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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 2. Die Gründung des nordd. Bundes.
Gesichtspunkt. Darnach soll die Publikation der Verfassung in den
einzelnen Staaten eine lediglich negative Bedeutung haben,
nämlich die Aufhebung der entgegenstehenden Bestimmungen der
Landesgesetze. In jedem Staate würde mithin diese Publikation
etwas Anderes bedeuten, da in jedem Staate ein anderer Inbegriff
von Rechtssätzen aufgehoben wurde; nicht die Einführung der
Bundesverfassung, sondern die Aufhebung eines Stückes der
Landesverfassung wäre der Sinn und Inhalt der Publikationsge-
setze. Damit hätte man aber Nichts erreicht, als in das Landes-
recht jedes einzelnen Staates ein ungeheures Loch geschlagen, es
geradezu zerstört; eine positive Schöpfung wäre nicht vollführt
worden. Es bleibt immer noch der Sprung über eine unüber-
brückte Kluft übrig. Wie gewann die Bundesverfassung eine posi-
tive Grundlage der gesetzlichen Geltung? Die bloße Zerstörung
des Landes-Verfassungsrechts aller einzelnen Staaten kann ihr die-
selbe doch nicht bieten.

Hänel a. a. O. antwortet hierauf, indem er die Gründung
des norddeutschen Bundes darauf zurückführt, "daß diejenigen
Organe des Wollens und Handelns, welche die mit dem Reichstag
vereinbarte Bundesverfassung vorgesehen hatte, in das
Leben treten mußten und der hiermit organisirte Bund die
Bundesverfassung als seine oberste rechtliche Willensbestimmung sich
aneignen mußte." Dies ist aber ein offenbarer Cirkel und schließ-
lich Nichts Anderes als eine schwach umhüllte generatio aequivoca.
Denn einerseits soll die Bundesverfassung bestimmen, welche "Organe
in das Leben treten müssen" und dann soll erst wieder der "hier-
mit organisirte" Bund sich die Bundesverfassung "aneignen."

Das logische Verhältniß wird von Hänel geradezu umgekehrt.
Die Einführung der Norddeutschen Verfassung hatte die Folge,
daß sie in jedem einzelnen Deutschen Staate das damit im Wider-
spruch stehende Landesrecht beseitigte 1), aber die Aufhebung eines
noch so großen Bestandtheiles des Landesrechts konnte niemals

1) Die meisten Publikationspatente erwähnen diese Folge als selbst-
verständlich gar nicht; diejenigen, welche darauf hinweisen, nämlich die von
Weimar und Schwarzburg-Sondershausen, erklären, daß "durch diese Ver-
fassung
die bestehenden Landesgesetze ..... als abgeändert zu betrachten
sind."

§. 2. Die Gründung des nordd. Bundes.
Geſichtspunkt. Darnach ſoll die Publikation der Verfaſſung in den
einzelnen Staaten eine lediglich negative Bedeutung haben,
nämlich die Aufhebung der entgegenſtehenden Beſtimmungen der
Landesgeſetze. In jedem Staate würde mithin dieſe Publikation
etwas Anderes bedeuten, da in jedem Staate ein anderer Inbegriff
von Rechtsſätzen aufgehoben wurde; nicht die Einführung der
Bundesverfaſſung, ſondern die Aufhebung eines Stückes der
Landesverfaſſung wäre der Sinn und Inhalt der Publikationsge-
ſetze. Damit hätte man aber Nichts erreicht, als in das Landes-
recht jedes einzelnen Staates ein ungeheures Loch geſchlagen, es
geradezu zerſtört; eine poſitive Schöpfung wäre nicht vollführt
worden. Es bleibt immer noch der Sprung über eine unüber-
brückte Kluft übrig. Wie gewann die Bundesverfaſſung eine poſi-
tive Grundlage der geſetzlichen Geltung? Die bloße Zerſtörung
des Landes-Verfaſſungsrechts aller einzelnen Staaten kann ihr die-
ſelbe doch nicht bieten.

Hänel a. a. O. antwortet hierauf, indem er die Gründung
des norddeutſchen Bundes darauf zurückführt, „daß diejenigen
Organe des Wollens und Handelns, welche die mit dem Reichstag
vereinbarte Bundesverfaſſung vorgeſehen hatte, in das
Leben treten mußten und der hiermit organiſirte Bund die
Bundesverfaſſung als ſeine oberſte rechtliche Willensbeſtimmung ſich
aneignen mußte.“ Dies iſt aber ein offenbarer Cirkel und ſchließ-
lich Nichts Anderes als eine ſchwach umhüllte generatio aequivoca.
Denn einerſeits ſoll die Bundesverfaſſung beſtimmen, welche „Organe
in das Leben treten müſſen“ und dann ſoll erſt wieder der „hier-
mit organiſirte“ Bund ſich die Bundesverfaſſung „aneignen.“

Das logiſche Verhältniß wird von Hänel geradezu umgekehrt.
Die Einführung der Norddeutſchen Verfaſſung hatte die Folge,
daß ſie in jedem einzelnen Deutſchen Staate das damit im Wider-
ſpruch ſtehende Landesrecht beſeitigte 1), aber die Aufhebung eines
noch ſo großen Beſtandtheiles des Landesrechts konnte niemals

1) Die meiſten Publikationspatente erwähnen dieſe Folge als ſelbſt-
verſtändlich gar nicht; diejenigen, welche darauf hinweiſen, nämlich die von
Weimar und Schwarzburg-Sondershauſen, erklären, daß „durch dieſe Ver-
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die beſtehenden Landesgeſetze ..... als abgeändert zu betrachten
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[29/0049] §. 2. Die Gründung des nordd. Bundes. Geſichtspunkt. Darnach ſoll die Publikation der Verfaſſung in den einzelnen Staaten eine lediglich negative Bedeutung haben, nämlich die Aufhebung der entgegenſtehenden Beſtimmungen der Landesgeſetze. In jedem Staate würde mithin dieſe Publikation etwas Anderes bedeuten, da in jedem Staate ein anderer Inbegriff von Rechtsſätzen aufgehoben wurde; nicht die Einführung der Bundesverfaſſung, ſondern die Aufhebung eines Stückes der Landesverfaſſung wäre der Sinn und Inhalt der Publikationsge- ſetze. Damit hätte man aber Nichts erreicht, als in das Landes- recht jedes einzelnen Staates ein ungeheures Loch geſchlagen, es geradezu zerſtört; eine poſitive Schöpfung wäre nicht vollführt worden. Es bleibt immer noch der Sprung über eine unüber- brückte Kluft übrig. Wie gewann die Bundesverfaſſung eine poſi- tive Grundlage der geſetzlichen Geltung? Die bloße Zerſtörung des Landes-Verfaſſungsrechts aller einzelnen Staaten kann ihr die- ſelbe doch nicht bieten. Hänel a. a. O. antwortet hierauf, indem er die Gründung des norddeutſchen Bundes darauf zurückführt, „daß diejenigen Organe des Wollens und Handelns, welche die mit dem Reichstag vereinbarte Bundesverfaſſung vorgeſehen hatte, in das Leben treten mußten und der hiermit organiſirte Bund die Bundesverfaſſung als ſeine oberſte rechtliche Willensbeſtimmung ſich aneignen mußte.“ Dies iſt aber ein offenbarer Cirkel und ſchließ- lich Nichts Anderes als eine ſchwach umhüllte generatio aequivoca. Denn einerſeits ſoll die Bundesverfaſſung beſtimmen, welche „Organe in das Leben treten müſſen“ und dann ſoll erſt wieder der „hier- mit organiſirte“ Bund ſich die Bundesverfaſſung „aneignen.“ Das logiſche Verhältniß wird von Hänel geradezu umgekehrt. Die Einführung der Norddeutſchen Verfaſſung hatte die Folge, daß ſie in jedem einzelnen Deutſchen Staate das damit im Wider- ſpruch ſtehende Landesrecht beſeitigte 1), aber die Aufhebung eines noch ſo großen Beſtandtheiles des Landesrechts konnte niemals 1) Die meiſten Publikationspatente erwähnen dieſe Folge als ſelbſt- verſtändlich gar nicht; diejenigen, welche darauf hinweiſen, nämlich die von Weimar und Schwarzburg-Sondershauſen, erklären, daß „durch dieſe Ver- faſſung die beſtehenden Landesgeſetze ..... als abgeändert zu betrachten ſind.“

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/49>, abgerufen am 16.04.2024.