4) Die Fortdauer des Staatsbürgerrechts in den Einzelstaaten zeigt sich besonders deutlich und wirksam hinsichtlich der sogen. politischen Rechte. In Beziehung auf das politische Sonderleben der Einzelstaaten, auf den Antheil der Bevölkerung an der ver- fassungsmäßigen Herstellung und Ausführung des Staats-Willens innerhalb der den Einzelstaaten verbliebenen Sphäre, ist die Staatsangehörigkeit maaßgebend geblieben und die Angehörigen der anderen Bundesstaaten sind in dieser Hinsicht Ausländer, Fremde. Es gilt dies namentlich von dem wichtigsten dieser Rechte, dem Wahlrecht; für die Landtage der Einzelstaaten können, falls nicht das partikuläre Staatsrecht eine Ausnahme zuläßt, nur Angehörige des Staates wählen oder an ihnen als Mitglieder Theil nehmen. An keinem Punkte kann man Reichsbürgerrecht und Staatsbürgerrecht schärfer auseinanderhalten als durch den Gegen- satz zwischen Reichstagswahlrecht und Landtagswahlrecht. Hier allein sind beide wirklich getrennt.
Der Autonomie der Einzelstaaten ist es auch überlassen, das Maaß der politischen Rechte und die Voraussetzungen ihrer Aus- übung, welche außer der Staatsangehörigkeit selbst erfordert werden, wie Alter, Geschlecht, Domizil, Entrichtung direkter Steuern u. s. w. zu bestimmen. Nur in Einer Hinsicht hat das Reich hier den Einzelstaaten eine Schranke aufgerichtet durch das Reichsgesetz vom 3. Juli 1869: "Alle noch bestehenden, aus der Verschiedenheit des reli- giösen Bekenntnisses hergeleiteten Beschränkungen der bür- gerlichen und staatsbürgerlichen Rechte werden hier- durch aufgehoben. Insbesondere soll die Befähigung zur Theilnahme an der Gemeinde- und Landesvertretung und zur Bekleidung öffentlicher Aemter vom religiösen Bekennt- niß unabhängig sein."
Mit dem Reichsbürgerrecht hat der Inhalt dieses Ge- setzes gar nichts zu thun; im Norddeutschen Bunde und im Reiche hat es Beschränkungen der reichsbürgerlichen Rechte wegen irgend eines religiösen Bekenntnisses niemals gegeben; sie konnten daher auch nicht aufgehoben werden. Ein "Recht der Glaubensfreiheit" oder der "Bekenntnißfreiheit", das durch das Reichsindige- nat begründet und durch dieses Gesetz gewährleistet worden sei, ist ein juristisches Unding; denn der Deutsche hat die Fähigkeit,
Laband, Reichsstaatsrecht. I. 11
§. 16. Das Staatsbürgerrecht im Einzelſtaat.
4) Die Fortdauer des Staatsbürgerrechts in den Einzelſtaaten zeigt ſich beſonders deutlich und wirkſam hinſichtlich der ſogen. politiſchen Rechte. In Beziehung auf das politiſche Sonderleben der Einzelſtaaten, auf den Antheil der Bevölkerung an der ver- faſſungsmäßigen Herſtellung und Ausführung des Staats-Willens innerhalb der den Einzelſtaaten verbliebenen Sphäre, iſt die Staatsangehörigkeit maaßgebend geblieben und die Angehörigen der anderen Bundesſtaaten ſind in dieſer Hinſicht Ausländer, Fremde. Es gilt dies namentlich von dem wichtigſten dieſer Rechte, dem Wahlrecht; für die Landtage der Einzelſtaaten können, falls nicht das partikuläre Staatsrecht eine Ausnahme zuläßt, nur Angehörige des Staates wählen oder an ihnen als Mitglieder Theil nehmen. An keinem Punkte kann man Reichsbürgerrecht und Staatsbürgerrecht ſchärfer auseinanderhalten als durch den Gegen- ſatz zwiſchen Reichstagswahlrecht und Landtagswahlrecht. Hier allein ſind beide wirklich getrennt.
Der Autonomie der Einzelſtaaten iſt es auch überlaſſen, das Maaß der politiſchen Rechte und die Vorausſetzungen ihrer Aus- übung, welche außer der Staatsangehörigkeit ſelbſt erfordert werden, wie Alter, Geſchlecht, Domizil, Entrichtung direkter Steuern u. ſ. w. zu beſtimmen. Nur in Einer Hinſicht hat das Reich hier den Einzelſtaaten eine Schranke aufgerichtet durch das Reichsgeſetz vom 3. Juli 1869: „Alle noch beſtehenden, aus der Verſchiedenheit des reli- giöſen Bekenntniſſes hergeleiteten Beſchränkungen der bür- gerlichen und ſtaatsbürgerlichen Rechte werden hier- durch aufgehoben. Insbeſondere ſoll die Befähigung zur Theilnahme an der Gemeinde- und Landesvertretung und zur Bekleidung öffentlicher Aemter vom religiöſen Bekennt- niß unabhängig ſein.“
Mit dem Reichsbürgerrecht hat der Inhalt dieſes Ge- ſetzes gar nichts zu thun; im Norddeutſchen Bunde und im Reiche hat es Beſchränkungen der reichsbürgerlichen Rechte wegen irgend eines religiöſen Bekenntniſſes niemals gegeben; ſie konnten daher auch nicht aufgehoben werden. Ein „Recht der Glaubensfreiheit“ oder der „Bekenntnißfreiheit“, das durch das Reichsindige- nat begründet und durch dieſes Geſetz gewährleiſtet worden ſei, iſt ein juriſtiſches Unding; denn der Deutſche hat die Fähigkeit,
Laband, Reichsſtaatsrecht. I. 11
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§. 16. Das Staatsbürgerrecht im Einzelſtaat.
4) Die Fortdauer des Staatsbürgerrechts in den Einzelſtaaten
zeigt ſich beſonders deutlich und wirkſam hinſichtlich der ſogen.
politiſchen Rechte. In Beziehung auf das politiſche Sonderleben
der Einzelſtaaten, auf den Antheil der Bevölkerung an der ver-
faſſungsmäßigen Herſtellung und Ausführung des Staats-Willens
innerhalb der den Einzelſtaaten verbliebenen Sphäre, iſt die
Staatsangehörigkeit maaßgebend geblieben und die Angehörigen
der anderen Bundesſtaaten ſind in dieſer Hinſicht Ausländer,
Fremde. Es gilt dies namentlich von dem wichtigſten dieſer
Rechte, dem Wahlrecht; für die Landtage der Einzelſtaaten können,
falls nicht das partikuläre Staatsrecht eine Ausnahme zuläßt, nur
Angehörige des Staates wählen oder an ihnen als Mitglieder Theil
nehmen. An keinem Punkte kann man Reichsbürgerrecht und
Staatsbürgerrecht ſchärfer auseinanderhalten als durch den Gegen-
ſatz zwiſchen Reichstagswahlrecht und Landtagswahlrecht. Hier
allein ſind beide wirklich getrennt.
Der Autonomie der Einzelſtaaten iſt es auch überlaſſen, das
Maaß der politiſchen Rechte und die Vorausſetzungen ihrer Aus-
übung, welche außer der Staatsangehörigkeit ſelbſt erfordert werden,
wie Alter, Geſchlecht, Domizil, Entrichtung direkter Steuern u. ſ. w.
zu beſtimmen. Nur in Einer Hinſicht hat das Reich hier den
Einzelſtaaten eine Schranke aufgerichtet durch das Reichsgeſetz
vom 3. Juli 1869:
„Alle noch beſtehenden, aus der Verſchiedenheit des reli-
giöſen Bekenntniſſes hergeleiteten Beſchränkungen der bür-
gerlichen und ſtaatsbürgerlichen Rechte werden hier-
durch aufgehoben. Insbeſondere ſoll die Befähigung zur
Theilnahme an der Gemeinde- und Landesvertretung und
zur Bekleidung öffentlicher Aemter vom religiöſen Bekennt-
niß unabhängig ſein.“
Mit dem Reichsbürgerrecht hat der Inhalt dieſes Ge-
ſetzes gar nichts zu thun; im Norddeutſchen Bunde und im Reiche
hat es Beſchränkungen der reichsbürgerlichen Rechte wegen irgend
eines religiöſen Bekenntniſſes niemals gegeben; ſie konnten daher
auch nicht aufgehoben werden. Ein „Recht der Glaubensfreiheit“
oder der „Bekenntnißfreiheit“, das durch das Reichsindige-
nat begründet und durch dieſes Geſetz gewährleiſtet worden ſei,
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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/181>, abgerufen am 24.11.2024.
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