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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 41. Die Rechtsfolgen der Pflichtverletzung.
Betracht, daß die Disciplinarstrafe nicht die öffentliche Strafe er-
gänzen oder vertreten, sondern die Erfüllung der Dienstpflicht
sichern und deren Verletzung ahnden soll. Deshalb ist die Strafe
mit besonderer Rücksicht auf die gesammte Führung des An-
geschuldigten zu ermessen. (§. 76.) Denn sowie sich die Erfüllung
der Dienstpflicht nicht aus einer Anzahl einzelner Handlungen
zusammensetzt, sondern das gesammte Leben des Beamten umschließt,
so ist auch die Handlung, durch welche die Dienstpflicht verletzt wird,
nicht als vereinzelte That, sondern im Zusammenhang mit dem
allgemeinen dienstlichen Verhalten zu beurtheilen.

5) Ueber das Verhältniß des Disciplinar-Ver-
fahrens zu dem öffentlichen Strafverfahren
gelten
folgende Regeln. Begrifflich besteht zwischen ihnen gar kein innerer
Zusammenhang; beide sind in ihren Voraussetzungen, Zwecken
und Wirkungen von einander ganz unabhängig und es ist daher
ebensowohl möglich, daß das eine Verfahren eintritt ohne das
andere nach sich zu ziehen, als daß beide mit einander cumulirt
werden 1). Aus Zweckmäßigkeits-Rücksichten ist es aber ausge-
schlossen, daß beide Verfahren gleichzeitig neben einander statt-
finden. Es liegt sowohl in dem Interesse des Beamten als in
dem der Strafjustiz, daß nicht dieselbe Handlung zum Gegenstand
einer doppelten Untersuchung gemacht wird; abgesehen davon, daß
die strafrichterliche Entscheidung jedes Disciplinar-Verfahren über-
flüssig machen kann. Es ist demnach im §. 77 des R.-G. ange-
ordnet worden, daß im Laufe einer gerichtlichen Untersuchung ge-
gen den Angeschuldigten ein Disciplinarverfahren wegen der
nämlichen Thatsachen nicht eingeleitet werden darf, und daß das
Disciplinarverfahren, wenn im Laufe desselben wegen der nämlichen
Thatsachen eine gerichtliche Untersuchung gegen den Angeschuldigten

1) Beachtenswerthe, wenngleich das wahre Verhältniß nicht völlig treffende
Bemerkungen darüber finden sich in den Vorarbeiten zum Preuß. Strafgesetzb.;
nämlich in dem Promemoria v. 13. Oktob. 1847 v. Madihn,
v. Ammon und Grimm
. Auszüge daraus bei Beseler Kommentar
zum Preuß. St.-G.-B. S. 547. Vgl. ferner Goltdammer Materialien
I. S. 137 ff. II. S. 667. Auch Binding in seiner Besprechung des Oesterr.
Entwurfes eines Strafgesetzes von 1874 (in Grünhut's Zeitschrift für. d.
Privat- und öffentl. R. der Gegenw. Bd. II. S. 684) erklärt den Grundsatz
für richtig, daß eine Disciplinarstrafe nicht eine Strafe im Rechtssinne sei.

§. 41. Die Rechtsfolgen der Pflichtverletzung.
Betracht, daß die Disciplinarſtrafe nicht die öffentliche Strafe er-
gänzen oder vertreten, ſondern die Erfüllung der Dienſtpflicht
ſichern und deren Verletzung ahnden ſoll. Deshalb iſt die Strafe
mit beſonderer Rückſicht auf die geſammte Führung des An-
geſchuldigten zu ermeſſen. (§. 76.) Denn ſowie ſich die Erfüllung
der Dienſtpflicht nicht aus einer Anzahl einzelner Handlungen
zuſammenſetzt, ſondern das geſammte Leben des Beamten umſchließt,
ſo iſt auch die Handlung, durch welche die Dienſtpflicht verletzt wird,
nicht als vereinzelte That, ſondern im Zuſammenhang mit dem
allgemeinen dienſtlichen Verhalten zu beurtheilen.

5) Ueber das Verhältniß des Disciplinar-Ver-
fahrens zu dem öffentlichen Strafverfahren
gelten
folgende Regeln. Begrifflich beſteht zwiſchen ihnen gar kein innerer
Zuſammenhang; beide ſind in ihren Vorausſetzungen, Zwecken
und Wirkungen von einander ganz unabhängig und es iſt daher
ebenſowohl möglich, daß das eine Verfahren eintritt ohne das
andere nach ſich zu ziehen, als daß beide mit einander cumulirt
werden 1). Aus Zweckmäßigkeits-Rückſichten iſt es aber ausge-
ſchloſſen, daß beide Verfahren gleichzeitig neben einander ſtatt-
finden. Es liegt ſowohl in dem Intereſſe des Beamten als in
dem der Strafjuſtiz, daß nicht dieſelbe Handlung zum Gegenſtand
einer doppelten Unterſuchung gemacht wird; abgeſehen davon, daß
die ſtrafrichterliche Entſcheidung jedes Disciplinar-Verfahren über-
flüſſig machen kann. Es iſt demnach im §. 77 des R.-G. ange-
ordnet worden, daß im Laufe einer gerichtlichen Unterſuchung ge-
gen den Angeſchuldigten ein Disciplinarverfahren wegen der
nämlichen Thatſachen nicht eingeleitet werden darf, und daß das
Disciplinarverfahren, wenn im Laufe deſſelben wegen der nämlichen
Thatſachen eine gerichtliche Unterſuchung gegen den Angeſchuldigten

1) Beachtenswerthe, wenngleich das wahre Verhältniß nicht völlig treffende
Bemerkungen darüber finden ſich in den Vorarbeiten zum Preuß. Strafgeſetzb.;
nämlich in dem Promemoria v. 13. Oktob. 1847 v. Madihn,
v. Ammon und Grimm
. Auszüge daraus bei Beſeler Kommentar
zum Preuß. St.-G.-B. S. 547. Vgl. ferner Goltdammer Materialien
I. S. 137 ff. II. S. 667. Auch Binding in ſeiner Beſprechung des Oeſterr.
Entwurfes eines Strafgeſetzes von 1874 (in Grünhut’s Zeitſchrift für. d.
Privat- und öffentl. R. der Gegenw. Bd. II. S. 684) erklärt den Grundſatz
für richtig, daß eine Disciplinarſtrafe nicht eine Strafe im Rechtsſinne ſei.
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[455/0475] §. 41. Die Rechtsfolgen der Pflichtverletzung. Betracht, daß die Disciplinarſtrafe nicht die öffentliche Strafe er- gänzen oder vertreten, ſondern die Erfüllung der Dienſtpflicht ſichern und deren Verletzung ahnden ſoll. Deshalb iſt die Strafe mit beſonderer Rückſicht auf die geſammte Führung des An- geſchuldigten zu ermeſſen. (§. 76.) Denn ſowie ſich die Erfüllung der Dienſtpflicht nicht aus einer Anzahl einzelner Handlungen zuſammenſetzt, ſondern das geſammte Leben des Beamten umſchließt, ſo iſt auch die Handlung, durch welche die Dienſtpflicht verletzt wird, nicht als vereinzelte That, ſondern im Zuſammenhang mit dem allgemeinen dienſtlichen Verhalten zu beurtheilen. 5) Ueber das Verhältniß des Disciplinar-Ver- fahrens zu dem öffentlichen Strafverfahren gelten folgende Regeln. Begrifflich beſteht zwiſchen ihnen gar kein innerer Zuſammenhang; beide ſind in ihren Vorausſetzungen, Zwecken und Wirkungen von einander ganz unabhängig und es iſt daher ebenſowohl möglich, daß das eine Verfahren eintritt ohne das andere nach ſich zu ziehen, als daß beide mit einander cumulirt werden 1). Aus Zweckmäßigkeits-Rückſichten iſt es aber ausge- ſchloſſen, daß beide Verfahren gleichzeitig neben einander ſtatt- finden. Es liegt ſowohl in dem Intereſſe des Beamten als in dem der Strafjuſtiz, daß nicht dieſelbe Handlung zum Gegenſtand einer doppelten Unterſuchung gemacht wird; abgeſehen davon, daß die ſtrafrichterliche Entſcheidung jedes Disciplinar-Verfahren über- flüſſig machen kann. Es iſt demnach im §. 77 des R.-G. ange- ordnet worden, daß im Laufe einer gerichtlichen Unterſuchung ge- gen den Angeſchuldigten ein Disciplinarverfahren wegen der nämlichen Thatſachen nicht eingeleitet werden darf, und daß das Disciplinarverfahren, wenn im Laufe deſſelben wegen der nämlichen Thatſachen eine gerichtliche Unterſuchung gegen den Angeſchuldigten 1) Beachtenswerthe, wenngleich das wahre Verhältniß nicht völlig treffende Bemerkungen darüber finden ſich in den Vorarbeiten zum Preuß. Strafgeſetzb.; nämlich in dem Promemoria v. 13. Oktob. 1847 v. Madihn, v. Ammon und Grimm. Auszüge daraus bei Beſeler Kommentar zum Preuß. St.-G.-B. S. 547. Vgl. ferner Goltdammer Materialien I. S. 137 ff. II. S. 667. Auch Binding in ſeiner Beſprechung des Oeſterr. Entwurfes eines Strafgeſetzes von 1874 (in Grünhut’s Zeitſchrift für. d. Privat- und öffentl. R. der Gegenw. Bd. II. S. 684) erklärt den Grundſatz für richtig, daß eine Disciplinarſtrafe nicht eine Strafe im Rechtsſinne ſei.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 455. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/475>, abgerufen am 24.11.2024.