Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

Bild:
<< vorherige Seite

§. 29. Der Bundesrath als Organ des Reiches.
erfolgt in allen Fällen vom Kaiser R.-V. Art. 18.; formell kann
der Bundesrath niemals einen Beamten anstellen. Aber materiell
steht ihm für gewisse Beamten-Kategorien eine Entscheidung zu,
indem er entweder die Beamten geradezu wählt, so daß der Kaiser
auf die bloße Form der Ernennung der vom Bundesrath gewähl-
ten Individuen beschränkt ist, oder indem der Kaiser die Beamten
"nach Vernehmung" des Bundesrathes oder eines Ausschusses dessel-
ben anstellt. Das Letztere ist vorgeschrieben im Art. 36 der R.-V.,
wonach der Kaiser die zur Controlle der Zoll- und Steuerbehörden
bestimmten Reichsbeamten nach Vernehmung des Ausschusses des
Bundesrathes für Zoll- und Steuerwesen den Bundesbehörden
beiordnet, und im Art. 56, welcher bestimmt, daß der Kaiser die
Konsuln nach Vernehmung des Ausschusses für Handel und Ver-
kehr anstellt.

Ein Wahlrecht oder Vorschlagsrecht hat der Bundesrath hin-
sichtlich der Mitglieder des Rechnungshofes 1), des Oberhandels-
gerichts 2), des Bundesamtes für das Heimathswesen 3), der Dis-
ciplinarkammern und des Disciplinarhofes 4), der Verwaltung des
Reichs-Invalidenfonds 5) und des Reichsbank-Direktoriums 6).

3) Auch bei gewissen Regierungsacten, welche eine hervor-
ragende politische Bedeutung entweder ihrer Natur nach immer
haben oder doch unter Umständen haben können, ist die Entschlie-
ßung des Kaisers gebunden. Ihm steht es zwar zu, den Regie-
rungsact selbst und formell ohne Mitwirkung des Bundesrathes
zu vollziehen; aber er ist dazu nur befugt, nachdem er die Zu-
stimmung des Bundesrathes eingeholt hat.

Bei Ausübung der Vertretungsbefugniß für das Reich
bedarf der Kaiser dieser Zustimmung:

a) zur Erklärung des Krieges, es sei denn, daß ein Angriff
auf das Bundesgebiet oder dessen Küsten erfolgt. R.-V.
Art. 11 Abs. 1.
b) zum Abschluß von Verträgen mit fremden Staaten, insoweit
1) Ges. v. 4. Juli 1868 §. 2 (B.-G.-Bl. S. 433.)
2) Ges. v. 12. Juni 1869 §. 3 (B.-G.-Bl. S. 201.)
3) Ges. v. 6. Juni 1870 §. 42 (B.-G.-Bl. S. 368.)
4) Ges. v. 31. März 1873 §. 39 (R.-G.-Bl. S. 68.)
5) Ges. v. 23. Mai 1873 §. 11 (R.-G.-Bl. S. 120.)
6) Bankges. v. 14. März 1875 §. 27 Abs. 3 (R.-G.-Bl. S. 184.)

§. 29. Der Bundesrath als Organ des Reiches.
erfolgt in allen Fällen vom Kaiſer R.-V. Art. 18.; formell kann
der Bundesrath niemals einen Beamten anſtellen. Aber materiell
ſteht ihm für gewiſſe Beamten-Kategorien eine Entſcheidung zu,
indem er entweder die Beamten geradezu wählt, ſo daß der Kaiſer
auf die bloße Form der Ernennung der vom Bundesrath gewähl-
ten Individuen beſchränkt iſt, oder indem der Kaiſer die Beamten
„nach Vernehmung“ des Bundesrathes oder eines Ausſchuſſes deſſel-
ben anſtellt. Das Letztere iſt vorgeſchrieben im Art. 36 der R.-V.,
wonach der Kaiſer die zur Controlle der Zoll- und Steuerbehörden
beſtimmten Reichsbeamten nach Vernehmung des Ausſchuſſes des
Bundesrathes für Zoll- und Steuerweſen den Bundesbehörden
beiordnet, und im Art. 56, welcher beſtimmt, daß der Kaiſer die
Konſuln nach Vernehmung des Ausſchuſſes für Handel und Ver-
kehr anſtellt.

Ein Wahlrecht oder Vorſchlagsrecht hat der Bundesrath hin-
ſichtlich der Mitglieder des Rechnungshofes 1), des Oberhandels-
gerichts 2), des Bundesamtes für das Heimathsweſen 3), der Dis-
ciplinarkammern und des Disciplinarhofes 4), der Verwaltung des
Reichs-Invalidenfonds 5) und des Reichsbank-Direktoriums 6).

3) Auch bei gewiſſen Regierungsacten, welche eine hervor-
ragende politiſche Bedeutung entweder ihrer Natur nach immer
haben oder doch unter Umſtänden haben können, iſt die Entſchlie-
ßung des Kaiſers gebunden. Ihm ſteht es zwar zu, den Regie-
rungsact ſelbſt und formell ohne Mitwirkung des Bundesrathes
zu vollziehen; aber er iſt dazu nur befugt, nachdem er die Zu-
ſtimmung des Bundesrathes eingeholt hat.

Bei Ausübung der Vertretungsbefugniß für das Reich
bedarf der Kaiſer dieſer Zuſtimmung:

a) zur Erklärung des Krieges, es ſei denn, daß ein Angriff
auf das Bundesgebiet oder deſſen Küſten erfolgt. R.-V.
Art. 11 Abſ. 1.
b) zum Abſchluß von Verträgen mit fremden Staaten, inſoweit
1) Geſ. v. 4. Juli 1868 §. 2 (B.-G.-Bl. S. 433.)
2) Geſ. v. 12. Juni 1869 §. 3 (B.-G.-Bl. S. 201.)
3) Geſ. v. 6. Juni 1870 §. 42 (B.-G.-Bl. S. 368.)
4) Geſ. v. 31. März 1873 §. 39 (R.-G.-Bl. S. 68.)
5) Geſ. v. 23. Mai 1873 §. 11 (R.-G.-Bl. S. 120.)
6) Bankgeſ. v. 14. März 1875 §. 27 Abſ. 3 (R.-G.-Bl. S. 184.)
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0282" n="262"/><fw place="top" type="header">§. 29. Der Bundesrath als Organ des Reiches.</fw><lb/>
erfolgt in <hi rendition="#g">allen</hi> Fällen vom Kai&#x017F;er R.-V. Art. 18.; formell kann<lb/>
der Bundesrath niemals einen Beamten an&#x017F;tellen. Aber materiell<lb/>
&#x017F;teht ihm für gewi&#x017F;&#x017F;e Beamten-Kategorien eine Ent&#x017F;cheidung zu,<lb/>
indem er entweder die Beamten geradezu wählt, &#x017F;o daß der Kai&#x017F;er<lb/>
auf die bloße Form der Ernennung der vom Bundesrath gewähl-<lb/>
ten Individuen be&#x017F;chränkt i&#x017F;t, oder indem der Kai&#x017F;er die Beamten<lb/>
&#x201E;nach Vernehmung&#x201C; des Bundesrathes oder eines Aus&#x017F;chu&#x017F;&#x017F;es de&#x017F;&#x017F;el-<lb/>
ben an&#x017F;tellt. Das Letztere i&#x017F;t vorge&#x017F;chrieben im Art. 36 der R.-V.,<lb/>
wonach der Kai&#x017F;er die zur Controlle der Zoll- und Steuerbehörden<lb/>
be&#x017F;timmten Reichsbeamten nach Vernehmung des Aus&#x017F;chu&#x017F;&#x017F;es des<lb/>
Bundesrathes für Zoll- und Steuerwe&#x017F;en den Bundesbehörden<lb/>
beiordnet, und im Art. 56, welcher be&#x017F;timmt, daß der Kai&#x017F;er die<lb/>
Kon&#x017F;uln nach Vernehmung des Aus&#x017F;chu&#x017F;&#x017F;es für Handel und Ver-<lb/>
kehr an&#x017F;tellt.</p><lb/>
              <p>Ein Wahlrecht oder Vor&#x017F;chlagsrecht hat der Bundesrath hin-<lb/>
&#x017F;ichtlich der Mitglieder des Rechnungshofes <note place="foot" n="1)">Ge&#x017F;. v. 4. Juli 1868 §. 2 (B.-G.-Bl. S. 433.)</note>, des Oberhandels-<lb/>
gerichts <note place="foot" n="2)">Ge&#x017F;. v. 12. Juni 1869 §. 3 (B.-G.-Bl. S. 201.)</note>, des Bundesamtes für das Heimathswe&#x017F;en <note place="foot" n="3)">Ge&#x017F;. v. 6. Juni 1870 §. 42 (B.-G.-Bl. S. 368.)</note>, der Dis-<lb/>
ciplinarkammern und des Disciplinarhofes <note place="foot" n="4)">Ge&#x017F;. v. 31. März 1873 §. 39 (R.-G.-Bl. S. 68.)</note>, der Verwaltung des<lb/>
Reichs-Invalidenfonds <note place="foot" n="5)">Ge&#x017F;. v. 23. Mai 1873 §. 11 (R.-G.-Bl. S. 120.)</note> und des Reichsbank-Direktoriums <note place="foot" n="6)">Bankge&#x017F;. v. 14. März 1875 §. 27 Ab&#x017F;. 3 (R.-G.-Bl. S. 184.)</note>.</p><lb/>
              <p>3) Auch bei gewi&#x017F;&#x017F;en Regierungsacten, welche eine hervor-<lb/>
ragende politi&#x017F;che Bedeutung entweder ihrer Natur nach immer<lb/>
haben oder doch unter Um&#x017F;tänden haben können, i&#x017F;t die Ent&#x017F;chlie-<lb/>
ßung des Kai&#x017F;ers gebunden. Ihm &#x017F;teht es zwar zu, den Regie-<lb/>
rungsact &#x017F;elb&#x017F;t und formell ohne Mitwirkung des Bundesrathes<lb/>
zu vollziehen; aber er i&#x017F;t dazu nur befugt, nachdem er die Zu-<lb/>
&#x017F;timmung des Bundesrathes eingeholt hat.</p><lb/>
              <p>Bei Ausübung der <hi rendition="#g">Vertretungsbefugniß</hi> für das Reich<lb/>
bedarf der Kai&#x017F;er die&#x017F;er Zu&#x017F;timmung:</p><lb/>
              <list>
                <item><hi rendition="#aq">a</hi>) zur Erklärung des Krieges, es &#x017F;ei denn, daß ein Angriff<lb/>
auf das Bundesgebiet oder de&#x017F;&#x017F;en Kü&#x017F;ten erfolgt. R.-V.<lb/>
Art. 11 Ab&#x017F;. 1.</item><lb/>
                <item><hi rendition="#aq">b</hi>) zum Ab&#x017F;chluß von Verträgen mit fremden Staaten, in&#x017F;oweit<lb/></item>
              </list>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[262/0282] §. 29. Der Bundesrath als Organ des Reiches. erfolgt in allen Fällen vom Kaiſer R.-V. Art. 18.; formell kann der Bundesrath niemals einen Beamten anſtellen. Aber materiell ſteht ihm für gewiſſe Beamten-Kategorien eine Entſcheidung zu, indem er entweder die Beamten geradezu wählt, ſo daß der Kaiſer auf die bloße Form der Ernennung der vom Bundesrath gewähl- ten Individuen beſchränkt iſt, oder indem der Kaiſer die Beamten „nach Vernehmung“ des Bundesrathes oder eines Ausſchuſſes deſſel- ben anſtellt. Das Letztere iſt vorgeſchrieben im Art. 36 der R.-V., wonach der Kaiſer die zur Controlle der Zoll- und Steuerbehörden beſtimmten Reichsbeamten nach Vernehmung des Ausſchuſſes des Bundesrathes für Zoll- und Steuerweſen den Bundesbehörden beiordnet, und im Art. 56, welcher beſtimmt, daß der Kaiſer die Konſuln nach Vernehmung des Ausſchuſſes für Handel und Ver- kehr anſtellt. Ein Wahlrecht oder Vorſchlagsrecht hat der Bundesrath hin- ſichtlich der Mitglieder des Rechnungshofes 1), des Oberhandels- gerichts 2), des Bundesamtes für das Heimathsweſen 3), der Dis- ciplinarkammern und des Disciplinarhofes 4), der Verwaltung des Reichs-Invalidenfonds 5) und des Reichsbank-Direktoriums 6). 3) Auch bei gewiſſen Regierungsacten, welche eine hervor- ragende politiſche Bedeutung entweder ihrer Natur nach immer haben oder doch unter Umſtänden haben können, iſt die Entſchlie- ßung des Kaiſers gebunden. Ihm ſteht es zwar zu, den Regie- rungsact ſelbſt und formell ohne Mitwirkung des Bundesrathes zu vollziehen; aber er iſt dazu nur befugt, nachdem er die Zu- ſtimmung des Bundesrathes eingeholt hat. Bei Ausübung der Vertretungsbefugniß für das Reich bedarf der Kaiſer dieſer Zuſtimmung: a) zur Erklärung des Krieges, es ſei denn, daß ein Angriff auf das Bundesgebiet oder deſſen Küſten erfolgt. R.-V. Art. 11 Abſ. 1. b) zum Abſchluß von Verträgen mit fremden Staaten, inſoweit 1) Geſ. v. 4. Juli 1868 §. 2 (B.-G.-Bl. S. 433.) 2) Geſ. v. 12. Juni 1869 §. 3 (B.-G.-Bl. S. 201.) 3) Geſ. v. 6. Juni 1870 §. 42 (B.-G.-Bl. S. 368.) 4) Geſ. v. 31. März 1873 §. 39 (R.-G.-Bl. S. 68.) 5) Geſ. v. 23. Mai 1873 §. 11 (R.-G.-Bl. S. 120.) 6) Bankgeſ. v. 14. März 1875 §. 27 Abſ. 3 (R.-G.-Bl. S. 184.)

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/282
Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/282>, abgerufen am 22.05.2024.