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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 2. Die Gründung des nordd. Bundes.
eine Summe übereinstimmender Partikulargesetze zur thatsächlichen
und rechtlichen Existenz gelangen".

Hänel a. a. O. S. 76 findet in der Mitwirkung der Landes-
vertretungen eine doppelte rechtliche Bedeutung; zunächst die An-
erkennung, daß die Bundesverfassung den durch das Augustbünd-
niß begründeten Pflichten und Rechten entspreche; "sodann die
negative Funktion, diejenigen Bestimmungen der Verfassung und
der Gesetze der Einzelstaaten auf verfassungsmäßigem Wege außer
Wirksamkeit zu setzen, welche den in Aussicht genommenen unmit-
telbaren Wirkungen und Ermächtigungen des norddeutschen Bundes
und seiner Verfassung im Wege standen."

Auch diese Auffassung ist nicht zutreffend. Der erste Punkt
ist nicht nur unrichtig, sondern auch unwesentlich. Die überwiegende
Mehrzahl der Landesvertretungen war nicht gehindert, die Bundes-
verfassung zu verwerfen, selbst wenn sie anerkannte, daß die Ver-
fassung den Bestimmungen des Augustbündnisses entspreche, indem
die Landtage sich das Recht der Verwerfung ausdrücklich dadurch
vorbehalten hatten, daß sie die Wahlen nur für einen "berathenden"
Reichstag genehmigten. Wofern man in der Genehmigung des
Wahlgesetzes mit Hänel überhaupt eine Zustimmung der Landes-
vertretungen zu dem Augustbündniß erblicken will, ist diese Zu-
stimmung jedenfalls nur mit dem Vorbehalt ertheilt worden, daß
über Annahme oder Verwerfung der Verfassung die Entschließung
frei bleibe. Ebenso wenig war aber ein Landtag gehindert, die
Bundesverfassung zu acceptiren, trotzdem sie sich seiner Ansicht nach
von den Bestimmungen des Augustbündnisses entfernte 1). Die Er-
klärung der Landtage ging auch gar nicht dahin, daß die Bundes-
verfassung der Prüfung unter diesem Gesichtspunkte unterworfen
worden sei; keines von allen Publikationspatenten enthält ein der-
artiges Urtheil.

Bei weitem beachtenswerther ist der zweite, von Hänel betonte

1) Dies ist in der That der Fall, indem die Verfassung die Competenz
des Bundes viel weiter bestimmt als dies die Grundzüge v. 10. Juni 1866
thaten. Dies hob schon bei den Berathungen der Bevollmächtigten der Ver-
treter Hamburgs in Beziehung auf die Flagge der Handelsschiffe hervor. Vgl.
die Anlage vom 15. Januar zu dem Schlußprotokoll vom 7. Februar 1867.
(Stenogr. Berichte des verfass. Reichst. Anlagen S. 26. Glaser I, 3 S. 22.
Staatsarchiv XII. S. 366.)

§. 2. Die Gründung des nordd. Bundes.
eine Summe übereinſtimmender Partikulargeſetze zur thatſächlichen
und rechtlichen Exiſtenz gelangen“.

Hänel a. a. O. S. 76 findet in der Mitwirkung der Landes-
vertretungen eine doppelte rechtliche Bedeutung; zunächſt die An-
erkennung, daß die Bundesverfaſſung den durch das Auguſtbünd-
niß begründeten Pflichten und Rechten entſpreche; „ſodann die
negative Funktion, diejenigen Beſtimmungen der Verfaſſung und
der Geſetze der Einzelſtaaten auf verfaſſungsmäßigem Wege außer
Wirkſamkeit zu ſetzen, welche den in Ausſicht genommenen unmit-
telbaren Wirkungen und Ermächtigungen des norddeutſchen Bundes
und ſeiner Verfaſſung im Wege ſtanden.“

Auch dieſe Auffaſſung iſt nicht zutreffend. Der erſte Punkt
iſt nicht nur unrichtig, ſondern auch unweſentlich. Die überwiegende
Mehrzahl der Landesvertretungen war nicht gehindert, die Bundes-
verfaſſung zu verwerfen, ſelbſt wenn ſie anerkannte, daß die Ver-
faſſung den Beſtimmungen des Auguſtbündniſſes entſpreche, indem
die Landtage ſich das Recht der Verwerfung ausdrücklich dadurch
vorbehalten hatten, daß ſie die Wahlen nur für einen „berathenden“
Reichstag genehmigten. Wofern man in der Genehmigung des
Wahlgeſetzes mit Hänel überhaupt eine Zuſtimmung der Landes-
vertretungen zu dem Auguſtbündniß erblicken will, iſt dieſe Zu-
ſtimmung jedenfalls nur mit dem Vorbehalt ertheilt worden, daß
über Annahme oder Verwerfung der Verfaſſung die Entſchließung
frei bleibe. Ebenſo wenig war aber ein Landtag gehindert, die
Bundesverfaſſung zu acceptiren, trotzdem ſie ſich ſeiner Anſicht nach
von den Beſtimmungen des Auguſtbündniſſes entfernte 1). Die Er-
klärung der Landtage ging auch gar nicht dahin, daß die Bundes-
verfaſſung der Prüfung unter dieſem Geſichtspunkte unterworfen
worden ſei; keines von allen Publikationspatenten enthält ein der-
artiges Urtheil.

Bei weitem beachtenswerther iſt der zweite, von Hänel betonte

1) Dies iſt in der That der Fall, indem die Verfaſſung die Competenz
des Bundes viel weiter beſtimmt als dies die Grundzüge v. 10. Juni 1866
thaten. Dies hob ſchon bei den Berathungen der Bevollmächtigten der Ver-
treter Hamburgs in Beziehung auf die Flagge der Handelsſchiffe hervor. Vgl.
die Anlage vom 15. Januar zu dem Schlußprotokoll vom 7. Februar 1867.
(Stenogr. Berichte des verfaſſ. Reichst. Anlagen S. 26. Glaſer I, 3 S. 22.
Staatsarchiv XII. S. 366.)
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[28/0048] §. 2. Die Gründung des nordd. Bundes. eine Summe übereinſtimmender Partikulargeſetze zur thatſächlichen und rechtlichen Exiſtenz gelangen“. Hänel a. a. O. S. 76 findet in der Mitwirkung der Landes- vertretungen eine doppelte rechtliche Bedeutung; zunächſt die An- erkennung, daß die Bundesverfaſſung den durch das Auguſtbünd- niß begründeten Pflichten und Rechten entſpreche; „ſodann die negative Funktion, diejenigen Beſtimmungen der Verfaſſung und der Geſetze der Einzelſtaaten auf verfaſſungsmäßigem Wege außer Wirkſamkeit zu ſetzen, welche den in Ausſicht genommenen unmit- telbaren Wirkungen und Ermächtigungen des norddeutſchen Bundes und ſeiner Verfaſſung im Wege ſtanden.“ Auch dieſe Auffaſſung iſt nicht zutreffend. Der erſte Punkt iſt nicht nur unrichtig, ſondern auch unweſentlich. Die überwiegende Mehrzahl der Landesvertretungen war nicht gehindert, die Bundes- verfaſſung zu verwerfen, ſelbſt wenn ſie anerkannte, daß die Ver- faſſung den Beſtimmungen des Auguſtbündniſſes entſpreche, indem die Landtage ſich das Recht der Verwerfung ausdrücklich dadurch vorbehalten hatten, daß ſie die Wahlen nur für einen „berathenden“ Reichstag genehmigten. Wofern man in der Genehmigung des Wahlgeſetzes mit Hänel überhaupt eine Zuſtimmung der Landes- vertretungen zu dem Auguſtbündniß erblicken will, iſt dieſe Zu- ſtimmung jedenfalls nur mit dem Vorbehalt ertheilt worden, daß über Annahme oder Verwerfung der Verfaſſung die Entſchließung frei bleibe. Ebenſo wenig war aber ein Landtag gehindert, die Bundesverfaſſung zu acceptiren, trotzdem ſie ſich ſeiner Anſicht nach von den Beſtimmungen des Auguſtbündniſſes entfernte 1). Die Er- klärung der Landtage ging auch gar nicht dahin, daß die Bundes- verfaſſung der Prüfung unter dieſem Geſichtspunkte unterworfen worden ſei; keines von allen Publikationspatenten enthält ein der- artiges Urtheil. Bei weitem beachtenswerther iſt der zweite, von Hänel betonte 1) Dies iſt in der That der Fall, indem die Verfaſſung die Competenz des Bundes viel weiter beſtimmt als dies die Grundzüge v. 10. Juni 1866 thaten. Dies hob ſchon bei den Berathungen der Bevollmächtigten der Ver- treter Hamburgs in Beziehung auf die Flagge der Handelsſchiffe hervor. Vgl. die Anlage vom 15. Januar zu dem Schlußprotokoll vom 7. Februar 1867. (Stenogr. Berichte des verfaſſ. Reichst. Anlagen S. 26. Glaſer I, 3 S. 22. Staatsarchiv XII. S. 366.)

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/48>, abgerufen am 29.03.2024.