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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 1. Die Auflösung des deutschen Bundes.

Aber nicht nur einzeln haben alle deutsche Staaten diese
Anerkennung abgegeben, sondern auch der Bundestag selbst, der
freilich seit dem Ausbruch der Feindseligkeiten immer mehr einge-
schrumpft war, sich aber immer noch als das verfassungsmäßige
Organ des Bundes ansah, faßte in seiner letzten Sitzung am
24. August 1866 zu Augsburg den Beschluß:
"nachdem in Folge der Kriegsereignisse und Friedensverhand-
lungen der deutsche Bund als aufgelöst betrachtet
werden muß, seine Thätigkeit mit der heutigen Sitzung zu
beendigen, auch hiervon die bei ihm beglaubigten Vertreter
auswärtiger Regierungen zu benachrichtigen."

Der deutsche Bund war entstanden nicht durch die völlig freie
Entschließung seiner Mitglieder, sondern unter der Mitwirkung
der beim Wiener Friedenscongreß vertretenen Europäischen Mächte.
Er war ein Theil der allgemeinen politischen Gestaltung Europa's,
die unter gegenseitiger Zustimmung der Großmächte geschaffen
worden war; die Bundesacte bildet einen Bestandtheil der Wiener
Congreßacte von 1815 1).

Die Europäischen Großmächte hatten daher an der staatlichen
Neubildung Deutschlands nicht nur das politische Interesse, welches
alle Kulturstaaten der Welt daran nahmen, sondern es konnte aus
völkerrechtlichen Gründen ihre besondere Zustimmung zur Auf-
lösung des -- unter ihrer Mitwirkung begründeten -- deutschen
Bundes erforderlich erscheinen. Auch diesem Erforderniß ist Ge-
nüge geschehen durch den internationalen Londoner Vertrag
v. 11. Mai 1867 2), welcher die Neutralität Luxemburgs unter
die Collectivgarantie der Europäischen Großmächte mit Einschluß
Italiens stellte, indem der Art. 6 dieses Vertrages ausdrücklich
auf die Auflösung des deutschen Bundes Bezug nimmt.


sich von selbst, da die Existenz eines souverainen Gemeinwesens wie Liech-
tenstein eine Ironie des Staatsbegriffes ist. Für das juristische Gewissen aber,
welches für die Auflösung des deutschen Bundes Einstimmigkeit erfordert,
mag es genügen, daß Liechtenstein gegen die Auflösung des Bundesverhält-
nisses keinen Widerspruch erhoben, sich thatsächlich gefügt und in concludenter
Weise seine Einwilligung stillschweigend erklärt hat.
1) Die ersten elf Artikel wurden sogar der Congreßakte selbst einverleibt,
außerdem wurde die Bundesacte in ihrem vollständigen Umfange als Beilage
für einen Bestandtheil der Wiener Congreßakte erklärt.
2) Hahn, S. 586. Glaser, Arch. I. 4. S. 125 ff.
§. 1. Die Auflöſung des deutſchen Bundes.

Aber nicht nur einzeln haben alle deutſche Staaten dieſe
Anerkennung abgegeben, ſondern auch der Bundestag ſelbſt, der
freilich ſeit dem Ausbruch der Feindſeligkeiten immer mehr einge-
ſchrumpft war, ſich aber immer noch als das verfaſſungsmäßige
Organ des Bundes anſah, faßte in ſeiner letzten Sitzung am
24. Auguſt 1866 zu Augsburg den Beſchluß:
„nachdem in Folge der Kriegsereigniſſe und Friedensverhand-
lungen der deutſche Bund als aufgelöſt betrachtet
werden muß, ſeine Thätigkeit mit der heutigen Sitzung zu
beendigen, auch hiervon die bei ihm beglaubigten Vertreter
auswärtiger Regierungen zu benachrichtigen.“

Der deutſche Bund war entſtanden nicht durch die völlig freie
Entſchließung ſeiner Mitglieder, ſondern unter der Mitwirkung
der beim Wiener Friedenscongreß vertretenen Europäiſchen Mächte.
Er war ein Theil der allgemeinen politiſchen Geſtaltung Europa’s,
die unter gegenſeitiger Zuſtimmung der Großmächte geſchaffen
worden war; die Bundesacte bildet einen Beſtandtheil der Wiener
Congreßacte von 1815 1).

Die Europäiſchen Großmächte hatten daher an der ſtaatlichen
Neubildung Deutſchlands nicht nur das politiſche Intereſſe, welches
alle Kulturſtaaten der Welt daran nahmen, ſondern es konnte aus
völkerrechtlichen Gründen ihre beſondere Zuſtimmung zur Auf-
löſung des — unter ihrer Mitwirkung begründeten — deutſchen
Bundes erforderlich erſcheinen. Auch dieſem Erforderniß iſt Ge-
nüge geſchehen durch den internationalen Londoner Vertrag
v. 11. Mai 1867 2), welcher die Neutralität Luxemburgs unter
die Collectivgarantie der Europäiſchen Großmächte mit Einſchluß
Italiens ſtellte, indem der Art. 6 dieſes Vertrages ausdrücklich
auf die Auflöſung des deutſchen Bundes Bezug nimmt.


ſich von ſelbſt, da die Exiſtenz eines ſouverainen Gemeinweſens wie Liech-
tenſtein eine Ironie des Staatsbegriffes iſt. Für das juriſtiſche Gewiſſen aber,
welches für die Auflöſung des deutſchen Bundes Einſtimmigkeit erfordert,
mag es genügen, daß Liechtenſtein gegen die Auflöſung des Bundesverhält-
niſſes keinen Widerſpruch erhoben, ſich thatſächlich gefügt und in concludenter
Weiſe ſeine Einwilligung ſtillſchweigend erklärt hat.
1) Die erſten elf Artikel wurden ſogar der Congreßakte ſelbſt einverleibt,
außerdem wurde die Bundesacte in ihrem vollſtändigen Umfange als Beilage
für einen Beſtandtheil der Wiener Congreßakte erklärt.
2) Hahn, S. 586. Glaſer, Arch. I. 4. S. 125 ff.
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[7/0027] §. 1. Die Auflöſung des deutſchen Bundes. Aber nicht nur einzeln haben alle deutſche Staaten dieſe Anerkennung abgegeben, ſondern auch der Bundestag ſelbſt, der freilich ſeit dem Ausbruch der Feindſeligkeiten immer mehr einge- ſchrumpft war, ſich aber immer noch als das verfaſſungsmäßige Organ des Bundes anſah, faßte in ſeiner letzten Sitzung am 24. Auguſt 1866 zu Augsburg den Beſchluß: „nachdem in Folge der Kriegsereigniſſe und Friedensverhand- lungen der deutſche Bund als aufgelöſt betrachtet werden muß, ſeine Thätigkeit mit der heutigen Sitzung zu beendigen, auch hiervon die bei ihm beglaubigten Vertreter auswärtiger Regierungen zu benachrichtigen.“ Der deutſche Bund war entſtanden nicht durch die völlig freie Entſchließung ſeiner Mitglieder, ſondern unter der Mitwirkung der beim Wiener Friedenscongreß vertretenen Europäiſchen Mächte. Er war ein Theil der allgemeinen politiſchen Geſtaltung Europa’s, die unter gegenſeitiger Zuſtimmung der Großmächte geſchaffen worden war; die Bundesacte bildet einen Beſtandtheil der Wiener Congreßacte von 1815 1). Die Europäiſchen Großmächte hatten daher an der ſtaatlichen Neubildung Deutſchlands nicht nur das politiſche Intereſſe, welches alle Kulturſtaaten der Welt daran nahmen, ſondern es konnte aus völkerrechtlichen Gründen ihre beſondere Zuſtimmung zur Auf- löſung des — unter ihrer Mitwirkung begründeten — deutſchen Bundes erforderlich erſcheinen. Auch dieſem Erforderniß iſt Ge- nüge geſchehen durch den internationalen Londoner Vertrag v. 11. Mai 1867 2), welcher die Neutralität Luxemburgs unter die Collectivgarantie der Europäiſchen Großmächte mit Einſchluß Italiens ſtellte, indem der Art. 6 dieſes Vertrages ausdrücklich auf die Auflöſung des deutſchen Bundes Bezug nimmt. 9) 1) Die erſten elf Artikel wurden ſogar der Congreßakte ſelbſt einverleibt, außerdem wurde die Bundesacte in ihrem vollſtändigen Umfange als Beilage für einen Beſtandtheil der Wiener Congreßakte erklärt. 2) Hahn, S. 586. Glaſer, Arch. I. 4. S. 125 ff. 9) ſich von ſelbſt, da die Exiſtenz eines ſouverainen Gemeinweſens wie Liech- tenſtein eine Ironie des Staatsbegriffes iſt. Für das juriſtiſche Gewiſſen aber, welches für die Auflöſung des deutſchen Bundes Einſtimmigkeit erfordert, mag es genügen, daß Liechtenſtein gegen die Auflöſung des Bundesverhält- niſſes keinen Widerſpruch erhoben, ſich thatſächlich gefügt und in concludenter Weiſe ſeine Einwilligung ſtillſchweigend erklärt hat.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/27>, abgerufen am 24.11.2024.