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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 12. Die Existenz der Einzelstaaten.
Der Art. 1 spricht daher nur den Rechtssatz aus, daß das Gebiet
der in ihm aufgezählten Staaten dem Reiche nicht entzogen und
kein anderweitiges Gebiet dem Reiche einverleibt werden darf, ohne
daß das Reich selbst in den Formen der Verfassungs-Aenderung
zustimmt; aber Art. 1 verfügt nicht, daß die in ihm erwähnten
Staaten "Staaten bleiben müssen."

Art. 6 endlich betrifft die Vertheilung der Stimmen im Bundes-
rath. Aus der Fassung, welche dieser Artikel in der Norddeutschen
Bundesverfassung und ebenso in der mit Baden, Hessen und Würt-
temberg vereinbarten deutschen Bundesverfassung gehabt hat, er-
giebt sich zweifellos, daß der verfassungsmäßige Grund-
satz
, welchen Art. 6 normirt, nur der ist, "daß die Stimmfüh-
rung sich nach Maaßgabe der Vorschriften für das Plenum des
ehemaligen Deutschen Bundes vertheilt" 1). Lediglich als Conse-
quenz dieses Prinzips wird das Register der den einzelnen
Staaten zustehenden Stimmen beigefügt; durch die Worte "so daß,"
mit denen dieses Register beginnt, wird deutlich hervorgehoben,
daß die folgende Aufzählung der Staaten und der ihnen zustehen-
den Stimmen, nicht den Charakter einer selbstständigen Rechts-
satzung hat, sondern nur die factische Durchführung des sanctio-
nirten Prinzips enthält.

Da Bayern im Zollbundesrath jedoch durch Zutheilung von
6 Stimmen begünstigt wurde, so ließ man im Art. 8 §. 1 des
Zollvertrages vom 8. Juli 1867 das Prinzip ganz weg und stellte
nur das Register der Stimmen auf und ebenso wurde in dem Ver-
fassungs-Bündniß mit Bayern die jetzige Fassung des Artikels 6
verabredet, welche die ausdrückliche Erwähnung des für die Stim-
menvertheilung maaßgebenden Prinzips zwar vermeidet, es dadurch
aber doch als materiell fortwirkend anerkennt, daß die Preußen
zustehenden 17 Stimmen "mit den ehemaligen Stimmen
von Hannover, Kurhessen, Holstein, Nassau und Frankfurt" ge-

1) Löning a. a. O. S. 368 wendet zwar ein, es enthalte dieser Satz
nicht die Aufstellung eines allgemeinen Grundgesetzes, sondern nur die Angabe
des historischen Grundes. Aber es ist nicht abzusehen, warum nicht ein Ver-
fassungs-Grundsatz ebenso wohl historischen Verhältnissen wie rationellen Er-
wägungen entnommen werden könne. Das Princip für die Vertheilung der
Stimmen ist allerdings nicht logisch geboten, sondern historisch gegeben; aber
daraus folgt doch nicht, daß es überhaupt kein Prinzip ist.

§. 12. Die Exiſtenz der Einzelſtaaten.
Der Art. 1 ſpricht daher nur den Rechtsſatz aus, daß das Gebiet
der in ihm aufgezählten Staaten dem Reiche nicht entzogen und
kein anderweitiges Gebiet dem Reiche einverleibt werden darf, ohne
daß das Reich ſelbſt in den Formen der Verfaſſungs-Aenderung
zuſtimmt; aber Art. 1 verfügt nicht, daß die in ihm erwähnten
Staaten „Staaten bleiben müſſen.“

Art. 6 endlich betrifft die Vertheilung der Stimmen im Bundes-
rath. Aus der Faſſung, welche dieſer Artikel in der Norddeutſchen
Bundesverfaſſung und ebenſo in der mit Baden, Heſſen und Würt-
temberg vereinbarten deutſchen Bundesverfaſſung gehabt hat, er-
giebt ſich zweifellos, daß der verfaſſungsmäßige Grund-
ſatz
, welchen Art. 6 normirt, nur der iſt, „daß die Stimmfüh-
rung ſich nach Maaßgabe der Vorſchriften für das Plenum des
ehemaligen Deutſchen Bundes vertheilt“ 1). Lediglich als Conſe-
quenz dieſes Prinzips wird das Regiſter der den einzelnen
Staaten zuſtehenden Stimmen beigefügt; durch die Worte „ſo daß,“
mit denen dieſes Regiſter beginnt, wird deutlich hervorgehoben,
daß die folgende Aufzählung der Staaten und der ihnen zuſtehen-
den Stimmen, nicht den Charakter einer ſelbſtſtändigen Rechts-
ſatzung hat, ſondern nur die factiſche Durchführung des ſanctio-
nirten Prinzips enthält.

Da Bayern im Zollbundesrath jedoch durch Zutheilung von
6 Stimmen begünſtigt wurde, ſo ließ man im Art. 8 §. 1 des
Zollvertrages vom 8. Juli 1867 das Prinzip ganz weg und ſtellte
nur das Regiſter der Stimmen auf und ebenſo wurde in dem Ver-
faſſungs-Bündniß mit Bayern die jetzige Faſſung des Artikels 6
verabredet, welche die ausdrückliche Erwähnung des für die Stim-
menvertheilung maaßgebenden Prinzips zwar vermeidet, es dadurch
aber doch als materiell fortwirkend anerkennt, daß die Preußen
zuſtehenden 17 Stimmen „mit den ehemaligen Stimmen
von Hannover, Kurheſſen, Holſtein, Naſſau und Frankfurt“ ge-

1) Löning a. a. O. S. 368 wendet zwar ein, es enthalte dieſer Satz
nicht die Aufſtellung eines allgemeinen Grundgeſetzes, ſondern nur die Angabe
des hiſtoriſchen Grundes. Aber es iſt nicht abzuſehen, warum nicht ein Ver-
faſſungs-Grundſatz ebenſo wohl hiſtoriſchen Verhältniſſen wie rationellen Er-
wägungen entnommen werden könne. Das Princip für die Vertheilung der
Stimmen iſt allerdings nicht logiſch geboten, ſondern hiſtoriſch gegeben; aber
daraus folgt doch nicht, daß es überhaupt kein Prinzip iſt.
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[128/0148] §. 12. Die Exiſtenz der Einzelſtaaten. Der Art. 1 ſpricht daher nur den Rechtsſatz aus, daß das Gebiet der in ihm aufgezählten Staaten dem Reiche nicht entzogen und kein anderweitiges Gebiet dem Reiche einverleibt werden darf, ohne daß das Reich ſelbſt in den Formen der Verfaſſungs-Aenderung zuſtimmt; aber Art. 1 verfügt nicht, daß die in ihm erwähnten Staaten „Staaten bleiben müſſen.“ Art. 6 endlich betrifft die Vertheilung der Stimmen im Bundes- rath. Aus der Faſſung, welche dieſer Artikel in der Norddeutſchen Bundesverfaſſung und ebenſo in der mit Baden, Heſſen und Würt- temberg vereinbarten deutſchen Bundesverfaſſung gehabt hat, er- giebt ſich zweifellos, daß der verfaſſungsmäßige Grund- ſatz, welchen Art. 6 normirt, nur der iſt, „daß die Stimmfüh- rung ſich nach Maaßgabe der Vorſchriften für das Plenum des ehemaligen Deutſchen Bundes vertheilt“ 1). Lediglich als Conſe- quenz dieſes Prinzips wird das Regiſter der den einzelnen Staaten zuſtehenden Stimmen beigefügt; durch die Worte „ſo daß,“ mit denen dieſes Regiſter beginnt, wird deutlich hervorgehoben, daß die folgende Aufzählung der Staaten und der ihnen zuſtehen- den Stimmen, nicht den Charakter einer ſelbſtſtändigen Rechts- ſatzung hat, ſondern nur die factiſche Durchführung des ſanctio- nirten Prinzips enthält. Da Bayern im Zollbundesrath jedoch durch Zutheilung von 6 Stimmen begünſtigt wurde, ſo ließ man im Art. 8 §. 1 des Zollvertrages vom 8. Juli 1867 das Prinzip ganz weg und ſtellte nur das Regiſter der Stimmen auf und ebenſo wurde in dem Ver- faſſungs-Bündniß mit Bayern die jetzige Faſſung des Artikels 6 verabredet, welche die ausdrückliche Erwähnung des für die Stim- menvertheilung maaßgebenden Prinzips zwar vermeidet, es dadurch aber doch als materiell fortwirkend anerkennt, daß die Preußen zuſtehenden 17 Stimmen „mit den ehemaligen Stimmen von Hannover, Kurheſſen, Holſtein, Naſſau und Frankfurt“ ge- 1) Löning a. a. O. S. 368 wendet zwar ein, es enthalte dieſer Satz nicht die Aufſtellung eines allgemeinen Grundgeſetzes, ſondern nur die Angabe des hiſtoriſchen Grundes. Aber es iſt nicht abzuſehen, warum nicht ein Ver- faſſungs-Grundſatz ebenſo wohl hiſtoriſchen Verhältniſſen wie rationellen Er- wägungen entnommen werden könne. Das Princip für die Vertheilung der Stimmen iſt allerdings nicht logiſch geboten, ſondern hiſtoriſch gegeben; aber daraus folgt doch nicht, daß es überhaupt kein Prinzip iſt.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/148>, abgerufen am 30.04.2024.