Der Bund, der nach dem Eingange der Reichsverfassung "zum Schutze des innerhalb des Bundesgebietes gültigen Rechts" geschlossen worden ist, ist dadurch zum Wächter der Existenz und Integrität seiner Gliedstaaten gesetzt.
Die Frage, um welche es sich handelt, ist daher lediglich die, ob die rechtmäßige Vereinigung mehrerer Staaten zu Einem, sei es in Folge des gültigen Thronfolgerechts, sei es in Folge rechtsgültiger Staatsverträge, nur unter der, in der Form der Verfassungs-Aenderung auszusprechenden Genehmigung des Reiches erfolgen dürfe. Diese Frage würde zu bejahen sein, wenn die Reichsverfassung die Fortdauer derjenigen Staaten, welche bei der Reichsgründung vorhanden waren und noch jetzt bestehen, aus- drücklich oder stillschweigend anordnen würde. In diesem Falle würde jeder Rechtssatz eines partikulären Thronfolgerechts, welcher zur Vereinigung eines Staates mit einem andern oder zur Zer- theilung eines Staates führen würde, der Reichsverfassung wider- sprechen und folglich nach Art. 2 der R.-V. aufgehoben sein, und aus demselben Grunde würde jeder Staatsvertrag, durch welchen zwei Bundesglieder zu einem Staate sich vereinigen, unwirksam sein, so lange das Reich ihn nicht sanctionirt hat. Einen solchen Rechtssatz enthält die Reichsverfassung aber nicht.
Die deutschen Staaten werden an 3 Stellen der Verfassung namentlich aufgeführt; im Eingange, im Art. 1 und im Art. 6.
Der Eingang zur Verfassung berichtet, daß der König von Preußen im Namen des Norddeutschen Bundes und die süddeutschen Souveräne einen ewigen Bund schließen. Diese Eingangsformel enthält überhaupt keinen Rechtssatz, sondern ist bloß referirend; sie bekundet nur die Thatsache, daß das Reich durch den freien Willensentschluß der deutschen Souveräne errichtet worden ist 1). Am wenigsten aber kann man aus dieser Eingangsformel den Rechts-
1) v. Martitz S. 9 folgert aus der vertragsmäßigen Vereinigung der Deutschen Fürsten zur Gründung des Nordd. Bundes, daß die Verschmelzung zweier Bundesstaaten zu einem nur unter Genehmigung sämmtlicher Bundesstaaten rechtlich zulässig sei. Ihm folgen G. Meyer Grundzüge 47. (der aber Erörterungen S. 65 Note 1 seine Ansicht modifizirt) und im Wesentlichen, wenngleich sehr unklar, Riedel 77. 80. Besonders lebhaft ver- tritt Seydel Commentar S. 16. 30 diese Ansicht. Vgl. dagegen: Thu- dichum S. 62 Note 3. v. Rönne 38. HänelI. S. 92 ff. u. oben S. 49. 50.
§. 12. Die Exiſtenz der Einzelſtaaten.
Der Bund, der nach dem Eingange der Reichsverfaſſung „zum Schutze des innerhalb des Bundesgebietes gültigen Rechts“ geſchloſſen worden iſt, iſt dadurch zum Wächter der Exiſtenz und Integrität ſeiner Gliedſtaaten geſetzt.
Die Frage, um welche es ſich handelt, iſt daher lediglich die, ob die rechtmäßige Vereinigung mehrerer Staaten zu Einem, ſei es in Folge des gültigen Thronfolgerechts, ſei es in Folge rechtsgültiger Staatsverträge, nur unter der, in der Form der Verfaſſungs-Aenderung auszuſprechenden Genehmigung des Reiches erfolgen dürfe. Dieſe Frage würde zu bejahen ſein, wenn die Reichsverfaſſung die Fortdauer derjenigen Staaten, welche bei der Reichsgründung vorhanden waren und noch jetzt beſtehen, aus- drücklich oder ſtillſchweigend anordnen würde. In dieſem Falle würde jeder Rechtsſatz eines partikulären Thronfolgerechts, welcher zur Vereinigung eines Staates mit einem andern oder zur Zer- theilung eines Staates führen würde, der Reichsverfaſſung wider- ſprechen und folglich nach Art. 2 der R.-V. aufgehoben ſein, und aus demſelben Grunde würde jeder Staatsvertrag, durch welchen zwei Bundesglieder zu einem Staate ſich vereinigen, unwirkſam ſein, ſo lange das Reich ihn nicht ſanctionirt hat. Einen ſolchen Rechtsſatz enthält die Reichsverfaſſung aber nicht.
Die deutſchen Staaten werden an 3 Stellen der Verfaſſung namentlich aufgeführt; im Eingange, im Art. 1 und im Art. 6.
Der Eingang zur Verfaſſung berichtet, daß der König von Preußen im Namen des Norddeutſchen Bundes und die ſüddeutſchen Souveräne einen ewigen Bund ſchließen. Dieſe Eingangsformel enthält überhaupt keinen Rechtsſatz, ſondern iſt bloß referirend; ſie bekundet nur die Thatſache, daß das Reich durch den freien Willensentſchluß der deutſchen Souveräne errichtet worden iſt 1). Am wenigſten aber kann man aus dieſer Eingangsformel den Rechts-
1) v. Martitz S. 9 folgert aus der vertragsmäßigen Vereinigung der Deutſchen Fürſten zur Gründung des Nordd. Bundes, daß die Verſchmelzung zweier Bundesſtaaten zu einem nur unter Genehmigung ſämmtlicher Bundesſtaaten rechtlich zuläſſig ſei. Ihm folgen G. Meyer Grundzüge 47. (der aber Erörterungen S. 65 Note 1 ſeine Anſicht modifizirt) und im Weſentlichen, wenngleich ſehr unklar, Riedel 77. 80. Beſonders lebhaft ver- tritt Seydel Commentar S. 16. 30 dieſe Anſicht. Vgl. dagegen: Thu- dichum S. 62 Note 3. v. Rönne 38. HänelI. S. 92 ff. u. oben S. 49. 50.
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ſeiner Gliedſtaaten geſetzt.
Die Frage, um welche es ſich handelt, iſt daher lediglich die,
ob die rechtmäßige Vereinigung mehrerer Staaten zu Einem,
ſei es in Folge des gültigen Thronfolgerechts, ſei es in Folge
rechtsgültiger Staatsverträge, nur unter der, in der Form der
Verfaſſungs-Aenderung auszuſprechenden Genehmigung des Reiches
erfolgen dürfe. Dieſe Frage würde zu bejahen ſein, wenn die
Reichsverfaſſung die Fortdauer derjenigen Staaten, welche bei der
Reichsgründung vorhanden waren und noch jetzt beſtehen, aus-
drücklich oder ſtillſchweigend anordnen würde. In dieſem Falle
würde jeder Rechtsſatz eines partikulären Thronfolgerechts, welcher
zur Vereinigung eines Staates mit einem andern oder zur Zer-
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ſprechen und folglich nach Art. 2 der R.-V. aufgehoben ſein, und
aus demſelben Grunde würde jeder Staatsvertrag, durch welchen
zwei Bundesglieder zu einem Staate ſich vereinigen, unwirkſam
ſein, ſo lange das Reich ihn nicht ſanctionirt hat. Einen ſolchen
Rechtsſatz enthält die Reichsverfaſſung aber nicht.
Die deutſchen Staaten werden an 3 Stellen der Verfaſſung
namentlich aufgeführt; im Eingange, im Art. 1 und im Art. 6.
Der Eingang zur Verfaſſung berichtet, daß der König von
Preußen im Namen des Norddeutſchen Bundes und die ſüddeutſchen
Souveräne einen ewigen Bund ſchließen. Dieſe Eingangsformel
enthält überhaupt keinen Rechtsſatz, ſondern iſt bloß referirend;
ſie bekundet nur die Thatſache, daß das Reich durch den freien
Willensentſchluß der deutſchen Souveräne errichtet worden iſt 1).
Am wenigſten aber kann man aus dieſer Eingangsformel den Rechts-
1) v. Martitz S. 9 folgert aus der vertragsmäßigen Vereinigung der
Deutſchen Fürſten zur Gründung des Nordd. Bundes, daß die Verſchmelzung
zweier Bundesſtaaten zu einem nur unter Genehmigung ſämmtlicher
Bundesſtaaten rechtlich zuläſſig ſei. Ihm folgen G. Meyer Grundzüge
47. (der aber Erörterungen S. 65 Note 1 ſeine Anſicht modifizirt) und im
Weſentlichen, wenngleich ſehr unklar, Riedel 77. 80. Beſonders lebhaft ver-
tritt Seydel Commentar S. 16. 30 dieſe Anſicht. Vgl. dagegen: Thu-
dichum S. 62 Note 3. v. Rönne 38. Hänel I. S. 92 ff. u. oben S. 49. 50.
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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/146>, abgerufen am 24.07.2024.
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