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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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Vorwort.
schaftliche Behandlung des Rechts besteht eben darin, daß sie die
Erscheinungen des Rechtslebens nicht nur beschreibt, sondern er-
klärt und auf allgemeine Begriffe zurückführt.

Mit der Auffindung der allgemeinen Principien ist die Auf-
gabe noch nicht vollständig gelöst; es müssen auch die, aus den
gefundenen Principien sich ergebenden Folgerungen entwickelt werden
und es muß ihre Uebereinstimmung mit den thatsächlich bestehen-
den Einrichtungen und den positiven Anordnungen der Gesetze dar-
gethan werden.

Bei dem Versuch, das Staatsrecht des Deutschen Reiches in
der angegebenen Weise zu erörtern, zeigt sich sofort der innere,
unauflösliche Zusammenhang des Verfassungsrechts mit den übrigen
Gebieten der Rechtswissenschaft, namentlich mit dem Strafrecht,
und es macht sich die Thatsache bemerkbar, daß ein erheblicher
Theil des Staatsrechts nicht in der Verfassung, sondern in dem
Strafgesetzbuch seinen gesetzlichen Ausdruck gefunden hat. Diese
staatsrechtliche Seite der Strafgesetze erfordert um so eingehendere
Berücksichtigung, als in der bisherigen Literatur die Publicisten
gewöhnlich den Strafrechtslehrern, die Kriminalisten den Staats-
rechtslehrern sie überlassen haben. Es läßt sich ferner die Unterschei-
dung des Reichsstaatsrechts von dem Landesstaatsrecht nicht
streng durchführen; beide ergänzen sich gegenseitig und stehen zu
einander in vielfachen Wechselbeziehungen. Eine große Zahl von
wissenschaftlichen Begriffen und Rechtsinstituten ist dem Reichsrecht
und dem Staatsrecht der einzelnen Bundesstaaten gemeinsam, so
daß auch die theoretische Erörterung derselben Reichsrecht und Landes-
staatsrecht umfassen muß. Endlich ergiebt sich, daß auf dem Ge-
biete des Staatsrechts zahlreiche Begriffe wiederkehren, welche
ihre wissenschaftliche Feststellung und Durchbildung zwar auf dem
Gebiete des Privatrechts gefunden haben, welche ihrem Wesen
nach aber nicht Begriffe des Privatrechts sondern allgemeine Be-
griffe des Rechtes sind. Nur müssen sie allerdings von den spezi-
fisch privatrechtlichen Merkmalen gereinigt werden. Die einfache
Uebertragung civilrechtlicher Begriffe und Regeln auf die staats-
rechtlichen Verhältnisse ist der richtigen Erkenntniß der letzteren
gewiß nicht förderlich; die "civilistische" Behandlung des Staats-
rechts ist eine verkehrte. Aber unter der Verurtheilung der civili-
stischen Methode versteckt sich oft die Abneigung gegen die juristische

Vorwort.
ſchaftliche Behandlung des Rechts beſteht eben darin, daß ſie die
Erſcheinungen des Rechtslebens nicht nur beſchreibt, ſondern er-
klärt und auf allgemeine Begriffe zurückführt.

Mit der Auffindung der allgemeinen Principien iſt die Auf-
gabe noch nicht vollſtändig gelöſt; es müſſen auch die, aus den
gefundenen Principien ſich ergebenden Folgerungen entwickelt werden
und es muß ihre Uebereinſtimmung mit den thatſächlich beſtehen-
den Einrichtungen und den poſitiven Anordnungen der Geſetze dar-
gethan werden.

Bei dem Verſuch, das Staatsrecht des Deutſchen Reiches in
der angegebenen Weiſe zu erörtern, zeigt ſich ſofort der innere,
unauflösliche Zuſammenhang des Verfaſſungsrechts mit den übrigen
Gebieten der Rechtswiſſenſchaft, namentlich mit dem Strafrecht,
und es macht ſich die Thatſache bemerkbar, daß ein erheblicher
Theil des Staatsrechts nicht in der Verfaſſung, ſondern in dem
Strafgeſetzbuch ſeinen geſetzlichen Ausdruck gefunden hat. Dieſe
ſtaatsrechtliche Seite der Strafgeſetze erfordert um ſo eingehendere
Berückſichtigung, als in der bisherigen Literatur die Publiciſten
gewöhnlich den Strafrechtslehrern, die Kriminaliſten den Staats-
rechtslehrern ſie überlaſſen haben. Es läßt ſich ferner die Unterſchei-
dung des Reichsſtaatsrechts von dem Landesſtaatsrecht nicht
ſtreng durchführen; beide ergänzen ſich gegenſeitig und ſtehen zu
einander in vielfachen Wechſelbeziehungen. Eine große Zahl von
wiſſenſchaftlichen Begriffen und Rechtsinſtituten iſt dem Reichsrecht
und dem Staatsrecht der einzelnen Bundesſtaaten gemeinſam, ſo
daß auch die theoretiſche Erörterung derſelben Reichsrecht und Landes-
ſtaatsrecht umfaſſen muß. Endlich ergiebt ſich, daß auf dem Ge-
biete des Staatsrechts zahlreiche Begriffe wiederkehren, welche
ihre wiſſenſchaftliche Feſtſtellung und Durchbildung zwar auf dem
Gebiete des Privatrechts gefunden haben, welche ihrem Weſen
nach aber nicht Begriffe des Privatrechts ſondern allgemeine Be-
griffe des Rechtes ſind. Nur müſſen ſie allerdings von den ſpezi-
fiſch privatrechtlichen Merkmalen gereinigt werden. Die einfache
Uebertragung civilrechtlicher Begriffe und Regeln auf die ſtaats-
rechtlichen Verhältniſſe iſt der richtigen Erkenntniß der letzteren
gewiß nicht förderlich; die „civiliſtiſche“ Behandlung des Staats-
rechts iſt eine verkehrte. Aber unter der Verurtheilung der civili-
ſtiſchen Methode verſteckt ſich oft die Abneigung gegen die juriſtiſche

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[VII/0015] Vorwort. ſchaftliche Behandlung des Rechts beſteht eben darin, daß ſie die Erſcheinungen des Rechtslebens nicht nur beſchreibt, ſondern er- klärt und auf allgemeine Begriffe zurückführt. Mit der Auffindung der allgemeinen Principien iſt die Auf- gabe noch nicht vollſtändig gelöſt; es müſſen auch die, aus den gefundenen Principien ſich ergebenden Folgerungen entwickelt werden und es muß ihre Uebereinſtimmung mit den thatſächlich beſtehen- den Einrichtungen und den poſitiven Anordnungen der Geſetze dar- gethan werden. Bei dem Verſuch, das Staatsrecht des Deutſchen Reiches in der angegebenen Weiſe zu erörtern, zeigt ſich ſofort der innere, unauflösliche Zuſammenhang des Verfaſſungsrechts mit den übrigen Gebieten der Rechtswiſſenſchaft, namentlich mit dem Strafrecht, und es macht ſich die Thatſache bemerkbar, daß ein erheblicher Theil des Staatsrechts nicht in der Verfaſſung, ſondern in dem Strafgeſetzbuch ſeinen geſetzlichen Ausdruck gefunden hat. Dieſe ſtaatsrechtliche Seite der Strafgeſetze erfordert um ſo eingehendere Berückſichtigung, als in der bisherigen Literatur die Publiciſten gewöhnlich den Strafrechtslehrern, die Kriminaliſten den Staats- rechtslehrern ſie überlaſſen haben. Es läßt ſich ferner die Unterſchei- dung des Reichsſtaatsrechts von dem Landesſtaatsrecht nicht ſtreng durchführen; beide ergänzen ſich gegenſeitig und ſtehen zu einander in vielfachen Wechſelbeziehungen. Eine große Zahl von wiſſenſchaftlichen Begriffen und Rechtsinſtituten iſt dem Reichsrecht und dem Staatsrecht der einzelnen Bundesſtaaten gemeinſam, ſo daß auch die theoretiſche Erörterung derſelben Reichsrecht und Landes- ſtaatsrecht umfaſſen muß. Endlich ergiebt ſich, daß auf dem Ge- biete des Staatsrechts zahlreiche Begriffe wiederkehren, welche ihre wiſſenſchaftliche Feſtſtellung und Durchbildung zwar auf dem Gebiete des Privatrechts gefunden haben, welche ihrem Weſen nach aber nicht Begriffe des Privatrechts ſondern allgemeine Be- griffe des Rechtes ſind. Nur müſſen ſie allerdings von den ſpezi- fiſch privatrechtlichen Merkmalen gereinigt werden. Die einfache Uebertragung civilrechtlicher Begriffe und Regeln auf die ſtaats- rechtlichen Verhältniſſe iſt der richtigen Erkenntniß der letzteren gewiß nicht förderlich; die „civiliſtiſche“ Behandlung des Staats- rechts iſt eine verkehrte. Aber unter der Verurtheilung der civili- ſtiſchen Methode verſteckt ſich oft die Abneigung gegen die juriſtiſche

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. VII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/15>, abgerufen am 24.04.2024.