:</p><lb/> <p>1) <hi rendition="#g">Die Verhandlungen des Reichstages ſind öf-<lb/> fentlich</hi>. R.-V. Art. 22 Abſ. 1. Die Öffentlichkeit und die durch<lb/> dieſelbe vermittelte, fortwährende Wechſelwirkung zwiſchen dem<lb/> Reichstage und der öffentlichen Meinung gehört zum Weſen aller<lb/> parlamentariſchen Thätigkeit. Die Öffentlichkeit der Verhandlungen<lb/> des Reichstages iſt aber wieder doppelter Art:</p><lb/> <p><hi rendition="#aq">a</hi>) Dem Publikum iſt geſtattet, bei den Sitzungen des Reichs-<lb/> tages zugegen zu ſein. Die Handhabung der Polizei im Sitzungs-<lb/> Gebäude und in den Zuhörer-Räumen ſteht dem Präſidenten zu;<lb/> er kann Perſonen, welche von der Tribüne Zeichen des Beifalls<lb/> oder Mißfallens geben oder ſonſt die Ordnung oder den Anſtand<lb/> verletzen, entfernen laſſen und, wenn eine ſtörende Unruhe auf<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [560/0580]
§. 51. Formelle Ordnung der Reichstags-Geſchäfte.
aber an die allgemeinen Bedingungen geknüpft, welche der Art. 28
der R.-V. für alle Beſchlüſſe des Reichstags aufſtellt. Hat der
Reichstag alſo einmal eine Geſchäfts-Ordnung angenommen, ſo iſt
ſie für ihn als Geſammtheit und für jedes einzelne Mitglied ſo
lange bindend, bis ein ordnungsmäßig gefaßter Beſchluß ſie ab-
ändert. Da die vom Reichstage des Norddeutſchen Bundes an-
genommene Geſchäfts-Ordnung vom 12. Juni 1868 ſich als zweck-
mäßig erwieſen hat, ſo iſt ſie von den folgenden Reichstagen
immer wieder angenommen worden und bis auf geringfügige
und untergeordnete Punkte unverändert geblieben 1). Man darf
daher annehmen, da die parlamentariſche Praxis ebenſo wenig wie
die gerichtliche und Verwaltungs-Praxis geneigt iſt, hergebrachte
und als brauchbar bewährte Übungen ohne dringenden Grund zu
verlaſſen und zu verändern, daß mindeſtens die Grundlinien der
jetzigen Geſchäfts-Ordnung eine dauerndere Bedeutung für das
Recht des Reiches haben, als ihnen theoretiſch nach der Art des
Zuſtandekommens der Geſchäftsordnung zugeſchrieben werden kann 2).
Im Einzelnen gilt über die Geſchäftsformen des Reichstages
Folgendes:
1) Die Verhandlungen des Reichstages ſind öf-
fentlich. R.-V. Art. 22 Abſ. 1. Die Öffentlichkeit und die durch
dieſelbe vermittelte, fortwährende Wechſelwirkung zwiſchen dem
Reichstage und der öffentlichen Meinung gehört zum Weſen aller
parlamentariſchen Thätigkeit. Die Öffentlichkeit der Verhandlungen
des Reichstages iſt aber wieder doppelter Art:
a) Dem Publikum iſt geſtattet, bei den Sitzungen des Reichs-
tages zugegen zu ſein. Die Handhabung der Polizei im Sitzungs-
Gebäude und in den Zuhörer-Räumen ſteht dem Präſidenten zu;
er kann Perſonen, welche von der Tribüne Zeichen des Beifalls
oder Mißfallens geben oder ſonſt die Ordnung oder den Anſtand
verletzen, entfernen laſſen und, wenn eine ſtörende Unruhe auf
1) Unter den Ergänzungen und Abänderungen, welche dieſelbe erfahren
hat, ſind hervorzuheben die Beſchlüſſe vom 9. April 1874 über die Art der
Abſtimmung und Zählung (Geſch.-O. §. 52. 52a). Stenogr. Ber. 1874 S. 680 ff.
und vom 11. Nov. 1874 (Stenogr. Ber. 1874/75 S. 98).
2) Abdrücke der Geſchäfts-Ordnung des Reichstages finden ſich in Hirth’s
Annalen 1868. I. T. 913 ff., in deſſelben Parlaments-Almanach 1869 S. 256 fg.
und in v. Holtzendorff’s Jahrb. I. S. 87 ff. (1871).
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