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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 10. Die Unterordnung der Einzelstaaten unter das Reich.
verwaltung, sondern eine Unterart der Staatsverwaltung ist. "Alle
Aemter des selfgovernment haben den reinen Amtscharakter, --
alle Rechte und Ehren, -- alle Pflichten und Verantwortlichkeiten
der Staatsämter 1). Nicht die Staatsverwaltung sondern die "Mi-
nisterverwaltung," d. h. die Verwaltung durch besoldete Berufs-
personen, bildet nach der Auffassung von Gneist den Gegensatz zur
Selbstverwaltung und in seiner Schrift: "Der Rechtsstaat" Berl.
1872 S. 161 fg. führt er aus, daß die Wiedereinführung oder
weitere Ausbildung des Ehrenamtes der "archimedische Punkt
des Rechtsstaates" sei, weil die Verwaltung durch besoldete
Beamte wegen der Ernennungs- Beförderungs- und Absetzungsbe-
fugniß des Chefs Parteiverwaltung sei, während das Ehrenamt
sich nicht parteimäßig behandeln lasse.

Diese Auffassung des Begriffes der Selbstverwaltung ist schnell
herrschend geworden und es könnten unzählige Zeugnisse aus poli-
tischen Reden, Flugschriften und Zeitungsartikeln dafür beigebracht
werden, daß man sich fast allgemein daran gewöhnt hat, Selbst-
verwaltung und Verwaltung mittelst Ehrenämtern zu identifiziren.

Indeß so wichtig in politischer Beziehung das System der
Ehrenämter ist, so sehr die Reaction gegen die übermäßige und
einseitige Ausbildung der büreaucratischen Beamtenverwaltung ein
Merkmal unserer Zeit ist und in dem Worte "Selbstverwaltung"
ein politisches Schlagwort gesucht und gefunden hat, so erweist
sich doch für die staatsrechtliche, d. h. juristische, Betrachtung der
Organisation des Staates der von Gneist zur Herrschaft gebrachte
Begriff der Selbstverwaltung als nicht hinlänglich bestimmt und
nicht consequent verwendbar.

Die Dotirung eines Amtes mit einer Besoldung ist weder
für den Begriff des Amtes noch für die amtlichen Pflichten und
Rechte maßgebend 2). Es fehlt vor Allem an einer festen Grenze
zwischen Ehrenämtern und besoldeten Aemtern; denn der Begriff
des Ehrenamtes schließt den Ersatz von Kosten, von Diäten und
Reisegeldern, von Repräsentationsgebühren u. s. w. nicht aus;
auch nicht eine Remuneration mit einer Pauschsumme, aus der
dergleichen Kosten zu tragen sind. Wo ist da die Grenze zwischen

1) a. a. O. S. 883. Vgl. Gneist Preuß. Kreis-Ordnung 1870 S. 9 u.
Verwaltung, Justiz, Rechtsweg 1869 S. 98 fg.
2) Vgl. unten §. 32. §. 37 ff.

§. 10. Die Unterordnung der Einzelſtaaten unter das Reich.
verwaltung, ſondern eine Unterart der Staatsverwaltung iſt. „Alle
Aemter des selfgovernment haben den reinen Amtscharakter, —
alle Rechte und Ehren, — alle Pflichten und Verantwortlichkeiten
der Staatsämter 1). Nicht die Staatsverwaltung ſondern die „Mi-
niſterverwaltung,“ d. h. die Verwaltung durch beſoldete Berufs-
perſonen, bildet nach der Auffaſſung von Gneiſt den Gegenſatz zur
Selbſtverwaltung und in ſeiner Schrift: „Der Rechtsſtaat“ Berl.
1872 S. 161 fg. führt er aus, daß die Wiedereinführung oder
weitere Ausbildung des Ehrenamtes der „archimediſche Punkt
des Rechtsſtaates“ ſei, weil die Verwaltung durch beſoldete
Beamte wegen der Ernennungs- Beförderungs- und Abſetzungsbe-
fugniß des Chefs Parteiverwaltung ſei, während das Ehrenamt
ſich nicht parteimäßig behandeln laſſe.

Dieſe Auffaſſung des Begriffes der Selbſtverwaltung iſt ſchnell
herrſchend geworden und es könnten unzählige Zeugniſſe aus poli-
tiſchen Reden, Flugſchriften und Zeitungsartikeln dafür beigebracht
werden, daß man ſich faſt allgemein daran gewöhnt hat, Selbſt-
verwaltung und Verwaltung mittelſt Ehrenämtern zu identifiziren.

Indeß ſo wichtig in politiſcher Beziehung das Syſtem der
Ehrenämter iſt, ſo ſehr die Reaction gegen die übermäßige und
einſeitige Ausbildung der büreaucratiſchen Beamtenverwaltung ein
Merkmal unſerer Zeit iſt und in dem Worte „Selbſtverwaltung“
ein politiſches Schlagwort geſucht und gefunden hat, ſo erweiſt
ſich doch für die ſtaatsrechtliche, d. h. juriſtiſche, Betrachtung der
Organiſation des Staates der von Gneiſt zur Herrſchaft gebrachte
Begriff der Selbſtverwaltung als nicht hinlänglich beſtimmt und
nicht conſequent verwendbar.

Die Dotirung eines Amtes mit einer Beſoldung iſt weder
für den Begriff des Amtes noch für die amtlichen Pflichten und
Rechte maßgebend 2). Es fehlt vor Allem an einer feſten Grenze
zwiſchen Ehrenämtern und beſoldeten Aemtern; denn der Begriff
des Ehrenamtes ſchließt den Erſatz von Koſten, von Diäten und
Reiſegeldern, von Repräſentationsgebühren u. ſ. w. nicht aus;
auch nicht eine Remuneration mit einer Pauſchſumme, aus der
dergleichen Koſten zu tragen ſind. Wo iſt da die Grenze zwiſchen

1) a. a. O. S. 883. Vgl. Gneiſt Preuß. Kreis-Ordnung 1870 S. 9 u.
Verwaltung, Juſtiz, Rechtsweg 1869 S. 98 fg.
2) Vgl. unten §. 32. §. 37 ff.
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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/116>, abgerufen am 30.04.2024.